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Adelige Frauen der Renaissance auf der Suche nach Freundschaft und Liebe.

Heuser, Peter Arnold
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 81 (2017), S. 334-336
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Adelige Frauen der Renaissance auf der Suche nach Freundschaft und Liebe  CHRISTINE MAES-DESMET: Adelige Frauen der Renaissance auf der Suche nach Freundschaft und Liebe. Die Töchter Herzog Wilhelms V. von Jülich-Kleve-Berg im Briefwechsel mit Margaretha von der Marek-Arenberg (Jülicher Forschungen 10; Montanus -- Schriftenreihe zur Lokal- und Regionalgeschichte in Leverkusen 15), Goch: Pagina Verlag 2016, 224 S. ISBN: 978-3-944146-69-0.

Die angezeigte Studie aus der Feder von Christine Maes-De Smet aus Gent wurde 2016 im Rahmen der Gedenkveranstaltungen für Herzog Wilhelm V. von Jülich, Kleve und Berg, Grafen von der Mark und Ravensberg, Herrn zu Ravenstein (1516-1592) publiziert. Herzog Wilhelm V. der Reiche wurde 500 Jahre zuvor, am 28. Juli 1516, in Düsseldorf geboren und regierte das jülich-klevische Territorienkonglomerat am Rhein, im Maasland und in Westfalen von 1539 bis 1592 als ein typischer Mehrfachherrscher der Frühen Neuzeit. Der Jülicher Geschichtsverein 1923 e.V. und der Opladener Geschichtsverein von 1979 e.V. in Leverkusen legten die Studie im Rahmen ihrer gemeinsamen Themen· und Veranstaltungsreihe Jülich-Bergische Herzöge der Renaissance und des Barock' in einem opulent ausgestatteten Druck mit 39 Abbildungen vor, finanziell unterstützt durch die herzogliche Arenberg-Stiftung und den Landschaftsverband Rheinland.

Der Publikation liegt eine belgische Staatsarbeit in flämischer Sprache von 1998 zugrunde, welche die Arenberg-Stiftung im Jahre 2000 mit dem Arenberg-Preis auszeichnete. Erst 18 Jahre nach ihrer Fertigstellung, 2016, kommt sie zum Druck, aus dem Flämischen übertragen von José Maßmann unter Mitarbeit von Myriam Woischnik; die Übertragung aller französischsprachigen Briefzitate übernahmen Véronique Kentzinger und Catharine Wagner. Die Publikation erfolgt ohne Überarbeitung, mithin auf dem Diskussions- und Literaturstand von 1998. Ein vorgeschaltetes ,Editorial' (S. 7-10) der beiden Herausgeber Guido von Büren und Michael D. Gutbier schlägt eine Brücke zur Gegenwart und gibt Hinweise auf relevante neuere Literatur und Forschungskontexte.

Die textlich unveränderte Publikation einer 18 Jalire alten geschichtswissenschaftlichen Staatsarbeit ist in der wissenschaftlichen Community unserer Zeit durchaus ungewöhnlich. Im vorliegenden Fall gebührt den beiden Herausgebern, ebenso den Geldgebern, aber unbedingt Dank und Anerkennung dafür, die Arbeit von Frau Maes der Wissenschaft und einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben. Denn die Studie leistet in der Tat, wie die Herausgeber in ihrem ,Editorial' betonen, "einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des jülich-klevischen Hofes im 16. Jahrhundert" (S. 7). Frau Maes beabsichtigt, "die gesellschaftliche Stellung, die Geisteshaltung und das Selbstbild der weiblichen Mitglieder des Hochadels in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu untersuchen" (S. 11). Unter dieser Fragestellung wertet sie sehr facettenreich die reichen Korrespondenzen aus, welche die vier Schwestern Maria Eleonore (1550-1608), Anna (1552-1632), Magdalena (1553-1633) und Sibylla (1557-1627) von Jülich-Kleve-Berg, die vier Töchter Herzog Wilhelms V., mit ihrer Fernverwandten führten, der gefürsteten Gräfin Margaretha von der Marck-Arenberg (15271599), der,Stammmutter' des dritten Hauses Arenberg des Stammes Ligne. Die Autorin schöpft ihre Erkenntnisse vor allem aus ungedrucktem Archivgut, das im Arenbergischen Archiv im belgischen Edingen/Enghien liegt, für den landeskundlichen Interessenten am Niederrhein und in Westfalen insofern nur schwer zugänglich ist und deshalb bislang selten Gegenstand der Forschung war. Peter Neu nutzte inzwischen den reichen Fundus der Privatkorrespondenzen wie auch der Verwaltungskorrespondenz der Gräfin, um ein Lebensbild Margarethas zu publizieren[1]: Beide Arbeiten ergänzen sich und tragen wesentlich zur Hebung der Schätze bei, die das Archiv des Herzogshauses Arenberg in Edingen für die Geschichtswissenschaft birgt.

