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Herzöge und Konflikt. Das spätmittelalterliche Herzogtum Geldern im Spannungsfeld von Dynastie, ständischen Kräften und territorialer Konkurrenz (1339-1543).

Laux, Stephan
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 79 (2015-10-01), S. 327-328
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BESPRECHUNGEN Herzöge und Konflikt. Das spätmittelalterliche Herzogtum Geldern im Spannungsfeld von Dynastie, ständischen Kräften und territorialer Konkurrenz (1339-1543)  MATTHIAS BÖCK: Herzöge und Konflikt. Das spätmittelalterliche Herzogtum Geldern im Spannungsfeld von Dynastie, ständischen Kräften und territorialer Konkurrenz (1339-1543), Geldern: Verlag des Historischen Vereins für Geldern und Umgegend e.V. 2013, XIII, 824 S. ISBN: 978-3-921760-50-5.

Matthias Böcks 2010/2011 eingereichte Essener Dissertationsschrift befasst sich mit einem in verschiedener Hinsicht aktuellen Thema: Herrschaftskonflikte in den sich formierenden Territorialstaaten seit dem späten Mittelalter finden seit geraumer Zeit auch jenseits klassischer rechts- und verfassungsgeschichtlicher Fragestellungen breiten Niederschlag in der Mittelalter- wie in der Frühneuzeitforschung. Diese Feststellung gilt insbesondere auch für solche Konflikte, die sich innerhalb von ,Herrschaften' im engeren Sinne des Begriffs auftaten, nämlich im Radius der fürstlichen Familien und ihrer höfischen Sozialkreise (vgl. etwa Karl-Heinz Spieß zum deutschen Hochadel 1993, Cordula Nolte zu den Markgrafen von Brandenburg Ansbach 2005 oder Gerhard Pfannkuch 2011 zu den Weifen). In der vorliegenden Monographie wird mit dem Herzogtum Geldern ein eher kleines und damit auf empirischer Basis noch recht gut überschaubares Territorium zum Gegenstand einer umfassenden Darstellung gemacht, die herrschaftliche Konflikte über den langen Zeitraum von rund 200 Jahren im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit untersucht. Dies ist ein ausgesprochen vielversprechender Ansatz.

Indem Böck in den ersten Zeilen seiner Arbeit die Charakteristika der "Verfasstheit und Entwicklung" des Herzogtums Geldern im behandelten Zeitraum beschreibt -- starke Landstände, innerregionale Differenzierung in "Quartiere", ein vergleichsweise hoher Urbanisierungsgrad und "eine hiermit zusammenhängende umstrittene Stellung beinahe aller geldrischen Herrscher" -, identifiziert er einen geradezu idealtypischen Nährboden für eine von paradigmatischen Erkenntniszielen geleitete Untersuchung. Eine solche Analyse, die sich vornimmt, die "inner- und interdynastischen Herrschaftskonflikte" im Hinblick auf "ihre rechtliche, religiöse und soziale Dimension" (S. 2) zu untersuchen, nimmt man auch und gerade in der rheinischen Landesgeschichtsforschung dankbar entgegen. Allerdings bricht an genau dieser denkbar frühen Stelle die methodische Reflexion über die Voraussetzungen und Perspektiven der Arbeit ab. Analytische Kategorien und Begriffsbestimmungen fehlen vollständig, und nicht einmal die titelgebende Kategorie ,Konflikt' wird im Hinblick auf ihren heuristischen Wert beleuchtet. Einschlägige Studien zur historischen Konfliktforschung werden nicht rezipiert. Speziell im mediävistischen Horizont ist die Auseinandersetzung mit dem sozialen Beziehungsnetz des fürstlichen Hochadels zu vermissen, das vom Greifswalder,Principes'- Projekt methodisch entwickelt und in mancher Fallstudie empirisch erprobt worden ist. Anlass der Studie Böcks ist es denn auch nicht, einen Beitrag zu einer übergeordneten Problematik zu leisten und logischerweise einen strukturellen Erkenntnisgewinn zu erlangen, sondern vielmehr einem landesgeschichtlichen Interesse folgend dem Mangel einer vertieften Untersuchung der in der geldrischen Geschichte signifikant gehäuften Herrschaftskonflikte (S. 2) abzuhelfen. Unter diesen Voraussetzungen muss die Arbeit konzeptionell und inhaltlich verstanden werden.

Nach kurzer Erwähnung von Forschungen Peter Moraws stellt der Verfasser in einiger Breite den Forschungsstand zu Geldern dar, bevor er sich in einer 50-seitigen Darstellung der früh- und hochmittelalterlichen Dynastiegeschichte Gelderns widmet. Darauf folgen sechs Hauptkapitel, in denen er in konsequent chronologischer bzw. dynastischer Ordnung die herzoglichen Geschlechter durchläuft: Wassenberg (Flamenses) (1318/1339-1371), Haus Jülich (1371-1423), Haus Egmont (1423-1473), Valois, Habsburg und Burgund (1473-1492), wieder Egmont (1492-1538) und zuletzt Kleve unter Wilhelm III. bzw. V., mit dessen Person sich der Vertrag von Geldern von 1543 und damit der Beginn der habsburgisch-spanischen Herrschaft über Geldern verbindet. Die hier geschilderten Konflikte gründeten in innerfamiliären Auseinandersetzungen, in konkurrierenden geblütsrechtlichen Hoheitsansprüchen, in wechselnden adligen bzw. territorialen Allianzen, und sie bewirkten alternierende Phasen der Stärkung und Schwächung fürstlicher Herrschaft. Hervorzuheben sei an dieser Stelle allein jene ,Zäsur', die sich mit dem Herrschaftsantritt Arnolds von Egmond 1423 verbindet: Die Anwartschaft Arnolds war durch seine Minderjährigkeit, die eher entlegene Verwandtschaftsbeziehung mit dem verstorbenen Vorgänger und die konkurrierenden Ansprüche Herzog Adolfs von Berg gefährdet. All dies mündete in einen jahrelangen Erbfolgekrieg, in dessen Verlauf Arnold gegen seinen Sohn ausgespielt wurde und zeitweilig sogar der Reichsacht verfiel. Die ihm am Anfang noch gewährte Unterstützung durch die geldrischen Stände sollte sich als zweischneidig erweisen, bildete sie doch die Voraussetzung für den Erwerb Gelderns ebenso wie seiner Entmachtung durch eine von den Ständen gebildete Koalition. Dieser konnte sich Arnold erst ganz am Ende seiner Regentschaft um den hohen Preis einer Protektion durch den Burgunderherzog Karl erwehren, was dann aber die Ursache für den unabwendbaren Übergang des in Teilen bereits verpfändeten Herzogtums an Burgund 1473 war.

