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Jonathan Zimmerli, Offizier oder Manager? Amerikanische Kommandeure im Zweiten Weltkrieg, Paderborn [u. a.]: Schöningh 2016, 372 S. (= Krieg in der Geschichte, 98), EUR 44,90 [ISBN 978-3-506-78608-1].

Westemeier, Jens
In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 77 (2018-05-01), Heft 1, S. 295-299
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Jonathan Zimmerli, Offizier oder Manager? Amerikanische Kommandeure im Zweiten Weltkrieg, Paderborn [u. a.]: Schöningh 2016, 372 S. (= Krieg in der Geschichte, 98), EUR 44,90 [ISBN 978-3-506-78608-1] 

Jonathan Zimmerli, Offizier oder Manager? Amerikanische Kommandeure im Zweiten Weltkrieg, Paderborn [u. a.] : Schöningh 2016, 372 S. (= Krieg in der Geschichte, 98), EUR 44,90 [ISBN 978-3-506-78608-1]

Normandie, Juli 1944. Der Kommandierende General des VIII. US-Korps war ungehalten. Der Angriff der 8. US-Infanterie-Division in der unübersichtlichen Bocage-Landschaft kam nicht voran. Er drohte dem Kommandeur mit Konsequenzen. Der entließ umgehend zwei seiner Regimentskommandeure, vier Tage später wurde er selbst seines Kommandos enthoben – seit dem D-Day der fünfte US-General im Befehlsbereich der 1. US-Armee. Die Kommandoenthebung als Antwort auf Probleme an der Front war in der U. S. Army symptomatisch. Bei ausbleibendem Erfolg wurde von oben unverzüglich Druck ausgeübt, ohne Fortschritt auf dem Schlachtfeld musste der Kommandeur um seinen Job fürchten (S. 18), so ein eindeutiges Ergebnis Jonathan Zimmerlis erfrischender Studie »Offizier oder Manager?«, die sich auf die umfangreichen Überlieferungen von Verbands- und Einheitsakten in den National Archives in College Park, Maryland, abstützt und 2015 an der Universität Bern bei Stig Förster als Dissertation angenommenen wurde. Ohne dabei in die Diktion eines »armchair generals« zu verfallen, zeigt Zimmerli an Gefechten amerikanischer Truppen auf dem europäischen Kriegsschauplatz gravierende Defizite im Führungsverhalten ihrer Kommandeure auf. Unter Einbeziehung operations- wie mentalitätsgeschichtlicher Aspekte erörtert er, warum US-Einheiten dermaßen Mühe hatten, operationellen Herausforderungen auf dem Gefechtsfeld richtig zu begegnen. Wie keine andere Armee war die U. S. Army, vereinfacht und überspitzt ausgedrückt, von einer kapitalistischen Wirtschaftsphilosophie beherrscht. Hier setzt Zimmerli an, denn die Adaption betriebswirtschaftlicher Elemente hatte direkten Einfluss auf die taktische Führung im Gefecht (S. 19).

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts drängte der amerikanische Kriegsminister Elihu Root (1845–1937) auf eine tiefgreifende Armeereform – alles sollte modern, effizienter und kostengünstiger werden. Zivile Manager richteten die U. S. Army rigoros danach aus und implementierten privatwirtschaftliche Konzepte in die Führungs‑ und Organisationsstruktur. Die beruhten unter anderem auf den Erfahrungen des operationellen Tagesgeschäfts von Großunternehmen mit ihren vertikalen Unternehmensorganisationen der aufkommenden Konsumgüterindustrie. Eine damit einhergehende Führungskultur machte in der Zwischenkriegszeit auch nicht vor der Offizierausbildung halt; so wurde z. B. über das Army War College die Verbindung der Privatwirtschaft zu den militärischen Stellen gestärkt und institutionalisiert (S. 58 f.); ausgewählte Generalstabsoffiziere besuchten im Anschluss einen einjährigen Lehrgang am Army Industrial College, das dabei unter anderem auf methodische Grundlagen der Havard Business School zurückgriff (S. 86); einer der Teilnehmer war z. B. Dwight D. Eisenhower, ab 1943 Oberbefehlshaber der alliierten Expeditionsstreitkräfte.

