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Sigurd Sørlie, Solkors eller Hakekors. Nordmenn i Waffen-SS 1941–1945, Oslo: Dreyers forlag 2015, 626 S., NOK 349.00 [ISBN 978-82-8265-139-4].

Moll, Martin
In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 77 (2018-05-01), Heft 1, S. 273-276
Online review

Sigurd Sørlie, Solkors eller Hakekors. Nordmenn i Waffen-SS 1941–1945, Oslo: Dreyers forlag 2015, 626 S., NOK 349.00 [ISBN 978-82-8265-139-4] 

Sigurd Sørlie, Solkors eller Hakekors. Nordmenn i Waffen-SS 1941–1945, Oslo : Dreyers forlag 2015, 626 S., NOK 349.00 [ISBN 978-82-8265-139-4]

In praktisch allen von Deutschland während des Zweiten Weltkrieges ganz oder teilweise besetzten Staaten wurden Freiwillige zum Dienst in den deutschen Streitkräften oder für Hilfsverbände der Polizei angeworben, meist in organisatorischer Einbindung in die Waffen-SS, die Polizei oder die Allgemeine SS. Wenig verwunderlich ist, dass diese ausgeprägte Form der Kollaboration mit dem Okkupanten nach dem Krieg für lange Zeit heiß umstritten war; viele der geworbenen Freiwilligen wurden zum Teil drakonisch bestraft, was bei ihnen einen starken Rechtfertigungsdruck erzeugte. In kaum einem anderen Land lassen sich diese Vorgänge so intensiv beobachten wie in dem im Frühjahr 1940 von der deutschen Wehrmacht eroberten Norwegen, wo sich bei einer Gesamtbevölkerung von rund drei Millionen bis 1945 etwa 4500 Männer freiwillig zum Kriegsdienst auf deutscher Seite meldeten.

Ihrem Schicksal im weitesten Sinn widmet sich die überarbeitete Fassung der 2015 an der Universität Oslo angenommenen Dissertation von Sigurd Sørlie, der bescheinigt werden kann, dass sie mit Akribie sämtliche denkbaren, publizierten und unpublizierten Quellen (zeitgenössische deutsche Akten, Presseberichte, Nachkriegsaussagen, Tagebücher, Feldpostbriefe) in Archiven in Norwegen, Schweden, Großbritannien, der Bundesrepublik, den USA und in Tschechien ausgewertet hat. Die Arbeit wird deshalb lange das Standardwerk zu diesem Thema bleiben – umso mehr, als die differenzierte, vermittelnde Position, die Sørlie in dem erwähnten Disput über Motive und Rolle der norwegischen Freiwilligen einnimmt, für beide Seiten akzeptabel sein dürfte und jedenfalls nicht geeignet ist, die jahrzehntelang geführte Kontroverse neuerlich zu befeuern.

Mit dem Titel »Sonnenkreuz oder Hakenkreuz« nimmt Sørlie Bezug auf eine zentrale Fragestellung seiner Dissertation wie auch des Nachkriegsdiskurses: Welche Motive trieben tausende junge Norweger zu den deutschen Rekrutierungsstellen? War es die Identifikation mit den »großgermanischen« Zielen des Okkupanten bzw. der SS, symbolisch verkörpert durch das Hakenkreuz, oder fühlten sich die Rekruten mehr der einheimischen Kollaborationspartei Nasjonal Samling unter ihrem Führer Vidkun Quisling verpflichtet, die mit dem Sonnenkreuz nicht nur ein aus eigenen nationalen Traditionen stammendes Symbol verwendete, sondern gegenüber den Besatzern einen Kern norwegischer Unabhängigkeit und Selbstständigkeit auch nach dem erwarteten deutschen Sieg aufrechtzuerhalten suchte? Nicht wenige Freiwillige gaben nach Kriegsende, aber auch schon während des Krieges an, zum letztgenannten Ziel durch ihren Kampfeinsatz einen Beitrag leisten zu wollen. Darüber hinaus wurde für die Zeit ab Sommer 1941 ins Treffen geführt, man habe an der Niederringung der auch Norwegen drohenden kommunistischen Gefahr mitwirken und dem finnischen Brudervolk zur Seite stehen wollen.

Sørlie stellt diese Motive nicht in Abrede. Nicht weniger wichtig seien jedoch Abenteuerlust, der Ausweg aus wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit, sozialer Druck durch gleichgesinnte Freunde und Verwandte sowie die seitens der Nasjonal Samling artikulierte Erwartungshaltung gewesen – ein bedeutender Faktor, da der Großteil der Freiwilligen schon vor ihrer Meldung ein enges Verhältnis zur Quisling-Partei unterhielt bzw. ihr als Mitglied angehörte. Damit entsteht ein deutlich facettenreicheres Bild als bisher, war dieses doch von einer Schwarz-Weiß-Zeichnung (niederträchtige Landesverräter gegen Idealisten und Patrioten) geprägt. Zu begrüßen ist jedenfalls die – in diesem breiten Kontext – erstmalige wissenschaftlich-kritische Aufarbeitung einer Thematik, zu der in der Vergangenheit auffallend zahlreiche Beiträge von Betroffenen bzw. Amateuren vorgelegt wurden.

