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Akra Chowchong. 2022. Sprachvermittlung in den Sozialen Medien. Eine soziolinguistische Untersuchung von DaF-Sprachlernvideos auf Videokanälen. (Studien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 15). Berlin: Erich Schmidt Verlag. 435 S.

Judith, Purkarthofer
In: Zeitschrift für Rezensionen zur Germanistischen Sprachwissenschaft, Jg. 15 (2023), Heft 1-2, S. 64-69
Online academicJournal

Akra Chowchong. 2022. Sprachvermittlung in den Sozialen Medien. Eine soziolinguistische Untersuchung von DaF-Sprachlernvideos auf Videokanälen. (Studien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 15). Berlin: Erich Schmidt Verlag. 435 S 

Akra Chowchong. 2022. Sprachvermittlung in den Sozialen Medien. Eine soziolinguistische Untersuchung von DaF-Sprachlernvideos auf Videokanälen. (Studien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 15). Berlin : Erich Schmidt Verlag. 435 S.

Vor der Gruppe oder vor der Kamera treten Expert*innen an, um jene in die Geheimnisse der deutschen Sprache einzuweihen, die diese erlernen möchten. Als Autoritäten bauen sie dabei auf unterschiedliche Ressourcen, die auch diskursiv verhandelt werden müssen. Akra Chowchong widmet sich in seinem Buch Sprachvermittlung in Sozialen Medien jenen Positionierungen und Metaspachdiskursen, die in Lernvideos für Deutsch als Fremdsprache (DaF) auf der Video-Plattform YouTube verhandelt werden. In der umfangreichen empirischen Untersuchung haben dabei auch die Lesenden Gelegenheit, sich in mehreren Rollen wiederzufinden und als Expert*innen wie Lernende zu profitieren. In dieser Rezension möchte ich einen würdigenden Überblick geben, und schließlich vor allem zwei Aspekte des Bandes kritisch diskutieren: (1) die Frage der soziolinguistischen Untersuchung von Stancetaking und Metasprachdiskursen in einer ganz bestimmten sprachlichen Verortung, die von Standardsprachideologien und der Autorität von ‚Muttersprachler*innen' geprägt ist, und (2) die aktuelle digitale Herausforderung von Lehrenden und Lernenden, zwischen eröffneten Möglichkeiten und dem Erleben von Ausschlüssen aufgrund fehlender Partizipationsrechte.

Ausgehend von eigenen Erfahrungen des Autors als Lerner und Lehrender des Deutschen und als Produzent von Beiträgen in den Sozialen Medien steht eine sehr konkrete Frage am Anfang des Bandes: Wie gelingt es Privatpersonen, das für ihre Tätigkeit als Lehrende notwendige soziale Kapital diskursiv in Lernvideos anzulegen? Gerade für jene, die nicht in anerkannten Sprachschulen und Deutschlehrinstituten aktiv sind, stehen im Rahmen von Online-Lehrangeboten bestimmte Rollen und Positionen zur Verfügung, die ihre selbst gewählte Tätigkeit unterstützen können. Innerhalb des theoretischen Rahmens des Stancetaking (Du Bois 2007) werden die folgenden Forschungsfragen behandelt:

„(1) Wie stellen sich die Produzierenden [von Lernvideos, Anm. d. Rezensentin] dar, zumal sie – anders als die bereits etablierten Sprachinsitute – über kein institutionelles Kapital verfügen?

(2) Was evaluieren sie bezüglich der deutschen Sprache und auf welche Art und Weise?

(3) Welche Sprachideologien bzw. Denkmuster in Bezug auf Sprachen im Allgemeinen liegen zugrunde?

(4) Wo werden Metasprachdiskurse der Produzierenden in den Kommentaren rezipiert?" (Chowchong 2022: 386)

Diese Fragen werden anhand einer qualitativen Analyse von 120 ausgewählten Sprachlernvideos von fünf Kanälen beantwortet, wobei die Fragen (2) und (4) durch kleine quantitative Auswertungen ergänzt werden. Mit zwei Produzierenden wurden außerdem Interviews durchgeführt, die ebenfalls im Rahmen der Analyse ausgewertet werden. Die kleinschrittige Entwicklung der Kategorien, die gewissenhafte Aufbereitung der Transkripte und die Illustration der beschriebenen Phänomene mit jeweils mehreren Beispielen aus dem Korpus bieten einen sehr praktischen Einblick in die Analyse. Im Lauf von fast 300 Seiten entwickelt sich dadurch fast ein Näheverhältnis zu den Lehrenden und mehrmals liegt der Griff zum Telefon nahe um zu überprüfen, ob auch die neuesten Videos von den besprochenen Kanälen sich in den etablierten Interpretationsrahmen einordnen lassen.