Betriebswirtschaftliche Erfahrungen ziviler Führungskräfte und der Transfer ziviler Managementmethoden in die U. S. Army prägten nunmehr die standardisierte Personalführung und das Beurteilungs‑ und Bewertungssystem mit ständiger »Vermessung« und »Klassifizierung«. Bewertung, Beförderung und Entlassung von Personal waren zentrale Bestandteile moderner amerikanischer Unternehmenskultur. Der Typus des »Business Man« galt bei amerikanischen Offizieren als erstrebenswertes Vorbild (S. 118 f.), höhere Offiziere nahmen den Krieg als mechanisches Handwerk wahr, ihn zu gewinnen verlangte wie in der wissenschaftlichen Betriebsführung ein systematisches Vorgehen, ohne Abweichung von vorgegebenen Plänen (S. 96). Daraus leiteten sich drei Eigenheiten der U. S. Army ab: die ständige und umfassende »supervision« der Untergebenen und der unterstellten Einheiten. Dahinter stand die Philosophie, dass »nur mittels einer engen Kontrolle und Überwachung untergebene Stellen eine militärische Operation erfolgreich ausgeführt werden könne« (S. 121). Damit gingen die Erstellung detaillierter Befehle, eine konsequente Verschriftlichung, die statistische Erfassung von Ergebnissen und eine ständige Berichterstattung einher, was zu einer unermesslichen Papierflut führte. Und schließlich kam das »Hire and Fire«-Prinzip hinzu: Offiziere, die die Erwartungen des Vorgesetzten nicht erfüllten, wurden von ihrem Posten entbunden (S. 45). Es liegt auf der Hand, dass all dies entscheidende Auswirkungen auf den Führungsprozess, den Führungsstil und die Mentalität des amerikanischen Offizierkorps im Zweiten Weltkrieg und damit natürlich auch auf das eigentliche »Kerngeschäft« des Soldaten, das Gefecht, hatte.

Die Kriegführung und das spezifische »Command Climate«, das die Führungskultur der U. S. Army ausmachte, untersucht Zimmerli anhand der Kämpfe »normaler« US-Infanterie-Divisionen rund um die italienische Ortschaft San Pietro Infine 1943/44, in den Vogesen sowie im Hürtgenwald 1944/45. Die Auswahl ist geschickt getroffen: Mit dem Verzicht auf eine Betrachtung von Luftlandedivisionen und »großen« Schlachten, wie z. B. »Operation Overlord« oder »Market Garden«, muss die Leserin oder der Leser nicht erst moderne Mythen über die U. S. Army, wie sie Hollywood mit »Der Soldat James Ryan« oder »Band of Brothers« transportiert, überwinden.

