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Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte?

Schwarz, Jörg
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 79 (2015-10-01), S. 296-298
Online review

BESPRECHUNGEN Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte?  JÖRGPELTZER, BERND SCHNEIDMÜLLER u.a. (Hg.): Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte? Regensburg: Verlag Schnell & Steiner 2013, 408 S. m. zahlr. Abb. u. graph. Darst. ISBN: 978-3-7954-2645-3.

Der Band geht zurück auf zwei wissenschaftliche Tagungen vom Januar und Juli 2012, die der Vorbereitung der Ausstellung ,Die Wittelsbacher am Rhein. Die Kurpfalz und Europa' (8. September 2013 bis 2. März 2014; Reiss-Engelhorn-Museen und Schloss Mannheim) dienen sollten. Die Ausstellung selbst sowie zaJdreiche weitere Veranstaltungen in der Pfalz und der ,Metropolregion RheinNeckar' hatten wiederum den 800. Jahrestag der Verleihung der Pfalzgrafschaft bei Rhein durch den Staufer Friedrich II. (1211/12-1250) an Herzog Ludwig I. von Bayern (1183-1231) zum Anlass.

Der Band geht vom Allgemeinen zum Besonderen, von der Wirtschaft zur Politik, von der Familie zur einzelnen Persönlichkeit bzw. zu einzelnen Persönlichkeiten -- um am Ende wieder zum Allgemeinen, Übergeordneten zurückzukehren. Zu Recht steht eine Untersuchung der staufischen Grundlagen der Pfalzgrafschaft (Stefan Weinfurter) am Beginn des Bandes. In Anbetracht des pfalzgräflichen Machtgefüges, so Weinfurter, das in einem halben Jahrhundert in einer heftig umkämpften Region habe verankert werden können, und mit Blick auf die hohe Rangstellung des Pfalzgrafen um 1200 sei dieser erste Abschnitt der Geschichte der künftigen Kurpfalz gewiss eine Erfolgsgeschichte gewesen (S. 11-22). Die Entwicklungen, die zur konkreten Verleihung des Jaltres 1214 führten, d.h. die "wittelsbachischen Wege" in die Pfalzgrafschaft, zeichnet Bernd Schneidmüller nach. Herausragende Bedeutung, so Schneidmüller, habe die (wittelsbachische) Pfalzgrafschaft einerseits durch ihre Lage in einer Zentrallandschaft des mittelalterlichen Reiches, andererseits durch die Formierung des pfalzgräflichen Amts, das nacheinander von hervorstechenden Vertretern aus den königsfähigen Dynastien der Staufer, Weifen und Wittelsbacher bekleidet wurde, erlangt (S. 49). Über den (den politischen Aufstieg der Kurpfalz entscheidend bedingenden) Rhein als Wirtschafts- und Verkehrsachse handelt Ingo Runde (S. 51-66), über pfalzgräfliche Burganlagen als Herrschaftsmittelpunkte, Amtssitze und Mittel der Burgenpolitik Reinhard Friedrich (S. 67-87); Letzterer betont dabei vor allem die bereits vorhandener Burganlagen wie etwa in Bacharach, Kaub oder Alzey. Von der Institutionalisierung des Rangs der Pfalzgrafen bei Rhein im 13. und 14. JaJir- hundert berichtet Jörg Peltzer (S. 89-107); er unterscheidet dabei für den Zeitraum von 1156 bis 1410 fünf Phasen der,Rangbildung'. Unter Berufung auf Vorrechte wie die Ladung zur Neuwahl des Königs und die Durchfülirung der electio per unum sowie auf Funktionen wie das Reichsvikariat und das Richteramt über den König haben die Pfalzgrafen ihren .Vorrang' zu institutionalisieren versucht. Unter dem Titel ,Von Pavia nach Heidelberg' untersucht Heinz-Dieter H e i m a η η die Hausordnungen der Wittelsbacher im 14. und frühen 15. Jahrhundert (S. 109-125) und weist dabei auf die Wichtigkeit des Elementes der Erbverbrüderung hin. Über die Bedeutung der Pfalzgräfinnen für die Dynastie der rheinischen Wittelsbacher berichtet Volkhard Huth (S. 127-157), vornehmlich festgemacht am sog. Heidelberger Zyklus. Fürsten am Rhein im 14. und 15. Jahrhundert sind das Thema der Ausführungen von Konrad Krimm (S. 159-167); dargelegt wird (anhand einer Momentaufnahme des Jahres 1378), wie die Kurpfalz Ordnungskonstellationen am Oberrhein ändern oder zumindest Änderungen für Interessen nutzbar machen konnte. ,Wie erfolgreich muss ein mittelalterlicher König sein?', fragt Oliver Auge, das politische Leben König Ruprechts bilanzierend (S. 169190), und versucht dabei, unter Hinweis vor allem auf seine Heirats- und Bündnispolitik sowie auf sein Stiftungsverhalten das Königtum des Wittelsbachers aufzuwerten; Ruprecht sei, so Auge, weniger ein fundamental gescheiterter, sondern eher ein glückloser König gewesen. Die (aus der Literatur stammende) Formel vom ,Marc Aurel des Mittelalters' (als Frage) aufnehmend, zeichnet Franz Fuchs ein