Der Titel Sprachvermittlung in Sozialen Medien ist etwas irreführend, da didaktische Elemente explizit nicht besprochen werden. Auch Kommentare zur Qualität und den Inhalten der Videos als Einschätzung der didaktischen Fähigkeiten der Produzierenden werden explizit nicht gemacht. Stancetaking im sprachdidaktischen Diskurs wäre hier, wie in der zugrundeliegenden Promotionsschrift, eine elegante Alternative gewesen. Von praktischem Nutzen wäre auch ein Index, um Inhalte quer zur linearen Organisation aufzufinden – das detaillierte Inhaltsverzeichnis kann diese Funktion, neben der Volltextsuche in der digitalen Version, aber teilweise ausgleichen.

Stancetaking, Metasprachdiskurse und Sprachideologien

Diese Begriffe bilden das theoretische Fundament der Untersuchung und werden sowohl theoretisch als auch methodologisch eingehend bearbeitet. Während Stancetaking die Selbstpositionierung von Sprecher*innen und Evaluation von Aussagen umfasst, nehmen Metasprachdiskurse Bezug zu Sprachen, sprachlichen Varietäten oder Aussagen über diese. Chowchong identifiziert zehn Studien, die sich mit Stance in unterschiedlichen Kontexten befassen und dabei jeweils verschiedene Operationalisierungen des Stance-Konzepts verwenden, und bildet in Auseinandersetzung damit seine eigenen Analysekategorien. Stance ist damit in dieser Arbeit „grundsätzlicher Bestandteil jedes kommunikativen Aktes" (S. 50) und stance-freie Kommunikation nicht denkbar.

Metasprachdiskurse werden vor allem in Bezug zur Spracheinstellungsforschung gesetzt. Die Ausführungen dazu sind interessant, vor allem auch dort, wo es um Einstellungsforschung zu Varietäten des Deutschen und dem Deutschen als Lernersprache geht. Die hier angeschnittenen Themen werden in den Ergebnissen dann allerdings nicht mehr ausführlich aufgegriffen.

Sprachideologien werden, als ein relevantes Analyseelement (vgl. Frage (3)), schließlich ausführlicher dargestellt (ab S. 72). Zwei Sprachideologien stehen dabei im Fokus:

(1) Die Standardsprachenideologie mit ihrem starken Augenmerk auf sprachliche Korrektheit und Normkonformität ist im Kontext von Sprachlernvideos zu erwarten, und tatsächlich finden sich in den Belegstellen aus den Videos und den begleitenden Videos viele Instanzen derartiger Normorientierung an einer deutschländischen Standardvarietät. In den Videos selbst und auch in der Analyse ist das Fehlen von Bezügen zu den anderen deutschen Standardvarietäten merkbar – so erscheinen Schweizer und Österreichisches Deutsch nur als regionale Varietäten, analog zu Bairisch oder Obersächsisch. In diesem Sinne wären ein Kommentar zur Auswahl bzw. die Nennung möglicher Gründe für die stärkere Verbreitung (nord-)deutscher Lernvideos angebracht. In den zitierten Interviewausschnitten wird der Eindruck eines unmarkierten (nord-)deutschen Standards von den Produzierenden ebenfalls unterstrichen.

Als zweite hervorstechende Sprachideologie wird (2) die Muttersprachideologie genannt, gemäß der mit dem Status als muttersprachliche Deutschsprecher*innen eine besondere Autorität für das Lehren einhergeht. Die Produzierenden in den Videos berufen sich immer wieder auf ihre eigene Erfahrung, die Umgebung und die Natürlichkeit ihrer sprachlichen Urteile. Gerade in einem Bereich, in dem institutionelle Anbindung nicht zur Verfügung steht, scheint die Erfahrung des Deutschsprechens aus erster Hand von besonderer Bedeutung zu sein. Deutlich wird das auch in den Auseinandersetzungen zur sprachlichen Herkunft von Beiträger*innen in den Kommentaren, wo mit dem Status von Nicht-Muttersprachler*innen eine Infragestellung von Autorität verbunden ist. Die Analyse dieser Zuordnung und Selbstpositionierung ist insgesamt sehr überzeugend und lässt vor allem in Hinblick auf den Fremdsprachenunterricht tief blicken: Welche Positionierungen und Legitimationen stehen Lehrenden zur Verfügung, wenn sie, wie die Mehrheit ihrer Kolleg*innen, nicht Muttersprachler*in der von ihnen unterrichteten Sprache sind? In einem der untersuchten Videokanäle wird daher die Autorität als Sprachlehrer und Sprachlernexperte unterstrichen, aber auch über die Aktivierung von muttersprachlich gelesenen Kolleg*innen versucht, zusätzliches Kapital zu generieren.

