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Maria Elisabeth. Österreichische Erzherzogin und Statthalterin in Brüssel 1725-1741.

Karstens, Simon
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 79 (2015-10-01), S. 373-375
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BESPRECHUNGEN Maria Elisabeth. Österreichische Erzherzogin und Statthalterin in Brüssel 1725-1741  SANDRA HERTEL: Maria Elisabeth. Österreichische Erzherzogin und Statthalterin in Brüssel 1725-1741 (Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 16), Wien, Köln u.a.: Böhlau 2014, 386 S. ISBN: 978-3-20579480-6.

Sandra Hertel stellt die sechzelmj ährige Statthalterschaft der Erzherzogin Maria Elisabeth zu Beginn ilirer Studie als ein Desiderat vor, das von lang tradierten, jedoch oft unbelegten Bewertungen geprägt ist und neuer Bearbeitung bedarf. Hertel gelingt im Folgenden eine bemerkenswerte Annäherung, in der sie anhand neuer Fragestellungen und einer breiten, vielspradhigen Quellenbasis scheinbar gesichertes Wissen überzeugend in Frage stellt. Dire Studie basiert auf einer 2011 in Wien eingereichten Dissertation, der mehrjäJirige Forschungsarbeit in Wien und Brüssel voranging. Die Untersuchung ist, wie die Einleitung verdeutlicht, nicht als Biografie angelegt und auch keine Gesamtdarstellung der Statthalterschaft. Es handelt sich um eine Analyse des um Maria Elisabeth formierten Hofstaates, die das Personal, die sozialen Mechanismen, die Kommunikationsformen und daraus resultierende Machtverhältnisse thematisiert. Hierbei geht Hertel von der These aus, dass die Weiblichkeit Maria Elisabeths eine eigene Form von Zeremoniell und informeller Interaktion geprägt habe, welche sie als mögliches Beispiel für einen Typus "Frauenhof" prüfen will.

Auffällig ist, dass Hertel zu Beginn einige Teile ihres Forschungsberichts -- speziell zur höfischen Kultur -- selir knapp hält. Ein Überblick über die Quellenlage wird nicht gegeben, was zu bedauern ist, da Ausführungen zu Grenzen und Lücken der Überlieferung und deren Einfluss auf Hertels Studie den Nutzen der Arbeit für die Fachwissenschaft erhöht hätten.

Auf die Einleitung folgt ein Kapitel, in dem die Reise der Statthalterin von Wien nach Brüssel mit Audienzen und dem damit verbundenen logistischen Aufwand detailliert bescJirieben und als ,Rite de Passage' gedeutet wird (S. 24-59). Hertel erzälilt hier die Quellen weitgehend nach und verknüpft dies stellenweise mit literarisch-illustrativen Einschüben -- ein Stilmittel, das im weiteren Verlauf der Arbeit dankenswerterweise nicht mehr verwendet wird.

Im nächsten Kapitel (S. 59-72) schildert Hertel knapp den Übergang der südniederländischen Provinzen von der Spanischen zur Österreichischen Herrschaft. Sie setzt dabei Kenntnisse über deren Ausdehnung und lokale Ständeordnungen ebenso voraus wie Wissen um politische Rahmenbedingungen, wie den Barrierevertrag von 1715. Dies ist für ein fachwissenschaftliches Werk kein Mangel, irritiert aber angesichts der offenbar an ein breites Publikum gerichteten vorherigen Reisebeschreibung. Hertels Charakterisierung der österreichischen Herrschaft als einen völligen Neubeginn entspricht dem Forschungsstand, hätte aber angesichts der von ihr später herausgearbeiteten Kontinuitätserwartungen lokaler Eliten um Anmerkungen zu Kontinuitäten und Brüchen zwischen Spanischer und Österreichischer Habsburgischer Herrschaft nuanciert werden können.

Mit der Ankunft der Statthalterin in Brüssel setzt Hertels dreiteilige Analyse ein. Erster Schritt ist eine Untersuchung der personellen Zusammensetzung des Hofstaates mit ausführlichen Angaben zum Amt des Obersthofmeisters und dessen von Karl VI. aus Wien entsandten Inhabern (S. 73-173). Hertel weist nach, dass Angehörige einheimischer Adelsfamilien relativ zahlreich repräsentative Stellungen bei Hofe bekleideten, Akteure aus Österreich jedoch häufiger Funktionsämter vom Obersthofmeister bis auf die unterste Ebene inne hatten und generell die Mehrheit stellten. Die Erzherzogin selbst nahm Einfluss auf Personalentscheidungen und stand so an zentraler Stelle eines Patronagenetzwerkes. Insgesamt führten die Personalpolitik und die Orientierung an Vorgaben aus Wien dazu, dass die Bewohner Brüssels -- wie am Beispiel eines Rechtsstreits deutlich wird -- den Hof als dezidiert österreichisch wahrnahmen.

