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Hinter festen Mauern. Europas Städte im Mittelalter.

Pauly, Michel
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 81 (2017), S. 307-308
Online review

Hinter festen Mauern. Europas Städte im Mittelalter  BERND FUHRMANN: Hinter festen Mauern. Europas Städte im Mittelalter, Darmstadt: Theiss Verlag 2014, 288 S. ISBN: 978-3-8062-2640-9.

Das reich bebilderte Buch von Bernd Fuhrmann, erweiterte Neuauflage eines 2006 erstmals erschienenen Werkes, besticht durch die resolute Hinwendung zu neueren Ansätzen der Stadtgeschichtsschreibung: Betonung von Wirtschaft und Gesellschaft statt von Recht und Politik, Hervorhebung der herrschaftlichen Förderung des Stadtwerdungsprozesses statt Fokussierung auf kaufmännische Initiativen zur Stadtwerdung, Hinweis auf die Rolle der Ministerialen in der städtischen Führungsschicht, Vermeidung des Patriziats-Begriffs, Darstellung der städtischen Verwaltungsautonomie als begrenzt und reversibel, Marginalisierung von Randgruppen wie Bettlern oder Prostituierten erst ab dem 15. Jahrhundert und anderes mehr. Fuhrmann setzt sich nicht weiter mit der älteren Literatur auseinander: Im Eingangskapitel zu definitorischen Merkmalen einer Stadt greift er zum Teil wörtlich die Stadt-Definition von Franz Irsigler auf (S. 8; ohne allerdings die Quelle zu nennen); im 5. Teil über städtische Sozialstrukturen beruft er sich ausdrücklich auf Erich Maschkes Drei-Schichten-Modell (S. 212). Angesichts dieser Orientierung an jüngeren Forschungsergebnissen überrascht, dass noch von einem "topographischen Dualismus" die Rede ist (S. 31), wobei im selben Satz das Nebeneinander von Burg, Kaufleute- und (!) Handwerkersiedlung erwähnt wird. Auch die (nicht nur) im Buchtitel prominent hervorgehobene Bedeutung der Stadtmauern kann leicht in die Irre führen: Es gab vor allem in Osteuropa, das allerdings (bis auf Kiew) weniger gut im Buch vertreten ist, auch nichtummauerte Städte.

Fuhrmann berücksichtigt wie im Untertitel angegeben in den drei ersten Teilen die urbane Entwicklung in ganz Europa. Neben vielen deutschen Städten, unter denen Köln, Worms, Trier, Nürnberg, Lübeck, Regensburg u.a. hervorstechen, gehen einzelne Kapitel auf Kiew, Venedig, London und Paris ein. Doch auch die dichten Städtenetze in Italien und in den (mittelalterlichen) Niederlanden sowie das lockerere Netz auf den britischen Inseln werden besprochen, während die iberische Halbinsel nur sporadisch Erwähnung findet. Umso befremdlicher ist, dass das Literaturverzeichnis nur deutschsprachige Werke (außer je drei auf Englisch zu Italien und zu den Niederlanden) aufführt, nicht aber z.B. das meisterliche Buch von Patrick Boucheron über das auf dem Buchumschlag abgelichtete Fresko vom ,buon governo' in Siena. Die zwei letzten Teile über ,die kommerzielle Revolution' und .städtische Sozialstrukturen' sind hingegen fast exklusiv auf das römisch-deutsche Reich zentriert. Gerade bei der zu Recht hervorgehobenen Bedeutung des Handels und der Messen und Jahrmärkte vermisst man die Verflechtung des Fernhandels über die Reichsgrenzen hinaus.

Die Betonung der wirtschaftlichen Funktionen und sozialen Gruppierungen der mittelalterlichen Städte, neben ihrer baulichen Gestalt, führt dazu, dass auch nicht rein urbane Aspekte wie das Münzwesen, die Verkehrsinfrastruktur, das Messegeschehen oder das Kreditwesen thematisiert werden. Dass Hörigkeit auch in den Städten weiterbestand, wird vielleicht etwas zu sehr hervorgehoben (S. 168-171), umso mehr als die Stadtfreiheit (im Sinne von Verwaltungsautonomie und von Bürgerfreiheiten) fast 100 Seiten vorher behandelt wurde (S. 85-87). Die in diesem Zusammenhang erwähnte Formel von "frei nach Jahr und Tag" (S. 169) hätte auch eine Präzisierung verdient, um den Eindruck zu vermeiden, es seien 366 Tage gemeint.