Lebensbild Pfalzgraf Friedrichs des Siegreichen (S. 191-205), das vor allem dessen Wissenschaftsförderung und Mäzenatentum betont, und antwortet auf die Alternative ,Hallodri' oder Philosoph, dass ,der Fritz' ein ungewöhnlicher Fürst gewesen sei, der mit großem Erfolg neue Wege gesucht und gefunden habe, um sein Fürstentum, die Pfalz, zu fördern und zu vergrößern. Ob der Landshuter Erbfolgekrieg eine Selbstzerstörung des Hauses Wittelsbach gewesen sei, fragt Reinhard Stauber (S. 207-230) und unterstreicht zumindest den Charakter eines Wendepunkts in der Geschichte der Kurpfalz. Kurt Andermann berichtet über Strategien und Instrumente der Integration des Ritteradels in den Pfälzer Hof (S. 231-244). Das Thema Klöster und Stifte in der Kurpfalz greift Thorsten Unger auf (S. 245-261); gezielt hätten die Pfalzgrafen versucht, mit ihrer Kloster- und Stiftspolitik ihren Einflussbereich auszuweiten und das Territorium zu konsolidieren oder zu vergrößern. Ämter und Kanzlei am kurpfälzischen Hof analysiert Volker Rödel (S. 263-280) und wertet dabei sowohl die Verwaltungspraxis, die seit dem 14. Jahrhundert schriftgestützt war, als auch eine sich im Ämter- und Kanzleiwesen zunehmend ausformende Arbeitsteiligkeit dezidiert als Erfolgsgeschichte. Der Frage der Juden unter kurpfälzischer Herrschaft widmet sich Johannes Heil (S. 281293); ganz gewiss sei das jüdische Kapitel der Pfalzgrafschaft keine ,Erfolgsgeschichte' gewesen, die Vertreibung der Juden 1390 lasse sich teilweise, was Heidelberg angehe, als Aufeinanderprallen zweier Innovationsvorhaben lesen: das der planmäßigen territorialen Judenpolitik und das der Universitätsgründung, denen nebeneinander Bestand zu gewähren gar nicht erst versucht worden sei. Auf sympathische Weise (weil die gegenwärtige Bedeutung dieser Bildungseinrichtung nicht als prästabilierte Harmonie gedeutet wird) handelt Wolfgang Eric Wagner über die 1386 gegründete Universität Heidelberg als ,Innovationszentrum' (S. 295-310): Wagner verweist auf die kümmerlichen Anfänge der Gründung, auf den gleichwohl energischen Versuch, das Pariser Modell nachzuahmen, auf die Konkurrenz, die durch andere, zeitnahe Neugründungen (vor allem Köln 1388, Löwen 1425) entstanden ist; doch allein schon, dass die Gründung die ersten Jahrzehnte überdauert habe, mache sie, wenngleich nach außen wenig spektakulär wirkend, zu einem ,Erfolgsmodell'. Thematisch eng verzahnt sind die Beiträge von Birgit S t u d t (Historiographie am Heidelberger Hof, S. 311-328) und Martina Backes (Das literarische Leben im Umkreis der pfälzischen Wittelsbacher, S. 329-343): Studt betrachtet hauptsächlich die Chronik des Matthias von Kemnat und verweist auf die bedeutende Rezeption nach dem Tode Friedrichs des Siegreichen, wenn auch nicht der Chronik selbst, so doch recht vieler Stücke der politischen Argumentation, die Matthias im zweiten Teil seiner Chronik überliefert hat. Backes hingegen streicht heraus, dass das in der älteren Literatur lange Zeit propagierte Bild vom Heidelberger Hof als einem an italienischen Vorbildern orientierten ,Musenhof' zwar obsolet sei, dass aber die erhaltenen literarischen Belege über die vielfältigen literarischen Interessen der Pfalzgrafen und ihrer Gemahlinnen doch keinen Zweifel übrig ließen, dass ihr Hof neben der Universität doch ein wichtiger Kristallisationspunkt literarischen Lebens im nordalpinen Reich des späten Mittelalters gewesen sei. Mit Repräsentation von Rang und Architektur bei den Wittelsbachern am Rhein beschäftigen sich Thorsten Huthwelkerund Maximilian Wemhörner (S. 345-363), als Zeichensysteme werden unter anderem die Heidelberger Burganlagen und der Chor der Stiftskirche in Neustadt vorgestellt. Karl-Heinz Spieß schließlich gibt unter den Oberbegriffen .Hegemonie und Repräsentation' abschließend einen Überblick über die politische und verfassungsrechtliche Entwicklung der Kurpfalz im späten Mittelalter (S. 365-394) und arbeitet vor allem die Nutzung der Öffentlichkeit zur Vorführung der hegemonialen Politik der Pfalzgrafen heraus, die auf drei Säulen gegründet gewesen sei: (1) der herausragenden Stellung des Pfalzgrafen in der Reichsverfassung; (2) der Größe des Territoriums; (3) der (bis 1410 bestehenden) Einigkeit der Dynastie. Gescheitert allerdings, so Spieß, sei die hegemoniale Politik der Kurpfalz gegenüber dem Hochadel. Zumindest in diesem Fall lasse sich von einer,Erfolgsgeschichte' gerade nicht sprechen.