Im Herbst 1943 standen die alliierten Truppen vor den Bergen des Apennins. Der direkte Weg nach Rom führte durch das Liri-Tal. Am Eingang des Tals lag die Stadt Cassino, über der das Kloster Monte Cassino thront. Ernsthafte Hindernisse vor diesem Nadelöhr waren der Fluss Rapido und das kleine 25 Kilometer südöstlich liegende Dorf San Pietro Infine. Umgeben von bis zu tausend Meter hohen Bergen hatten sich die Deutschen hier zur Verteidigung eingerichtet. Anfang November scheiterte ein erster Angriff amerikanischer Verbände auch wegen gravierender Nachschubprobleme, Mitte November setzte Dauerregen ein, die Front versank in Morast. Der Winter überforderte die Logistik der U. S. Army: Es fehlten vernünftige Winterbekleidung und festes Schuhwerk (S. 130–132). Die 36. Infanterie-Division (»Texas-Division«) wurde nach vorne gezogen. Ihr standen drei deutsche Bataillone gegenüber, die die Bergzüge beherrschten. Die erste Angriffsphase begann am 2. Dezember mit dem Ziel der Armeeführung, die linke Flanke zu nehmen, die 36. Infanterie-Division sollte in einer zweiten Angriffsphase, die am 7. Dezember ausgelöst wurde, San Pietro erobern. Der Angriff kam nicht in Gang. Am 9. Dezember befahl der Armeeoberbefehlshaber dem Divisionskommandeur, Panzereinheiten der 1. US-Panzer-Division in sein Angriffsdispositiv zu integrieren. Das felsige Gelände war jedoch für den Einsatz gepanzerter Kräfte völlig ungeeignet. Bis zum 14. Dezember gelang es nicht, San Pietro zu umschließen. Am 15. Dezember setzte die Division erneut an, dazu rollten 16 Sherman-Panzer vor. Die Gefechtsentwicklung wurde minutiös gemeldet, was sich auf dem Papier bis mittags zunächst vielversprechend las – »2 tanks in SAN PIETRO« (S. 140). Tatsächlich hatten die Infanterie-Einheiten verheerende Verluste erlitten, bis zum nächsten Abend waren 13 der 54 zugeteilten Panzer zerstört oder nicht mehr einsatzbereit. Die Ortschaft konnte erst am 17. Dezember besetzt werden, nachdem bereits zuvor die letzten deutschen Verteidiger wegen einer drohenden Umfassung San Pietro geräumt hatten. Die Kämpfe um das Dorf hatten der 36. US-Division Gesamtverluste von 1200 Mann zugefügt: 150 Tote, 800 Verwundete und 250 Vermisste (S. 142).

Die Gefechte um San Pietro können als exemplarisch für die Überwachung untergebener Offiziere (»supervision«) und die permanente Einmischung von Vorgesetzten in die Kampfführung unterer Führungsebenen angesehen werden. »Command Interference«, das Durchbrechen der Befehlshierarchie von oben nach unten durch die Umgehung von dazwischen liegenden Kommandoebenen, ist deutlich zu erkennen. Die Einflussnahme auf den Divisionskommandeur war dermaßen stark, dass dieser seinen Stab anwies, keine Informationen, welche höhere Dienststellen in irgendeiner Form alarmieren oder aufschrecken konnten, an diese weiterzuleiten (S. 147 und S. 322).

Nach der Landung in der Normandie erreichte die 1. US-Armee im Herbst 1944 die Grenze zum Deutschen Reich. Ihr V. US-Korps beabsichtigte in kürzester Frist mit möglichst geringen Mitteln den »Westwall« zu durchbrechen. Um das urbane Gelände um Aachen zu meiden, gedachte man, ausholend über Stolberg nach Eschweiler vorzugehen. Nach anfänglichen Geländegewinnen brachte die deutsche Gegenwehr die Amerikaner zum Stehen und der Hürtgenwald geriet in den Focus des Kommandierenden US-Generals: Falls eine seiner Infanterie-Divisionen dort durchstoßen könnte, wäre die Flanke des Stolberg-Korridors abgesichert (S. 252). Aus dieser einfachen Überlegung entwickelte sich für die U. S. Army eine der wohl verlustreichsten Schlachten des Zweiten Weltkrieges. Beispielsweise erlitt die F-Kompanie des 22. Infanterie-Regiments der 4. US-Infanterie-Division ausgehend von einer Mannschaftstärke von 177 Mann 337 Mann Verluste bei einem Personalersatz von 276 »Replacements« (S. 286).

