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Ansitz - Freihaus - corte franca. Bauliche und rechtsgeschichtliche Aspekte adligen Wohnens in der Vormoderne.

Ottersbach, Christian
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 79 (2015-10-01), S. 362-363
Online review

BESPRECHUNGEN Ansitz - Freihaus - corte franca. Bauliche und rechtsgeschichtliche Aspekte adligen Wohnens in der Vormoderne  GUSTAV PFEIFER, KURT ANDERMANN (Hg.): Ansitz -- Freihaus -- corte franca. Bauliche und rechtsgeschichtliche Aspekte adligen Wohnens in der Vormoderne. Akten der Internationalen Tagung in der Bischöflichen Hofburg und in der Cusanus-Akademie zu Brixen, 7. bis 10. September 2011 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 36), Innsbruck: Universitätsverlag Wagner 2013, 526 S. ISBN: 978-3-7030-0841-2.

In den letzten Jahren fanden zahlreiche Tagungen zur Burgenforschung statt und die Masse der Publikationen zum Thema Burg erscheint fast schon unüberschaubar. Seltener aber hat sich die Forschung mit den Realitäten niederadeliger Wohnsitze in der Vormoderne befasst, zumindest nicht in zusammenfassendem Rahmen. Dieses Desiderat ist nun für Teile des Alpenraums und der angrenzenden Gebiete mit dem hier vorliegenden Band geschlossen worden. Er versammelt die Beiträge einer Tagung in Bozen, die sich mit dem Phänomen der Tiroler Ansitze und ähnlicher Bauten beschäftigt hat. Erfreulich ist der mitunter beträchtliche Umfang der Beiträge, der davon zeugt, dass den Referenten offenbar die Gelegenheit gegeben wurde, in der Schriftform sehr viel ausführlicher ihre Fragestellungen und Untersuchungsergebnisse auszubreiten, ein Umstand, der heute aufgrund begrenzter Geldmittel eher selten anzutreffen ist. Diese Ausführlichkeit macht eine der zahlreichen Qualitäten des Buches aus, denn man darf es getrost als ein Grundlagenwerk für die weitere Beschäftigung mit dem Thema ansehen.

Ausgehend vom Phänomen der tirolischen Ansitze, insbesondere in Südtirol und dort vor allem im Gebiet um Eppan, nehmen die Autoren bauliche und rechtsgeschichtliche Aspekte adligen Wohnens und Bauens in der Vormoderne auch im Trentino, der Schweiz, Teilen Österreichs, Slowenien, Südwestdeutschland, Böhmen und im Elsass in den Fokus. Damit werden die Tiroler Ansitze in einen größeren Kontext gestellt und aus der Ecke der Lokalgeschichtsforschung herausgeholt.

Lange wurden die Südtiroler Ansitze lediglich von der Kunstgeschichte betrachtet, weniger von historischer Warte aus untersucht. In dieser Hinsicht bietet der vorliegende Band umfangreiche neue Erkenntnisse, vor allem durch den Beitrag Alexander von Hohenbühels über die ,Südtiroler Ansitze im Lichte frühneuzeitlicher landesherrlicher Nobilitierungspolitik' (S. 73-83). Hier zeigt sich, wie eine bürgerliche Aufsteigerschicht in den Niederadel aufrückte und welche rechtliche und sozialpolitische Rolle dem Ansitz dabei zukam. Die Nobilitierungen und das Recht, sich nach dem Ansitz zu benennen, erhielten die entsprechenden Personen oft in Anbetracht von Verdiensten für den Landesherrn verliehen. Dieser zog sich damit gegenüber dem alten Adel einen Briefadel heran, der ihm treu ergeben war. Der Vorgang ähnelt beinahe dem Vorgehen der Könige im Hochmittelalter, die sich mit einem privilegierten Ministerialenstamm eine getreue Gefolgschaft gegenüber den mächtigen Reichsfürsten und dem Hochadel aufzubauen suchten.

Der Begriff Ansitz ist nach Hohenbühel (S. 75) klar definiert. Es handelt sich um "den durch eine landesherrliche Privilegierung gefreiten Sitz eines Adeligen." Der Neuadel versuchte dabei, seinen neuen Rang durch althergebrachte Architekturmuster herauszustellen: Türmchen, Erker und Zinnen bilden das der Burg entlehnte Repertoire, die sich damit einmal mehr als wirkmächtiges Herrschaftszeichen erweist. Diese Versatzstücke werden überwiegend zeichenhaft gebraucht, wenn es auch offenbar einzelne Ansitze gibt, die über eine reale Wehrhaftigkeit verfügen. Oft ging der Bau eines Ansitzes der Nobilitierung voraus und sollte so den legitimen Anspruch des Bauherrn auf die Standeserhöhung verdeutlichen.