Ohne Ortsregister, aber mit 169 Bildern und vielen Begriffserklärungen in Kästen sowie ein paar biografischen Skizzen ist das schöne Buch eher als Lesebuch fürs große Publikum denn als Nachschlagewerk für Fachleute oder Studierende gedacht. Doch die Bebilderung wird ohne quellenkritische Angaben (Datierung, Autor, Auftraggeber, dargestellte Stadt …) geboten. Gerade eine solche Kontextualisierung könnte aber auch einem größeren Publikum erlauben, sich bewusst zu werden, dass jede historische Darstellung ein quellenabhängiges Konstrukt ist. Bilder, die häufig aus anderen Epochen stammen als der Text, neben dem sie stehen, können liingegen falsche Assoziationen wecken. So wurde z.B. der Abschnitt über die Frühgeschichte Hamburgs mit einer Buchmalerei aus dem 15. Jahrhundert illustriert (S. 30); warum nicht mit den plastischen Modellen zur Stadtentwicklung aus dem Museum für Hamburgische Geschichte? Solche Bedenken gelten nicht nur für das Frühmittelalter, das schon mit einem anachronistischen Auszug aus Lamperts von Hersfeld Darstellung vom Kölner Aufstand im Jahr 1074 eingeleitet wird (S. 7), der zu Recht erst im Kapitel über das 10. bis 13. Jahrhundert thematisiert wird (S. 63f.).

Das Lektorat hätte man sich sorgfältiger gewünscht auch in Bezug auf die Abschnitts- und Zwischentitel: Der Abschnitt über ,Die Stadt und ihr Umland' (S. 267ff.) gehört nicht in den Schlussteil über Sozialstrukturen. Ein mit Handelsgesellschaften und Massenhandel' überschriebener Abschnitt (S. 99f.) behandelt die Ausdifferenzierung von Gewerbe und Handwerk, wird dann von einem Abschnitt mit dem Titel,Handel über die Berge' zum transalpinen Handel abgelöst, in dem aber weiterhin vom Handwerk und seinen innerstädtischen Standorten die Rede ist. In einem Abschnitt über Bayern (S. 114f.) behandeln die fünf letzten Zeilen -- ohne Absatz -- Ostfriesland. Im Kapitel über die Niederlande im Spätmittelalter (S. 152f.) geht es kunterbunt -- auch ohne Absatz -- zunächst um Antwerpen, dann um den zunehmenden Einfluss der Städte auf das Umland; anschließend wird die europaweite Hungersnot von 1315 bis 1322 erwähnt, gefolgt vom Aufstieg des Brauereiwesens, bevor ein Satz dem Lebensstandard gewidmet ist und am Schluss auf sozialtopografische Abgrenzung hingewiesen wird. Ein Satz wie folgender: "Neben der Herstellung von Wolltuchen in den Zentren Aachen und Köln dominierte diese [?] ebenso [?] im Reichsgebiet, denn [?] Flachs und Hanf wuchsen vielerorts" (S. 198) ist schlicht unverständlich.

Diskutieren könnte man auch über einige Details wie die Aussage, dass Dorestad aufgegeben, Haithabu hingegen verlegt wurde (S. 26): Kann man denn nicht Tiel als Nachfolgeemporie von Dorestad ansehen? Die Transkription von herttel pyreprew vom Bild Nr. 106 ist fehlerhaft. Angesichts des Zielpublikums sind das aber unbedeutende Kleinigkeiten. Mit seiner reichen Bebilderung und leicht lesbaren Darstellung erfüllt das Buch vollauf die Wünsche der anvisierten Leserschaft, ohne den Fachmann zu häufig zu frustrieren.

By Michel Pauly, Luxemburg

Titel:
Hinter festen Mauern. Europas Städte im Mittelalter.
Autor/in / Beteiligte Person: Pauly, Michel
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 81 (2017), S. 307-308
Veröffentlichung: 2017
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • HINTER festen Mauern: Europas Stadte im Mittelalter (Book)
  • FUHRMANN, Bernd
  • CITIES & towns
  • NONFICTION
  • URBAN history
  • EUROPE
  • Subjects: HINTER festen Mauern: Europas Stadte im Mittelalter (Book) FUHRMANN, Bernd CITIES & towns NONFICTION URBAN history
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Geographic Terms: EUROPE
  • Full Text Word Count: 920

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