Die amerikanische »Command Culture« erklärt, warum die Schlacht nicht abgebrochen wurde, selbst als sich ein Fiasko der Operation abzeichnete (S. 285). Zimmerli stellt eine massive Diskrepanz zwischen der subjektiven Wahrnehmung einzelner Kommandoebenen und den tatsächlichen Begebenheiten fest. Das Klassifizierungs‑ und Bewertungssystem hatte zu einer allgemeinen Beschönigung der Lage‑ und Zustandsberichte geführt, die stets einen optimistischen Grundton besaßen (S. 263). Trotz schwerer Verluste, massiven Beeinträchtigungen durch klimatische Einflüsse und gravierender Nachschubprobleme wurde in den täglichen Meldungen der Kampfkraft (»Combat Efficency«) jeder einzelnen Kampfeinheit beste Bewertungen zugeschrieben. Überhaupt trug die formale Sprache der Stäbe maßgeblich zur Verschleierung der aussichtslosen Situation und zur Verwässerung negativer Meldungen von der Front bei (S. 220). Informationen über den wahren Zustand der kämpfenden Truppe und die Lage erreichten die Divisionsstäbe nicht, Meldungen über erfolgreiche Angriffe gelangten hingegen sogar bis zum Befehlshaber der Armee. Bis auf Kompaniechefebene ging dies mit der Furcht vor einer Kommandoenthebung (»reclassification«) bei Misserfolg einher. »Supervision« schrieb den Bataillonen schließlich den exakten Einsatz ihrer Kompanien vor und nahm den Offizieren die Möglichkeit, ihr Vorgehen selbstständig zu planen (S. 162). Das schematische Vorgehen in den kleinräumigen Gefechten unterband jegliche Eigeninitiative (S. 322), eine strikte Befehlsbefolgung versprach quasi eine »Jobgarantie«. Grundsätzlich ist zudem für die 1. US-Armee Ignoranz gegenüber dem Zustand der einzelnen Soldaten an der Front, von Bataillonsebene aufwärts, festzustellen. Verluste spielten Ende 1944 in den Überlegungen der Stäbe keine Rolle mehr. Das amerikanische Desaster im Hürtgenwald war nach Zimmerli keine »punktuelle Anomalie«, sondern eine Systemschwäche der U. S. Army (S. 334).

Zuletzt zeigt Zimmerli in einem kurzen Abriss, dass sich die »Command Culture« in Korea und Vietnam weiter verfestigte. Das Militär versuchte verstärkt, Erfolge im Einsatzgebiet nummerisch zu messen. Briefings für den damaligen US-Verteidigungsminister Robert McNamara, der als ehemaliger Direktor der Ford Motor Company auf Zahlen und Tabellen fixiert war, wurden mit Zahlenmaterial und Statistiken vollgepackt (S. 306 f.). Das System, jede Aktion zu quantifizieren und zu bewerten, führte zu einer Mentalität der Anpassung und Risikoscheue: »Der Offizier sollte keine Fehler machen, was dazu führte, dass er weder Eigeninitiative entwickelte noch eigenständiges Denken umsetzte« (S. 315).

Zimmerlis Arbeit ist gelungen und überzeugt; ein wichtiger militärgeschichtlicher Beitrag zum Verständnis der Führungskultur in der U. S. Army, die wohl schon lange von anderen NATO-Armeen adaptiert wurde. Überdies regt die Lektüre dazu an, sich mit dem Buch unter dem Arm im Hürtgenwald auf Spurensuche zu begeben.

By Jens Westemeier

Titel:
Jonathan Zimmerli, Offizier oder Manager? Amerikanische Kommandeure im Zweiten Weltkrieg, Paderborn [u. a.]: Schöningh 2016, 372 S. (= Krieg in der Geschichte, 98), EUR 44,90 [ISBN 978-3-506-78608-1].
Autor/in / Beteiligte Person: Westemeier, Jens
Link:
Zeitschrift: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 77 (2018-05-01), Heft 1, S. 295-299
Veröffentlichung: 2018
Medientyp: review
ISSN: 2193-2336 (print)
DOI: 10.1515/mgzs-2018-0061
Schlagwort:
  • OFFIZIER oder Manager? Amerikanische Kommandeure im Zweiten Weltkrieg (Book)
  • ZIMMERLI, Jonathan
  • AMERICAN military personnel
  • NONFICTION
  • TWENTIETH century
  • Subjects: OFFIZIER oder Manager? Amerikanische Kommandeure im Zweiten Weltkrieg (Book) ZIMMERLI, Jonathan AMERICAN military personnel NONFICTION TWENTIETH century
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = AachenAachenGermany
  • Full Text Word Count: 1646

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