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Das Kloster Fulda und seine Urkunden.

Bischoff, Frank M.
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 81 (2017), S. 446-448
Online review

Das Kloster Fulda und seine Urkunden  SEBASTIAN ZWIES (Hg.): Das Kloster Fulda und seine Urkunden. Moderne archivische Erschliefiung und ihre Perspektiven fiir die historische Forschung (Fuldaer Studien 19), Freiburg, Basel, Wien: Herder 2016, 381 S. ISBN: 978-3-451-30695-2.

Der Band vereinigt 17 Beitràge und geht zuruck auf eine Tagung am 22. und 23. Màrz 2014 in Fulda zum Abschluss eines DFG-Projekts zur Online-Erschliefiung des Urkundenbestands der Reichsabtei Fulda. Wie die Verantwortlichen der Tagung, Andreas Hedwig, Christoph Gregor Mii11er und Thomas Hei1er, in ihrem Vorwort (S. IX-XI) darlegen, wurden im Zuge des Projekts 2.439 Urkunden aus dem Bestand ,Urkunden 75 -- Reichsabteil Fulda' des Staatsarchivs Marburg aus der Zeit von 751 bis 1837 als Vollregesten mit hochwertigen Abbildungen verkniipft und online ge- stellt. In seiner Einfiihrung gibt der Leiter des Hessischen Landesarchivs, Andreas Hedwig, einen Uberblick iiber den Fuldaer Urkundenbestand und das Projekt und skizziert die Fragestellungen, die mit der Tagung und dem vorliegenden Tagungsband intendiert waren (S. 1-13). Neben vielen ge- schichtswissenschaftlichen Anliegen zielte eine Kernfrage gerade aus archivischer Perspektive auf die Bedeutung der uneingeschrànkten Online-Zugànglichkeit eines derart tief erschlossenen und mit qualitativ hochwertigen Digitalisaten verknupften Bestandes fiir die historische Forschung.

Dass die Vertreter der Historischen Hilfswissenschaften iiber die digitale Bereitstellung von Urkundenabbildungen im World Wide Web frohlocken, ist dem Stoff der Disziplin geradezu immanent. Mark Mersiowsky gibt in seinem Beitrag zur Diplomatik im analogen Zeitalter einen Uberblick iiber die verschiedenen reprographischen Techniken, die seit Mabillon eingesetzt wurden, um Urkunden abzubilden und so einen Vergleich zu ermoglichen, die Basis der diplomatischen Methode (S. 17-45). Francesco Roberg befasst sich mit der Herstellung des Textes und hebt unter anderem auf den Unterschied zwischen wissenschaftlichen und archivischen Regesten ab. Wenn archivische Regesten nicht den Anspruch autoritativer Texte im wissenschaftlichen Sinne erfullen, ist durch die Verkniipfung mit den digitalen Abbildungen der Urkunden gegeniiber dem Benutzer immerhin ein hohes Mafi an Transparenz und Nachpriifbarkeit geschaffen (S. 46-60).

Sechs Beitràge befassen sich mit einzelnen hilfswissenschaftlichen Fragestellungen. Thomas Vogtherr geht den Libellen in der Fuldaer Uberlieferung nach, also den seit dem Spàtmittelalter aufkommenden und in der fruhen Neuzeit sich zunehmend verbreitenden mehrseitigen Urkunden (S. 63-83). Ob es sich hier tatsàchlich um eine Ubergangsform zwischen Urkunde und Akte handelt, verdient sicherlich weitere Untersuchungen. Thomas F r e n z gibt anhand der Empfàngeriiberliefe- rung des Klosters Fulda einen Uberblick iiber die neuzeitlichen Arten der Papsturkunden (S. 84-100). Andreas Meyer weist in seinem ebenfalls den Papsturkunden gewidmeten Beitrag darauf hin, dass die Ausstellung von Urkunden sehr haufig durch Petenten initiiert wurde und auf entsprechenden Suppliken fufite und insofern kaum als persònliche Willensbekundung des Papstes betrachtet wer- den darf. Neben kanzleigeschichtlichen Quellen wiirde bereits die schiere Masse der pàpstlichen Urkunden deutlich machen, dass der Papst zumeist nicht interveniert haben kann (S. 101-118). Die Uberlegung, dass die urspriingliche Gesamtmenge ausgestellter Papsturkunden sich -- vereinfacht ausgedriickt -- als gewichtetes Produkt der in den Registern tiberlieferten Stiicke und der aus anderer Uberlieferung bekannten Urkunden hochrechnen liefie (S. 104), diirfte dagegen methodisch schwer zu begriinden sein. Andrea Stieldorf geht der Besonderheit der bereits im 11. Jahrhundert von Konvent und Abten in Fulda getrennt gefiihrten Siegeln nach. Sie verdeutlicht, dass die Wahl des Siegelbildes Rang und Autoritat der Abte und ihren Status als zur Fiihrungsschicht des Reichs zuge- horig zum Ausdruckbringt (S. 119-143). Irmgard Fees und Magdalena Wei 1 eder untersuchen die Notarsurkunden im Fuldaer Bestand und stellen fest, dass bereits relativ friih, nàmlich seit den 1270er Jahren, Notarsaktivitàten auf fuldischem Gebiet erkennbar sind und dass sich urkundliche Mischformen zwischen Siegelurkunde und Notariatsinstrument herausgebildet haben, die nicht als Ubergangsformen einzustufen sind, sondern gezielt verwendet wurden (S. 144-164). Holger Thomas Graf bietet eine Quellenkunde zum Urkundentypus der Grenzrezesse, die das Einvernehmen zweier Obrigkeiten bezuglich des Verlaufs einer Grenze zum Gegenstand haben (S. 165-182).