Offen bleibt in der einleitenden Darstellung, wie diese beiden Sprachideologien mit anderen verschränkt sind. Eine Gleichsetzung von Muttersprachideologie und einsprachigen Nationen (vgl. S. 80) bzw. der Idee von „one language – one people" (S. 81) erscheint mir hier eher weit hergeholt. Eventuell ist dies aber der Kürze der Darstellung geschuldet.

Interessant ist in jedem Fall das Ergebnis der Analyse, dass Muttersprachideologien tatsächlich nicht nur von Muttersprachler*innen produktiv gemacht werden können, sondern etwa in Form geborgter Expertise auch von anderen genutzt werden können, etwa wenn ein Produzent seine muttersprachlichen Kolleg*innen zur Aussprache eines besonders komplexen Kompositums einlädt. Die allgemeine Bewertung des deutschen Sprachsystems erfolgt anhand mehrerer Aspekte: Lernbarkeit, Ästhetik, Regelhaftigkeit, Notwendigkeit und Gleichberechtigung, während der Sprachgebrauch, typischerweise in Abgrenzung zum vorgestellten Standard, anhand folgender Aspekte bewertet wird: Regionalität, Herkunft, Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen, Medialität, Formalität, Gebräuchlichkeit, Normbezogenheit und Zeitlichkeit. Wie an der Zusammenstellung erkennbar, erfolgt die Entwicklung der Kategorien aus dem Material und bildet den Forschungsprozess gut nachvollziehbar ab.

Lernvideos und wer sie produziert

Wie in dem Buch an verschiedenen Stellen deutlich wird, stehen Lernvideos bisher selten im Fokus von Studien zum DaF-Lernen. Dies entspricht auch den Einschätzungen anderer Autor*innen (etwa [1] 2020). Aus diesem Grund möchte ich hier etwas weitergehende Überlegungen, fast schon in Form eines kleinen Exkurses, anstellen. In der Definition des Untersuchungsgegenstands (S. 17) wird mit Luckmanns Verständnis von kommunikativen Gattungen gearbeitet und es werden wesentliche Merkmale der Videos und ihrer Einbettung in einen Kommunikationsprozess herausgestrichen. In gewisser Weise entsteht durch den starken Fokus auf die inhaltliche und sprachliche Ebene eine Leerstelle dort, wo die Position der Produzierenden in der vorgeblich partizipativen Medienumgebung beleuchtet werden könnte. Die Einordnung der Produzierenden als „freie und uneingeschränkte Nutzer*innen" (S. 21) erscheint daher etwas naiv und den tatsächlichen Vorgaben durch die Plattform YouTube nicht ganz angemessen. Eine kritische Rezeption kommerziell motivierter, von Werbeeinnahmen profitierender Plattformen bleibt in der Analyse aus. Soweit dies aus dem Material jedoch erkennbar wird, dürfte diese Herangehensweise auch der Sicht der Kanalbetreiber*innen selbst entsprechen, die die Modelle der Finanzierung und Gewinnmaximierung (Verweis auf andere Videos, Vorschlag weiterer Videos und Werbeeinschaltungen) nicht thematisieren. [4] (2014), deren participation framework zugrunde gelegt wird, bleibt allerdings selbst auf einer Ebene, die die Organisationsstrukturen des medialen Kontexts nicht einbezieht. Alternativ würde sich hier [2] (2011) mit seinen Models of (semi-)participatory organizations with networked participants anbieten, der vor allem auf die Einschränkungen der Teilhabe an Entscheidungen hinweist:

„However, we should not lose sight of the impact of these media industries on the participatory process, where structural participation in the decision-making process of the involved companies, for instance, is excluded." (Carpentier 2011: 123)

Während man den Blick auf Eigentumsstrukturen und Möglichkeiten von Teilhabe nun als über das eigentliche Thema hinausgehend sehen könnte, stellen sich diese Fragen jedoch bereits dort, wo die Anordnung von Kommentaren nach den bisherigen Nutzungsgewohnheiten der User*innen verändert wird bzw. deren Löschung – von Seiten der Plattform ohne Nachverfolgbarkeit – geschehen kann. Dies wiederum hat ganz praktische Folgen für die Analyse der metasprachlichen Kommentare.

