Gut Ding will Weile haben -- so kann man nach dem Vorwort des Herausgebers und Mitautoren Kurt Andermann die vorgelegte Veröffentlichung zu Speyrer Stadt- bzw. Standeskleidung um 1600 überschreiben. Ein besonderes Verdienst dieses Vorhabens und der damit verbundenen wissenschaftlichen Erschließung sind die der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemachten Trachten- aquarelle. Deren Einordnung in den alltagskulturellen Zusammenhang bildet einen Schwerpunkt dieser Publikation. In dem Zusammenhang ist der Beitrag von Kurt Andermann zur Situation Speyers um 1600 eine wertvolle Grundlageninformation, die als Hintergrundwissen die in den folgenden Kapiteln erschlossenen Sachgebiete transparenter werden lässt. Durch die Beschreibung der Urbanen Rahmenbedingungen lässt Kurt Andermann den Lebensalltag mit einem politischen, kulturellen und religiösen Fokus lebendig werden und schafft quasi die Bühne, auf der sich die im Folgenden vorgestellten,Lebensräume' der Gewänder im Kontext von Rang und Stand bewegen.
Im nächsten Kapitel wird die ratsfähige Oberschicht der Stadt von Kurt Andermann im Kontext des innerstädtischen, im steten Wandel begriffenen Ranggefüges vorgestellt. Das Kaleidoskop der Berufsstände und die Ausdrucksformen von Rang und Stand in der Architektur bis zur Kleidung werden einbezogen. Als weiteren Fokus stellt Gerhard Fouquet die Bedeutung und Handlungsfelder des Domklerus der Stadt vor: [ ] die Kathedral- und Stiftspfründner sollen beharrlich eine geziemliche Kleidung tragen [ ] wird eine Verlautbarung vom 11. Nov. 1563 des Trienter Konzils zitiert. Auf den dem Artikel folgenden farbigen Abbildungen kann die Tradition in Speyer an den Formen der klerikalen Gewänder betrachtet werden. Leider fehlen direkte Bezüge zu dieser Visualisierung. Anette Baumann beleuchtet in ihrem Beitrag die Jurisprudenz in Speyer um 1600. Anschaulich, unter Einbeziehung von Biographien, erschließt sie Bedeutung und Funktion der städtischen Gerichtsbarkeit, des Reichskammergerichts, im Kontext der Rangordnungen von Kammerrichter, Assessor, Anwalt/ Advokat/ Prokurator. Auch hier wäre ein kurzer Hinweis innerhalb der anschaulichen Beschreibung der gelebten Alltagsfunktion im Text zur Symbolisierung des jeweiligen Ranges in der Kleidung am Beispiel der Trachten hilfreich. Der Einordnung der Trachten widmet sich im letzten Beitrag Jan Ulrich K e u ρ ρ. Betrachtend vom theologischen zum kulturellen Bedeutungszusammenhang im Fokus der Zeit um 1600, werden hier perspektivenreich Grundlagen zur fachlichen Einordnung der textilen Ausdrucksformen von Rang und Stand geschaffen. Im Weiteren geht Jan Ulrich Keupp auf die Erscheinungsformen der in den Aquarellen wiedergegebenen Kleidungsstücke ein, benennt Besonderheiten und kommt zu dem Schluss, dass die Gestaltung der Gewänder prototypisch die Gesinnung einer im städtischen Kontext verwurzelten Bürgerschaft zum Ausdruck bringt. In einer abschließenden kurzen Betrachtung stellt der Herausgeber und Mitautor Kurt Andermann die Handschrift vor, der die Darstellungen entnommen wurden.
Das Buch ist eine kurzweilige und im positiven Sinne lehrreiche Lektüre, wozu sicher auch die farbigen Abbildungen beitragen. Wünschenswert wären Angaben von direkten Quellenverweisen und -bezügen für die wissenschaftliche Weiterführung und zur Integration in wissenschaftlichen Expertisen im Text der Fachaufsätze. Wenn auch im Schwerpunkt an eine wissenschaftliche Adressatengruppe gerichtet, so ist es gerade für die interessierte Laiin/ den interessierten Laien zu empfehlen -- denn Kleidung ist bis heute ein Statussymbol (wenn auch in veränderten gesellschaftlichen Kontexten): Gut zu wissen, dass dies eine,Geschichte' hat!
By Marieluise Kliegel, Weingarten