Aus dem inhaltlichen Reichtum dieser voluminösen, ansprechend illustrierten und gut gegliederten Studie können hier nur einige Schwerpunkte hervorgehoben werden. Nach einer Einleitung vermittelt das erste Kapitel (mit einer für Leser aus dem deutschen Sprachraum zu großen Ausführlichkeit) Basiswissen über Gründung, Ausbau und Ideologie der SS, bevor deren Rekrutierungspolitik in West- und Nordeuropa ab 1940 behandelt wird. Reichsführer-SS Heinrich Himmler verfolgte (was man schon wusste) sowohl sogenannte rassepolitische als auch machtpolitische Ziele, da die von ihm gewünschte Expansion der bewaffneten SS-Verbände mit dem in Deutschland seitens der Wehrmacht zugestandenen Rekrutenkontingent nicht erfolgen konnte. Weitere Kapitel untersuchen den geografischen, sozialen und politischen Hintergrund der Freiwilligen, den konkreten Anwerbeprozess samt den hiermit verbundenen (selten eingehaltenen) deutschen Versprechungen und Angeboten sowie die tatsächliche Ausbildung für den Kriegsdienst, die entgegen den Erwartungen der Rekruten nicht in Norwegen, sondern in Trainingslagern der Waffen-SS im Reich erfolgte, was zu Friktionen und Unzufriedenheit führte. In diesem Kontext wird ferner die den Rekruten zuteil gewordene weltanschauliche Schulung im Geist der SS dargestellt.

Eine Schwierigkeit der Darstellung besteht darin, dass die Norweger nicht in einem Verband zusammengefasst wurden, sondern in der Zeit zwischen Herbst 1940 und dem Kriegsende in unterschiedlichen, nur teilweise parallel existierenden Einheiten Dienst taten: Legion Norge, SS-Division »Wiking«, Standarte bzw. Regiment Nordland, Polizeikompanien, Schijägerbataillon und andere; Versetzungen und Überführungen kamen selbstredend häufig vor. Viele Fragen werden für jeden dieser Truppenkörper gesondert untersucht, was zwar zu differenzierten Befunden führt, die Darstellung aber in die Länge zieht. Eine zentrale Rolle nimmt das fünfte Kapitel zu den Erlebnissen der Freiwilligen vor allem an der deutsch-sowjetischen Front bzw. im besetzten Hinterland, sekundär auch auf dem Balkan ein. Zur Sprache kommen unter anderem das Leben an der Front, Haltung und Umgang der Norweger mit der ortsansässigen Zivilbevölkerung, Fragen der Aufrechterhaltung der Disziplin bzw. Verstöße gegen sie, die Rolle von deutschen und norwegischen Vorgesetzten und vieles mehr. Das sechste Kapitel geht nochmals auf das Weltbild der Freiwilligen ein und fragt, ob sich diese mehr dem großgermanischen Gedanken oder der eigenen Nation verpflichtet fühlten, was mit einiger Vorsicht zugunsten der zweiten Variante beantwortet wird (z. B. S. 297).

Kapitel 7 spricht die heikle Frage der Beteiligung norwegischer Freiwilliger an deutschen Kriegsverbrechen an, was die Betroffenen nach 1945 vehement bestritten haben. Zumindest das Wissen um den Holocaust ist für Sørlie klar erwiesen; aktives Mitwirken an Verbrechen attestiert er vornehmlich der im Süden der Ostfront eingesetzten Division »Wiking«, doch halte sich aufs Ganze gesehen die Verstrickung von Norwegern in engen Grenzen (S. 429). Das abschließende Kapitel bietet eine luzide Analyse von Kampfmoral und ‑motivation, wobei anhand von Verlustmeldungen, Ordensverleihungen etc. aufschlussreiche Vergleiche mit anderen »germanischen« SS-Verbänden (Dänen, Niederländern und Flamen) angestellt werden. Insgesamt gelangt Sørlie zu dem Befund, dass sowohl die Rekrutierung in Norwegen weit hinter den Erwartungen der SS zurückblieb, diese somit ein Fiasko erlebte, als auch die deutschen Erziehungsmaßnahmen auf weiten Strecken an der notorischen Unzufriedenheit der Norweger scheiterten. Eine Schlussbetrachtung fasst die Ergebnisse übersichtlich zusammen und unterstreicht ein weiteres Mal die starke ideologische Motivation der Freiwilligen.

An dieser insgesamt überzeugenden, ihre umfangreichen Quellen behutsam auswertenden Arbeit stört eigentlich nur deren Langatmigkeit, die nicht zuletzt in einem Endnotenteil von mehr als 140 Seiten Ausdruck findet. Der Text hätte deutlich gestrafft und von seinen spekulativ wirkenden, immer gleichen Formulierungen (es spricht nichts dagegen, alles deutet darauf hin, es liegt nahe usw.) entschlackt werden können. Von diesen Einwänden abgesehen, handelt es sich um das wohl abschließende Standardwerk zu einem nicht nur für Norwegen bis heute wichtigen Thema.

By Martin Moll

Titel:
Sigurd Sørlie, Solkors eller Hakekors. Nordmenn i Waffen-SS 1941–1945, Oslo: Dreyers forlag 2015, 626 S., NOK 349.00 [ISBN 978-82-8265-139-4].
Autor/in / Beteiligte Person: Moll, Martin
Link:
Zeitschrift: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 77 (2018-05-01), Heft 1, S. 273-276
Veröffentlichung: 2018
Medientyp: review
ISSN: 2193-2336 (print)
DOI: 10.1515/mgzs-2018-0053
Schlagwort:
  • SOLKORS eller Hakekors: Nordmenn i Waffen-SS 1941-1945 (Book)
  • SORLIE, Sigurd
  • NORWEGIANS
  • NONFICTION
  • TWENTIETH century
  • Subjects: SOLKORS eller Hakekors: Nordmenn i Waffen-SS 1941-1945 (Book) SORLIE, Sigurd NORWEGIANS NONFICTION TWENTIETH century
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = GrazGrazAustria
  • Full Text Word Count: 1107

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