Den hilfswissenschaftlichen Beitragen folgen zwei inhaltlich orientierte Abschnitte zu den Grund- lagen und Strukturen der Herrschaft und zu den Bedingungen und der Konkretisierung der Herr- schaft. Enno Biinz befasst sich mit den wirtschaftlichen Bedingungen des monastischen Lebens (S. 185-219), Bettina B r a u n mit der geistlichen Funktion des Fuldaer Abts (S. 220-230) und Johannes Merz mit Privilegien als Herrschaftsgrundlage in den geistlichen Fùrstentumern Fulda und Wiirz- burg, deren Erneuerung immer wieder von verschiedenen Herrschern erbeten wurde, ohne dass damit neue Rechte oder Besitzungen verkniipft gewesen waren (S. 231-247). Alexander Jendorff beleuchtet das oft schwierige Verhaltnis zwischen hessischem Niederadel und fuldischem Landes- herrn (S. 251-267), Christine Rein le verfolgt die Konflikte und Fehden zwischen Fiirstabt und Niederadel im Spatmittelalter (S. 268-289) und Ludolf Pelizaeus widmet sich in seinem Beitrag der Gerichtspraxis und dem Gerichtswesen im Fuldaer Territorium (S. 290-308). Der Beitrag von Franz B rend le iiber den Fiirstabt von Fulda im politischen und zeremoniellen Gefiige des Alten Reichs bildete den Abendvortrag bei der Tagung, und ist als solcher im vorliegenden Band separat gestellt (S. 309-322). Natiirlich wird bei diesen Beitragen sehr deutlich, dass die Erforschung geschichtswis- senschaftlicher Fragestellungen nie nur auf einen Archivbestand beschrànkt sein kann.

Gleichwohl heben manche Autoren hervor, dass die Onlineverfiigbarkeit des Fuldaer Urkunden- bestands eine erhebliche Erleichterung fiir die Forschung darstellt. Kritisch setzt sich insbesondere Ludolf Pelizaeus mit dem Bedarf der Forschung und den Angeboten der Archive auseinander und unterstreicht, dass viele Portale es schwierig machen, sich zurechtzufinden, umfangreiche archivische Verzeichnungen einem raschen Uberblick iiber einen Bestand im Wege stehen und dass vor allem Terminologie und komfortable Suchfunktionalitaten fiir den Erfolg einer Recherche grund- legend seien. Wenn er Regesten als Pflicht und Digitalisate als Kiir einstuft, trifft sich diese Einschàt- zung zumindest mit Mersiowskys Urteil iiber den Bedarf hinsichtlich neuzeitlicher Akten, wahrend Alexander Jendorff gleich auf der ersten Seite seines Beitrags als Fruhneuzeit-Historiker eine digitale Aufnahme ganzer Aktenbestànde reklamiert. In seiner Zusammenfassung der Beitràge (S. 323-328) unterstreicht Mark Mersiowsky den Ertrag der Tagung, der gerade auch der erhohten Zugang- lichkeit der Quellen geschuldet sei. Als Bestarkung des Hessischen Landesarchivs und aller anderen Archive, die ihre Digitalisierungsbemiihungen in den letzten Jahren erhòht haben, liest sich Mersiowskys Wunschliste: Digitalisierung des Fuldaer Chartulars, des Codex Eberhardi und der an Bayern, Hessen-Darmstadt, Sachsen und Thiiringen im 19. Jahrhundert abgegebenen Fuldensia.

Der Band hat viele Einblicke und Anregungen in verschiedene geschichtswissenschaftliche Diszi- plinen und Zeitschichten gebracht. Natiirlich bildet die Geschichte des Klosters Fulda den roten Faden. Das eigentliche Alleinstellungsmerkmal dieses Bandes ist aber, dass hier 17 Historiker ver- sammelt sind mit dem Anliegen, ihre jeweils spezifischen Fragen anhand eines online mit Regesten und Abbildungen verfiigbaren Urkundenbestands zu verfolgen. Wenn das auch nicht bei alien ge- schichtswissenschaftlichen Beitragen deutlich zum Ausdruck gelangt, so ist das Anliegen der Orga- nisatoren der Tagung doch im Wesentlichen erfolgreich umgesetzt. Bleibt noch darauf hinzuweisen, dass der verdienstvolle Band mit Orts- und Personenregister sowie einem Register der erwàhnten Urkunden ausgestattet ist.

By Frank M. Bischoff, Bischoff

Titel:
Das Kloster Fulda und seine Urkunden.
Autor/in / Beteiligte Person: Bischoff, Frank M.
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 81 (2017), S. 446-448
Veröffentlichung: 2017
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • DAS Kloster Fulda und seine Urkunden: Moderne archivische Erschliessung und ihre Perspektiven fur die historische Forschung (Book)
  • ZWIES, Sebastian
  • MONASTERIES
  • NONFICTION
  • HISTORY
  • Subjects: DAS Kloster Fulda und seine Urkunden: Moderne archivische Erschliessung und ihre Perspektiven fur die historische Forschung (Book) ZWIES, Sebastian MONASTERIES NONFICTION HISTORY
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Full Text Word Count: 1111

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