Die architektonische Vielfalt der Ansitze in Tirol, die ein Phänomen vor allem des 15. bis 17. Jahrhunderts und damit der Übergangszeit vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit darstellen, ist groß, wie der Aufsatz von Leo Andergassen mit seinen Überlegungen zur Bautypologie adligen Wohnens zeigt (S. 86-127).

Die Verschiedenartigkeit von Bauten und Bauherren macht schon Rainer Loose in seinem einleitenden Beitrag ,Ansitze in Südtirol. Kulturlandschaftliche und politische Voraussetzungen ihrer Verbreitung' deutlich (S. 9-23). In einer ganzen Reihe weiterer Beiträge zu anderen Regionen Zentraleuropas wird deutlich, wie differenziert adeliges Wohnen in der Vormoderne zu betrachten ist, auch wenn sich manche Bauformen gleichen. Seit dem Mittelalter ist gerade der Turm zu einem Herrschaftszeichen der Eliten schlechthin avanciert, wie die Beiträge immer wieder zeigen. Dabei wird auch die Frage nach dem Status der Besitzer gestellt. Mehrfach wird zu Recht darauf hingewiesen, dass ein großer Teil des niederen Adels nicht auf Burgen, sondern auf bessern Bauernhöfen saß, die mitunter über einen (Wohn-)Turm oder ein festes Steinhaus als Ausweis des Status ihrer Besitzer verfügten. Der Niederadel, so die mehrfach geäußerte Feststellung, saß aber gar nicht immer auf seinen Sitzen, da er sich oft genug im Verwaltungs- und Hofdienst von Landesherren befand und dementsprechend dort wohnhaft war.

Wie erheblich die Spannbreite zwischen dem war, was man als Burg und als Nicht-Burg und dementsprechend als Adel und als durch besondere gesellschaftliche Stellung hervorgehobenen Nicht-Adel bezeichnet, zeigt u.a. der Beitrag von Gustav Pfeifer über Freisassen- und Schildhöfe im spätmittelalterlichen Tirol (S. 51-83). Hier tritt eine Schicht von bäuerlichen Freien auf, die zum Heerdienst verpflichtet waren, was im Terminus,Schildlehen' zum Ausdruck kommt. Sie kennzeichneten ihre durch bestimmte Privilegien gefreiten Höfe durch Turmbauten, womit diese Bauten nicht viel anders aussahen als so mancher Niederadels- oder Ministerialensitz.

Der große Wert des Buches liegt darin, dass von allen Autoren ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt wird. Architektur-, kunst-, sozial- und rechtsgeschichtliche Facetten ergänzen sich in idealer Weise und zeichnen durchaus ein erstes Gesamtbild niederadeliger Lebenswelten. In seiner konzisen Zusammenfassung der Beiträge verweist Bernd Schneidmüller (S. 470-480) auf weitere Untersuchungen für einzelne Gebiete des Alten Reiches, u.a. zu den Rittersitzen des Landes Braunschweig von Gesine Schwarz oder das Handbuch zu den Rittersitzen des vormaligen Fürstentums Hildesheim von Armgard von Reden-Dohna, welche das Bild um norddeutsche Beispiele bereichern.

Das Buch schließt, für Sammelbände eher ungewöhnlich, ein praktikables Register der Orte, der geografischen Bezeichnungen und der Personen ein.

By Christian Ottersbach, Esslingen

Titel:
Ansitz - Freihaus - corte franca. Bauliche und rechtsgeschichtliche Aspekte adligen Wohnens in der Vormoderne.
Autor/in / Beteiligte Person: Ottersbach, Christian
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 79 (2015-10-01), S. 362-363
Veröffentlichung: 2015
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • ANSITZ-Freihaus-corte franca: Bauliche und rechtsgeschichtliche Aspekte adligen Wohnens in der Vormoderne (Book)
  • PFEIFER, Gustav
  • ANDERMANN, Kurt
  • ARISTOCRACY (Social class)
  • NONFICTION
  • HISTORY
  • Subjects: ANSITZ-Freihaus-corte franca: Bauliche und rechtsgeschichtliche Aspekte adligen Wohnens in der Vormoderne (Book) PFEIFER, Gustav ANDERMANN, Kurt ARISTOCRACY (Social class) NONFICTION HISTORY
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review

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