Diese und andere im Einzelnen noch viel komplizierteren Vorgänge präsentiert der Verfasser auf dicht bedruckten 688 Text- und 125 Anhangseiten in 155 Ober- und Unterkapiteln, die bis auf die fünfte Ebene gestaffelt sind. Zwischenresümees fehlen. Diverse Seiten mit kolossalen Fußnoten belasten den Text über die Maßen. Zudem werden Gegenstände von übergreifender Relevanz bevorzugt in den Apparat verlegt, etwa wenn der Verfasser S. 71, Anm. 2 unterstreicht, dass die "Mitwirkung, Unterstützung und Zustimmung anderer [!] Kräfte" für "alle werdenden Landesherren" wichtig gewesen sei. Was ihm hier nur eine Fußnote ohne jeglichen Verweis auf die jüngere Forschung wert ist, charakterisiert doch die Dimension der ständisch-politischen Partizipation intermediärer Instanzen einerseits und die Konsensverpflichtung fürstlicher Herrscher andererseits. Es geht also um nicht weniger als um die Ausgangsbedingungen spätmittelalterlicher Herrschaftsbildung. Derlei Aspekte hätten in der Logik der behandelten Fragestellung daher obenan platziert und eingehend reflektiert werden müssen. So erscheint auch die Kategorie ,Konflikt' mehr als eine beschreibende denn als analytische Vokabel. Die reizvolle Chance, Manifestationen wie Vater-Sohn-Konflikte (Kap. 5.1.3.3; 5.1.4) nicht nur in ihrem chronologischen Hergang zu schildern, sondern einmal von systematischer Warte aus am Maßstab etwa der historischen Familien- oder der Genderforschung zu betrachten, wird auch im Ansatz nicht ergriffen und ebenso wenig der Vergleich auf überregionaler Ebene oder gar in typologischer Sicht gesucht. Im ,Resümee' wird wiederum nicht die Abstraktion der Ereignisgeschichte angestrebt, sondern in geraffter Form genau diese wieder nacherzählt, wobei allenfalls die Bewertung einzelner Herrscherpersönlichkeiten am Maßstab ihrer selbst gesetzten politisch-dynastischen Ziele gewagt wird. Auch im engeren Gesichtskreis der geldrischen Geschichte bleibt damit jene "rechtliche, religiöse und soziale Dimension", von der 675 Seiten zuvor noch die Rede gewesen war, außen vor.

Die geldrische Landesgeschichtsforschung ist dem Verfasser für dieses Buch dankbar und bewirbt es als "ein Standardwerk zur geldrischen Geschichte". Es liefert in der Tat ein von herausragendem Fleiß zeugendes Kompendium zu den Herzögen von Geldern. Aber eben im Kern nur dieses, weil die Einordnung in übergeordnete Erkenntnisfelder der historischen Forschung zwar angekündigt, aber bestenfalls in Ansätzen umgesetzt wird. Wer dagegen ein wie auch immer geartetes systematisches Interesse an den vorgeblich analytisch leitenden Kategorien der Studie -,Herrschaft' und ,Konflikt' -- hegt, wird sich schwer damit tun, diesen Beschreibungen der "chaotischen inneren Zustände des Herzogtums" (Zit. S. 679) vom 15. bis zum frühen 16. Jahrhundert substanzielle Erkenntnisse zu entlocken. Wie dynastische Geschichte überhaupt für strukturelle Fragestellungen der Sozial- oder auch der Kulturgeschichte fruchtbar gemacht werden kann und welche Erkenntnisse aus einem zwar gut dokumentierten, aber doch von seiner Tragweite her begrenzten, kleinen Territorium gewonnen werden können, das sind Fragen, die in diesem Buch nicht nur unbeantwortet, sondern ungestellt bleiben.

By Stephan Laux, Trier

Titel:
Herzöge und Konflikt. Das spätmittelalterliche Herzogtum Geldern im Spannungsfeld von Dynastie, ständischen Kräften und territorialer Konkurrenz (1339-1543).
Autor/in / Beteiligte Person: Laux, Stephan
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 79 (2015-10-01), S. 327-328
Veröffentlichung: 2015
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • HERZOGE und Konflikt: Das spatmittelalterliche Herzogtum Geldern im Spannungsfeld von Dynastie, standischen Kraften und territorialer Konkurrenz 1339-1543 (Book)
  • BOCK, Matthias
  • NONFICTION
  • HISTORY
  • KINGS & rulers
  • GERMANY
  • Subjects: HERZOGE und Konflikt: Das spatmittelalterliche Herzogtum Geldern im Spannungsfeld von Dynastie, standischen Kraften und territorialer Konkurrenz 1339-1543 (Book) BOCK, Matthias NONFICTION HISTORY KINGS & rulers
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Geographic Terms: GERMANY

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