Den Band ausreichend zu würdigen, scheint im Rahmen einer einzigen Rezension kaum möglich. Was ihn neben der Vielzahl qualitativ hochwertiger Karten und farbiger Bildbeigaben (vgl. den ausführlichen Abbildungsnachweis S. 395-397) und einem gründlichen Namenregister von Peter L e i s ke als Ganzes so benutzbar und empfehlenswert macht, ist sein Perspektivreichtum -- und der konsequente Versuch fast aller Beiträgerinnen und Beiträger die Frage ,Eine Erfolgsgeschichte?' in die jeweils eigene Untersuchung einzubauen und diese Frage zu beantworten. Auch wenn ,Erfolg' oder ,Misserfolg' ebenso wie die dazu gehörigen Narrative bekanntlich höchst komplexe Sachverhalte sind, die sich einer einfachen Bewertung kategorisch entziehen, die große, von vielfältigen Faktoren beeinflusste Prägekraft der wittelsbachischen Dynastie für die Kurpfalz im Mittelalter scheint durch die Summe der Beiträge hinreichend deutlich geworden zu sein -- wichtige Abstufungen und gegenläufige Tendenzen hierzu freilich auch.

By Jörg Schwarz, München

Titel:
Die Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter. Eine Erfolgsgeschichte?
Autor/in / Beteiligte Person: Schwarz, Jörg
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 79 (2015-10-01), S. 296-298
Veröffentlichung: 2015
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • DIE Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter: Eine Erfolgsgeschichte? (Book)
  • PELTZER, Jorg
  • SCHNEIDMULLER, Bernd
  • WITTELSBACH, House of
  • PALATINES
  • NONFICTION
  • HISTORY
  • Subjects: DIE Wittelsbacher und die Kurpfalz im Mittelalter: Eine Erfolgsgeschichte? (Book) PELTZER, Jorg SCHNEIDMULLER, Bernd WITTELSBACH, House of PALATINES NONFICTION HISTORY
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review

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