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Jodocus Hermann Nünning, Tagebuch 1707-1748.

Dethlefs, Gerd
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 79 (2015-10-01), S. 372-373
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BESPRECHUNGEN Jodocus Hermann Nünning, Tagebuch 1707-1748  Jodocus Hermann Nünning, Tagebuch 1707-1748, bearb. von WERNER FRESE, nach dem Autograph (Westmünsterland. Quellen und Studien 21), Landeskundliches Institut Westmünsterland: Vreden 2013, 432 S., 30 Farbabb., ISBN: 978-3-937432-40-3.

Das im Original 805 Seiten umfassende Tagebuch des münsterländischen ,Protoarchäologen' Jodocus Hermann Nünning (1675-1753) liegt nun in einer musterhaften Edition mit deutscher Übersetzung der lateinischen Passagen vor. Nünning, Spross vermögender Beamtenfamilien, erzogen von einem Jesuiten, studierte auf der reformierten Hochschule in Burgsteinfurt und im lutherischen Helmstedt, dann in Prag die Rechte und begeisterte sich 1697/98 während einer ausgedehnten Bildungsreise in Rom für antike Münzen und Archäologie. Statt seinem Vater im Richteramt zu folgen, schlug er die geistliche Laufbahn ein, um seinen wissenschaftlichen Neigungen leben zu können. 1706 wurde er zum Scholaster des Hochadeligen Damenstiftes Vreden berufen. Er plante eine umfassende Geschichte des Fürstbistums Münster einschließlich der Vor- und Frühgeschichte: 1713 publizierte er vorgeschichtliche Urnengräber in seiner Schrift .Sepulcretum Westphalico-Mimigardico gentile' -- die westfälisch-münsterländischen Heidengräber, die er bei Heiden nahe der rheinischwestfälischen Grenze 1711 ergraben hatte. Die Einbeziehung der Vorgeschichte löste die Landesgeschichtsschreibung aus engen konfessionsgebundenen Sichtweisen und trug wesentlich zur Verwissenschaftlichung der westfälischen Historiographie bei.

Das Tagebuch diente zunächst dazu, wie ein Prozessjournal die Verteidigung seiner Rechte als Vredener Scholaster zu dokumentieren -- so weigerte er sich, Altar- und Präsenzdienste zu leisten und das Protokoll der Stiftskapitel zu führen. Erst 1721 setzen Notizen zu kulturellen Themen ein: zunächst ein Tausch seiner Schriften mit dem Buchhändler Rommerskirchen in Köln (S. 51). Nünnings Hauptwohnsitz wurde das Gut Wieckinghoff bei Borken, dessen Ausbau er ebenso beschreibt, wie er ab 1724 Besuche und eigene Reisen notiert, auch zu Kloster- und Adelsarchiven wie Oberndorf bei Wesel, der Kartause Weddern bei Dülmen, der Abtei Werden u.a. Nünnings wissenschaftliche Korrespondenzen schlössen das Rheinland ein; erwähnt sind neben dem Abt zu Werden der Kölner Kartäuser P. Michael Mörckens, der Publizist Ignaz Roderique, Gelehrte in Arnheim, der Wetzlarer Jurist Heinrich Blum u.a.

Das Tagebuch informiert nur gelegentlich über Politisches wie Zwangsrekrutierungen preußischer Werber, die 1734/35 während der preußischen Einquartierung im Münsterland Angst verbreiteten (S. 191-192). Notierenswert waren dem Autor seine Prozesse, sein Alltag und seine Tätigkeit als Armenkommissar in der von Korruption und Vetternwirtschaft zerfressenen Borkener Stadtverwaltung sowie antiquarische Interessen, seine Gäste und Tauschpartner. So erwarb er 1731 aus Oeding ein urgeschichtliches Bisons-Horn (S. 151), notierte den Erwerb von Münzen aus Rom und Lüttich 1732 (S. 156), Werden und Wesel, von Antiquitäten aus Xanten und Wesel von dem Apotheker Johann von der Marek (siehe Register S. 384, 410, 415, außer den dort genannten Stellen noch S. 193, 197, 213, 251). Er begleitete in der Vredener Stiftskirche Graböffnungen des Gründers Waltbert und des Bremer Erzbischofs Liemar (t 1101; S. 202, 255), zu 1748 berichtet er die Sprengung der Düvel- steine, eines Großsteingrabes bei Heiden, durch die Observanten zu Gemen für ihren Kirchbau (S. 297). Den Verlust seiner Gold- und Silbermünzen durch den Überfall einer Räuberbande (1.11.1747) erwähnt er im Tagebuch nicht; es bricht ein Jahr danach ab.

Das ausführliche Register (S. 349^16) ist ebenso hilfreich wie das ,Personenglossar' (S. 327-347) mit 148 Biogrammen der mehrfach genannten Personen -- dürftig sind nur die Angaben zum langjährigen Prozessgegner Meiners (S. 337). In den Anmerkungen sind mehrere Personen falsch identifiziert, so ist S. 151 Anm. 541 (1731) nicht der Varlarer Prior von Nagel (1693), sondern Otto Caspar von Tengnagel gemeint (vgl. J. Ramackers in Analecta Praemonstratensia 5,1929, S. 332), der Cappenberger Propst von Ketteier 1746 (S. 280 Anm. 1057) ist nicht Johann Engelbert von Ketteier (amt. 17131739) sondern dessen Neffe, der Büchersammler Ferdinand Mauritz Goswin von Ketteier (1699-1784, amt. als Propst ab 1739, vgl. Die Vorenweg-Orgel in der Stiftskirche zu Cappenberg, Selm 2004, S. 51ff.), der zu 1742 genannte "Herr von der Aßen" (S. 241 Anm. 896) ist nicht Wilhelm Ferdinand von Galen zu Dinklage (1690-1769), sondern Karl Anton von Galen zu Assen (1679-1752), seit 1719 Amtsdroste zu Bocholt. Auch die Offiziere der münsterischen Armee sind nicht immer richtig identifiziert, der mehrfach genannte Hauptmann von Amboten war nicht Levin Friedrich (1723-1810), sondern dessen Vater Johann Theodor (aktiv vor 1721- um 1742). Derlei Versehen fallen indes bei der Vielzahl von Namen und Kommentaren kaum ins Gewicht.

Die Edition des Tagebuches ist zugleich eine dankenswerte Erschließung des reichhaltigen Nachlasses dieses vielseitigen und für die rheinisch-westfälische Historiographie bedeutenden Gelehrten. Auch für die frühe rheinische Archäologie trägt der Band einiges aus; in dem nützlichen Abbildungsteil seien die Zeichnungen von bei Xanten gefundenen Fibeln (S. 424) hervorgehoben. Dem Herausgeber gebührt großer Dank!

By Gerd Dethlefs, Münster

Titel:
Jodocus Hermann Nünning, Tagebuch 1707-1748.
Autor/in / Beteiligte Person: Dethlefs, Gerd
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 79 (2015-10-01), S. 372-373
Veröffentlichung: 2015
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • JODOCUS Hermann Nunning, Tagebuch 1707-1748 (Book)
  • FRESE, Werner
  • HISTORIANS
  • NONFICTION
  • Subjects: JODOCUS Hermann Nunning, Tagebuch 1707-1748 (Book) FRESE, Werner HISTORIANS NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review

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