Im zweiten Analyseabschnitt nimmt Hertel ausgehend von einem Forschungsbericht, der Biogra- fien über Frauen und Forschung zur Bedeutung und Konstruktion von Geschlechterrollen thematisiert, die Statthalterin selbst in den Blick (S. 173-268). Ihre Ausführungen orientieren sich an einer Biografie aus dem 18. Jahrhundert, behalten aber immer eine quellenkritische, auf eigene Forschungsergebnisse gestützte Perspektive. Alle Ausführungen zu Charakter oder Motivation der Statthalterin sind nachvollziehbar hergeleitet und deutlich als Interpretationen zur Diskussion gestellt. Hertel arbeitet hier heraus, wie männliche und weibliche Rollenerwartungen in Maria Elisabeth zusammenliefen -- eine Kombination, die sich aus ihrer ungewöhnlichen Stellung als nicht mehr heiratsfähige Jungfrau und Herrschaftsträgerin ergab. Weiterhin eröffnet Hertel zwei Einblicke in die Regierungspraxis, um anhand der Themenfelder Jansenistenverfolgung und Kirchenasyl ihre These von der Eigenständigkeit der Erzherzogin zu belegen. Hertel stellt sich damit gegen ältere Interpretationen und zeigt, dass Maria Elisabeth sowohl gegenüber ihrem Bruder in Wien als auch führenden Klerikern der Provinzen eigene Positionen vertrat. Für eine hier nicht intendierte zukünftige Gesamtdarstellung der Statthalterschaft wäre allerdings eine Einordnung dieser beiden Fälle in die alltägliche politische Praxis unumgänglich.

Die Analyse schließt mit einem Kapitel zum Zeremoniell bei Hofe und den daraus folgenden Handlungsräumen spezifischer Akteure und deren Konflikten (S. 269-325). Hertel legt dar, wie der Hof in Brüssel nach innen ein wienerisches Zeremoniell befolgte, das mit der Erwartungshaltung lokaler Eliten auf habsburgische Kontinuitäten brach. Für diplomatische Anlässe hingegen konstruierte man aus unterschiedlichen Vorbildern nach Bedarf ein eigenes Zeremoniell, das nicht statisch, sondern variabel war und nach und nach eine Summe von Präzedenzfällen ergab. Als zentralen Aspekt stellt Hertel den Zugang zur Erzherzogin heraus. Diese war von der Hofgesellschaft isoliert und für deren männliche Mitglieder nie im gleichen Maße erreichbar wie für ihre ranghohen Hofdamen. Dies generierte, wie Hertel darlegt, spezifische Strukturen der Kommunikation mit eigenem Konfliktpotential. Als essentielles Element für die zeitgenössisch oft negative Wahrnehmung des Hofes stellt Hertel schließlich die Festkultur heraus. Maria Elisabeth vernachlässigte Bälle und andere Veranstaltungen, die als soziales Ereignis lokalen Eliten Handlungsoptionen boten, zugunsten der Jagd, die sie zwar mit immensem Aufwand, aber mit wenigen Gästen außerhalb der Wahrnehmung der Stadtbevölkerung betrieb.

Die Untersuchung schließt mit Ausführungen zu Tod und Bestattung Maria Elisabeths, bevor Hertel in einem Fazit zu ihrer einleitend vorgestellten Analysekategorie "Frauenhof" zurückkehrt. Sie sieht ihre Hypothesen bestätigt, betont aber die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen, bevor ein solcher Typus als Forschungskategorie verwendet werden kann.

Insgesamt ist in der Arbeit ein stilistischer Bruch auffällig. Weisen Einleitung und Reisebeschreibung noch Formulierungen wie "gehypt" (S. 16) und illustrative Floskeln auf, welche ein Fachpublikum eher irritieren, so ist der weitere Text durch einen angemessen differenzierten, aber stets unkomplizierten Stil geprägt.

Für einen Ausblick bleibt anzumerken, dass die Kategorie ,Herrschaft' aufgrund der immensen Handlungsspielräume Maria Elisabeths zur Einordnung ihrer Statthalterschaft sicherlich Anwendung finden kann, bei der Untersuchung von Legitimationsstrategien aber zukünftig genauer differenziert werden könnte. Hertel selbst verweist darauf, dass Maria Elisabeth explizit nicht Trägerin der Souveränität war und als Repräsentantin des Landesherrn auftrat und behandelt wurde -- ein Aspekt, der vor einem Vergleich mit der Hofhaltung anderer Herrscherinnen oder Regentinnen genauere Beachtung verdient.

Hertel zeigt mit ihrer Studie in bemerkenswerter Weise, wie aus der Bearbeitung eines Desiderats ein Mehrwert über die Erforschung des unmittelbaren Gegenstandes hinaus gewonnen werden kann. Auch wenn in der Arbeit einige typische Elemente einer geschichtswissenschaftlichen Dissertation eher nachrangig behandelt werden, so sind die durch außergewöhnlich herausfordernde Quellenarbeit gewonnenen Ergebnisse gänzlich überzeugend und stellen einen hervorragenden Ausgangspunkt für weitere Forschungen dar.

By Simon Karstens, Trier

Titel:
Maria Elisabeth. Österreichische Erzherzogin und Statthalterin in Brüssel 1725-1741.
Autor/in / Beteiligte Person: Karstens, Simon
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 79 (2015-10-01), S. 373-375
Veröffentlichung: 2015
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • MARIA Elisabeth: Osterreichische Erzherzogin und Statthalterin in Brussel 1725-1741 (Book)
  • HERTEL, Sandra
  • NONFICTION
  • KINGS & rulers
  • BELGIUM
  • Subjects: MARIA Elisabeth: Osterreichische Erzherzogin und Statthalterin in Brussel 1725-1741 (Book) HERTEL, Sandra NONFICTION KINGS & rulers
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Geographic Terms: BELGIUM

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