Frau Maes fokussiert ihre Studie hinsichtlich des ausgewerteten Quellenkorpus auf die Edinger ,Frauenkorrespondenz' (S. 12, 14f.) zwischen den Jungherzoginnen und Margaretha, inhaltlich auf die Themen Eheschließung und Freundschaft. Die Kapitel 1 und 2 bieten wertvolle Einsichten, wie hochadelige Frauen der Renaissance die Zwänge, aber auch die Chancen dynastischer Heiratspolitik erlebten, und referieren quellennah aus der Innensicht ihrer Korrespondenz mit Gräfin Margaretha von der Marck-Arenberg, die sie in ihren Briefen vertraulich als ihre Verwandte ansprachen, etwa als hertz liebe momme (S. 63; momme = Muhme, d.i. Tante, Base, Verwandte). Alle Eheprojekte, die Frau Maes untersucht, waren politisch motiviert. Die Verfasserin legt einen Schwerpunkt der Untersuchung (S. 59-123) auf jenes Heiratsprojekt zwischen den Häusern Jülich-Kleve-Berg und Arenberg, das die gefürstete Gräfin Margaretha in den 1570er und 1580er Jahren vergeblich zu realisieren versuchte und für das die Quellenbasis im Arenbergischen Archiv in Edingen besonders reidihaltig ist: Durch eine Heirat ihres Sohnes Karl von Arenberg (1550-1616) mit Sibylla, der jüngsten Tochter Herzog Wilhelms V., sollte das Haus Arenberg dynastisch aufgewertet werden. Sibylla selbst stand einer Eheschließung mit Karl sehr positiv gegenüber. Der Heiratsplan scheiterte schließlich am Widerstand des Kaisers und der jülich-klevischen Räte, und Sibylla wurde erst 1601 verheiratet, im Alter von 44 Jaliren: mit Markgraf Karl von Burgau (1560-1618), einem Sohn Erzherzog Ferdinands von Österreich aus dessen unstandesgemäßer Ehe mit Philippine Welser. Karl hingegen, der Stammhalter des Hauses Arenberg, heiratete 1587 Anna von Croy (1564-1635), die Erbtochter des Herzogs von Aarschot und Fürsten von Chimay, welche die Herzogswürde von Aarschot an das Haus Arenberg brachte. Einfühlsam und facettenreich legt Frau Maes die innen- und außenpolitischen Rücksichten dar, denen die Heiratsprojekte jeweils Rechnung zu tragen hatten, stellt die Frage nach dem Mitbestimmungsrecht der Heiratskandidaten wie auch nach ihren Emotionen und Gedanken, studiert am Fallbeispiel Jülich-Kleve-Berg den politischen Einfluss adeliger Frauen im 16. Jahrhundert und erarbeitet aus den Brieftexten ein differenziertes Persönlichkeitsbild besonders jener Sibylla von Jülich-Kleve-Berg, die bislang vor allem durch ihr angespanntes Verhältnis zu ihrer Schwägerin Jakobe von Baden landesgeschichtlich Beachtung gefunden hat.

Im dritten Hauptkapitel widmet sich die Autorin dem Brief als einem Medium hochadeliger Freundschaftspflege. Sie berücksichtigt die Implikationen, welche die Zustellungspraxis durch Briefboten hatte, vor allem unter den Aspekten Zensur und Selbstzensur, die interessante Einblicke in jene Atmosphäre aus Intrigen und Misstrauen geben, die damals am jülich-klevischen Hof herrschte. Weitere Unterkapitel gelten dem Austausch von Geschenken und Dienstleistungen zwischen Angehörigen des hohen Adels, außerdem zentralen Abschnitten im Leben der hochadeligen Frau: den Hochzeitsvorbereitungen, Schwangerschaft und Geburt, Krankheit und Tod. Die gefürstete Gräfin Margaretha von der Marck-Arenberg, die an europäischen Fürstenhöfen eine gesuchte Expertin für Modefragen und Modetrends war, übernahm es, im Rahmen der Eheschließungen der drei ältesten Töchter Herzog Wilhelms V. jeweils die Aussteuer zusammenzustellen. Ihre Korrespondenz mit den herzoglichen Töchtern gibt ebenso intime wie facettenreiche Einblicke in die Kulturgeschichte des jülich-klevischen Hofes in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Bildtafeln, das Quellen- und Lite- raturverzeiclinis sowie ein Orts- und Personenindex runden die Studie ab.

