Die vorliegende Studie ist die zwischen 2002 und 2009 entstandene Fortführung und Ausweitung einer im Jahr 2000 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf bei Hansgeorg Molitor eingereichten Dissertation. Im Vergleich zur ursprünglichen Version hat der Autor 320 zusätzliche Seiten ergänzt. Neben der Aktualisierung des ergiebigen Literaturverzeichnisses (Forschungsstand 2014) sind zusätzliche Forschungen in Beständen des Landesarchivs NRW, Abteilung Westfalen und des Bayerischen Staatsarchivs Nürnberg festzustellen.
Im Fokus der prosopographischen Studie steht der in der landesgeschichtlichen Forschung zuvor weitgehend unbeachtete Jurist und Rat Petrus Simonius Ritz, welcher insbesondere in Diensten Kurtriers und Pfalz-Neuburgs Anfang des 17. Jahrhunderts Bedeutung erlangte. Ausgehend von dessen 1604 verfasster Autobiographie zeichnet Richter auf Basis umfangreichen Materials aus 18 deutschen und österreichischen Archiven und Bibliotheken die familiären, geographischen, ökonomischen und funktionalen Verflechtungen von 100 Personen mitunter kleinteilig nach. Zeitlich greift er dabei erheblich weiter aus, als es der Titel suggeriert und deckt mit dem Gesamtzeitraum von 1212 bis 1820 über 600 Jahre ab. Das Ziel der Arbeit ist es, ein Querschnitt einer strukturell geprägten Sozialge- scliichte bis zur mikrohistorischen AlltagsgescJiichte zu sein und einen landesgeschichtlichen Beitrag zu einer exemplarischen Gesellschaftsgeschichte zu leisten (S. 23). Ausdrücklich nimmt sie dabei keine traditionelle biograpWsche Perspektive ein (S. 22).
Strukturell entspricht sie im Wesentlichen der Ausgangsstudie. Neben der Einleitung (I) ist die Arbeit in sechs Hauptteile gegliedert: Das Kapitel, Vorfahren und Vorgaben (1212-1562)' (II) beleuchtet die Geschichte und Bedeutung des Hofs Etgendorf als Ausgangs- und Bezugspunkt der Familie und schildert die Lebensläufe der Vorfahren. Dem zentralen Untersuchungsgegenstand widmet sich der Teil,Petrus Simonius Ritz -- Kindheit, Jugend und Bildung (1562-1586)' (III) und zeichnet dessen Lebensweg bis zu seiner Tätigkeit als Jurist in Jülich bis in die 1590er Jahre nach. Der Autor beleuchtet die religiöse Prägung sowie Bildungsweg und Horizont des Protagonisten, bürgerliche Familien' (IV) beschreibt das verwandtschaftliche Umfeld und die Familiengründung von Petrus Simonius Ritz in Jülich sowie die wirtschaftliche Situation der Familie. Darüber hinaus enthält das Kapitel Abschnitte zur Tätigkeit von Ritz als Amtsträger in der Verwaltung der Jülicher Landstände und zu seinem Aufstieg in Diensten Kurtriers, Jülich-Kleve-Bergs und Pfalz-Neuburgs. Der Bedeutung und den Auswirkungen der 1604 erfolgten Nobilitierung und Verleihung des Hofpfalzgrafenamtes an Ritz für die wirtschaftliche und soziale Stellung der Familie bis ins 19. Jahrhundert widmet sich der Teil,Zwischen Bürgertum und Adel (1604-1820)' (V). Den Abschluss bilden ein kurzes Fazit, Rückblick' (VI), und der umfangreiche Anhang (VII). Diese chronologisch aufgebaute Gliederung ist schlüssig und übersichtlich, vermag allerdings Inhalt und Tiefe mancher Abschnitte nur anzudeuten.
Der Autor verfolgt entlang des umfangreichen Quellenmaterials eine Vielzahl an Verästelungen innerhalb der betrachteten Personengruppen und der Lebenswege Einzelner. Unterlegt sind die Ausführungen durchgehend mit teils langen Quellenzitaten. Einerseits belegt dieses Vorgehen die umfangreiche Quellenauswertung und ermöglicht so eine Vertiefung des Hintergrundverständnisses, andererseits erschwert es an mancher Stelle den Lesefluss. Neben Ergänzungen innerhalb der einzelnen Kapitel fallen unter anderem die Beschreibung und Einordnung des von Ritz 1602 in Auftrag gegebenen und 2012 teilweise im Auktionshandel wiederaufgetauchten Triptychons sowie die Beigabe von 15 qualitativ hochwertigen Farbabbildungen und drei herausnehmbaren Stammtafeln als aufwertende Zusätze ins Auge. Besonders hervorzuheben ist das hinzugefügte Orts- und Personenregister. Es ermöglicht dem Leser einen gezielten Zugriff und die Nutzung als Nachschlagewerk.
Die Wechselwirkungen sowohl des Familienverbundes mit der umgebenden Gesellschaft als auch des einzelnen Familienmitglieds mit den es umgebenden Netzwerken werden detailreich dargelegt und die Beziehungsgeflechte in den niederrheinischen Raum eingebettet. Hierbei mag man fragen, ob die Ausführung einiger vom Kern wegführender Exkurse, etwa zu Krankheitsgeschichten oder Erbstreitigkeiten, zielführend sind. Die Gewichtung der zahlreichen Ausführungen ist nicht durchweg nachvollziehbar, an mancher Stelle hätte ein kurzer Verweis auf weiterführende Literatur ausgereicht. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die Studie anschaulich und eng an den Quellen politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen sowie Mobilität, Aufstiegsvorgänge und Charakteristika einer (Bildungs-)Biographie in der Frühen Neuzeit hervorragend analysiert. Entsprechend der eingangs angekündigten Anlage als Querschnitt verschiedener Forschungsfelder bietet sie dabei melirere Anknüpfungspunkte für (landesgeschichtliche) Forschungen.
By Christoph Kaltscheuer, Bonn