Open-Access-Plattformen, Community Media oder Open-Educational-Resources wären in diesem Bereich ein sehr lohnendes Feld, um die Entwicklung von Materialien und Positionierung von Lehrenden zu untersuchen. Fünf Perspektiven, die etwa [5] (2021) mit Blick auf digitale Lehr-/Lernmaterialien einbringt, sind die in Chowchongs Buch herausgestellte ideologische Perpektive, aber auch die didaktische, werkzeugbezogene, organisatorische und schließlich die ökonomische Perspektive, die nicht nur die Alternative der kostenfreien oder kostenpflichtigen Nutzung umfasst, sondern auch die Frage, welcher Profit aus der Nutzung potentiell generiert wird. Damit lässt sich auch die vom Autor gemeinsam mit vielen Anderen proklamierte „Entmonopolisierung im Bildungsbereich" (vgl. S. 22) etwas kritischer einordnen: Durch Intransparenz und Limitierung der Möglichkeiten von Nutzer*innen wird eigentlich eher noch die Monopolstellung weniger großer Plattformen gestärkt. Dieser kritische Exkurs gilt darum auch nicht nur für den vorliegenden Band, sondern antwortet auf eine teilweise unpolitische Begeisterung in der Forschung zu sogenannten Sozialen Medien.

Insgesamt bleibt ein positiver Leseeindruck, was vor allem den detaillierten Analysen zu Sprachideologien und dem Stancetaking der Beteiligten geschuldet ist. Der stark empirisch geprägte Band kann als Grundlage für weitere Forschungen, sowohl zu Lehrvideos, aber vielleicht auch gerade zur Abgrenzung von Lehr- und Unterhaltungsvideos, dienen und stellt gleichermaßen einen zeitlichen Referenzpunkt für das Phänomen der YouTube-Lernvideos dar.

Literatur 1 Biebighäuser, Katrin & Diana Feick (Hg.). 2020. Digitale Medien in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. (Studien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 8). Berlin: Erich Schmidt. 2 Carpentier, Nico. 2011. Media and Participation. A Site of Ideological-Democratic Struggle. Bristol: Intellect. 3 Du Bois, John W. 2007. The Stance Triangle. In: Robert Englebretson (Hg.) Stancetaking in Discourse: Subjectivity, Evaluation, Interaction. Amsterdam: John Benjamins, 139–182. 4 Dynel, Marta. 2014. Participation Framework underlying YouTube Interaction. In: Journal of Pragmatics 73, 37–52. 5 Würffel, Nicola. 2021. Lehr- und Lernmedien. In: Claus Altmayer, Katrin Biebighäuser, Stefanie Haberzettl & Antje Heine (Hg.) Handbuch Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Stuttgart: Metzler, 282–300.

By Judith Purkarthofer

Reported by Author

Titel:
Akra Chowchong. 2022. Sprachvermittlung in den Sozialen Medien. Eine soziolinguistische Untersuchung von DaF-Sprachlernvideos auf Videokanälen. (Studien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache 15). Berlin: Erich Schmidt Verlag. 435 S.
Autor/in / Beteiligte Person: Judith, Purkarthofer
Link:
Zeitschrift: Zeitschrift für Rezensionen zur Germanistischen Sprachwissenschaft, Jg. 15 (2023), Heft 1-2, S. 64-69
Veröffentlichung: De Gruyter, 2023
Medientyp: academicJournal
ISSN: 1867-1691 (print) ; 1867-1705 (print)
DOI: 10.1515/zrs-2023-2018
Schlagwort:
  • Germanic languages. Scandinavian languages
  • PD1-7159
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: Directory of Open Access Journals
  • Sprachen: German, English
  • Collection: LCC:Germanic languages. Scandinavian languages
  • Document Type: article
  • File Description: electronic resource
  • Language: German ; English

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