Leider verwenden weder die Autorin noch die Herausgeber der Studie ausreichend Energie darauf, jene Personen am Hofe von Jülich-Kleve-Berg zu identifizieren, welche in den Korrespondenzen genannt werden. Das ist insofern misslich, als es die kulturgeschichtliche Fragestellung der Studie eigentlich erfordert, relevante Personenbeziehungen und Parteiungen bei Hofe bestmöglich aufzuklären. Adelige Höflinge sind in den Briefen, die Frau Maes auswertet, häufig allein nach dem Burgsitz ihrer Familie oder nach einer Herrschaft benannt, die im Besitz der Familie war. Das reichte im Adressatenkreis der Briefe, nicht aber für heutige Leser, völlig aus, um die gemeinte Person eindeutig zu bestimmen. So ist es wenig hilfreich, jene adelige Dame Uelenbroch, Oullenbrouch oder Oulen- brough, die Sibylla von Jülich-Kleve-Berg als vertraute Kammerfrau diente, auch im Register unter Uelenbroch etc. verzeichnet zu finden. Sinnvoll wäre es gewesen, sie zu identifizieren: als einen Spross der bergischen Adelsfamilie Staël von Holstein auf Eulenbroich bei Rösrath, deren prominente Präsenz im Hofdienst der Jungherzogin die Korrespondenz Sibyllas mit Gräfin Margaretha von der Marck-Arenberg bezeugt. Und der auf S. 78 erwähnte Herr von Weingertzrat ist kein Geringerer als der Jülicher Landhofmeister Werner von dem Bongart (+1599) zu Paffendorf, Herr zu Wijnandsrade (bei Nuth, Nederlands-Limburg), Erbkämmerer des Herzogtums Jülich und Amtmann zu Bergheim, eine wichtige Persönlichkeit der jülich-klevischen Hofgesellschaft, die Frau Maes auf S. 93f. als Landhofmeister auch namentlich erwähnt, ohne die Identität mit Weingertzrat offenzulegen. Die auf S. 56 genannte Catharina von Arnstel ist Katharina von Siegenhoven genannt Anstel. Und jene Familie von Behlen (S. 77), in welche Margaretha, Tochter des einflussreichen bergischen Hofmarschalls, herzoglichen Rates und Amtmanns zu Düsseldorf und Angermund Dietrich von der Horst, einheiratete, war die stiftmünsterische Adelsfamilie von Velen: Eine klassische Verlesung des Großbuchstaben ,V' zu ,B' führt hier zu Verwirrung. Haitzfeit (S. 81) ist Hatzfeldt, des kammermister Keldersz hausfraiv (S. 56) die Gattin des Hofbeamten Johann Ketteier. Und Dr. Stephan Brodman (S. 28) ist der Kölner Juraprofessor und Altertumsforscher Stephan Broelman (1551-1622), der aus einer bedeutenden Ratsherren- und Bürgermeisterfamilie der reichsfreien Stadt Köln stammte und wiederholt als Jurist für Margaretha von der Marck-Arenberg tätig wurde. Leider stecken auch die Briefzitate voller offenkundiger Lesefehler. So liest die Autorin in einem Brief, den Herzog Wilhelm V. am 7. Dezember 1577 an Gräfin Margaretha schrieb (S. 62 links oben): gebegenheit für gelegenheit, ferner debfals für desfals und unverweiblichen für unverweislichen. Manche Fehllesungen lassen auch den Rezensenten ratlos und wären am Original zu klären. So schreibt die Jungherzogin Sibylla im Januar 1582 über den Leichenzug ihrer Mutter (nach Frau Maes, S. 156): Sint gar fill vonn Mottell, vonn Rettenn, unnd joungenn joun- ckenn dem hervatter gefolght. Der Personenindex weist dazu zwei fiktive Familien von Mottell und von Rettenn aus, die dem Sarg der Habsburgerin Maria zur Beisetzung in Kleve gefolgt seien. Inhaltlich dürfte Sibylla jedoch in etwa formuliert haben: Sind gar viele von Adel, von den herzoglichen Räten und von den Hofjunkern dem Herrn Vater (= Hg. Wilhelm V.) gefolgt.

Derartige Befunde und Fehllesungen sind ärgerliche handwerkliche Mängel der Studie, doch beeinträchtigen sie die Gesamtwertung des Rezensenten nicht wesentlich: Angezeigt wird eine wertvolle Neuerscheinung zur Geschichte der Häuser Jülich-Kleve-Berg und Arenberg im Renaissancezeitalter, die mit Nachdruck zur Lektüre empfohlen sei.

Footnotes 1 Peter Neu, Margaretha von der Marek (1527-1599) -- Landesmutter -- Geschäftsfrau und Händlerin -- Katholikin, vgl. RhVjbll 78 (2014), S. 336-339.

By Peter Arnold Heuser, Bonn

Titel:
Adelige Frauen der Renaissance auf der Suche nach Freundschaft und Liebe.
Autor/in / Beteiligte Person: Heuser, Peter Arnold
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 81 (2017), S. 334-336
Veröffentlichung: 2017
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • ADELIGE Frauen der Renaissance auf der Suche nach Freundschaft und Liebe: Die Tochter Herzog Wilhelms V. von Julich-Kleve-Berg im Briefwechsel mit Margaretha von der Marek-Arenberg (Book)
  • MAES-de Smet, Christine
  • NOBILITY (Social class)
  • NONFICTION
  • HISTORY
  • Subjects: ADELIGE Frauen der Renaissance auf der Suche nach Freundschaft und Liebe: Die Tochter Herzog Wilhelms V. von Julich-Kleve-Berg im Briefwechsel mit Margaretha von der Marek-Arenberg (Book) MAES-de Smet, Christine NOBILITY (Social class) NONFICTION HISTORY
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Full Text Word Count: 1559

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