Korinna Schönhärl, Finanziers in Sehnsuchtsräumen. Europäische Banken und Griechenland im 19. Jahrhundert. Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 98. 2017 Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 978-3-647-36090-4, € 80,–
Korinna Schönhärls Habilitationsschrift über die Geschäftspolitik der französischen, britischen, schweizerischen und deutschen Banken gegenüber Griechenland beschäftigt sich mit einem Themenkomplex, der durch die heutige griechische Schuldenkrise eine besondere Aktualität erhalten hat. In ihrer wirtschaftshistorisch wie kulturgeschichtlich angelegten Darstellung untersucht sie, wie sich der griechische Nationalstaat schon vor der Staatsgründung (1830) zum Schuldner europäischer Banken entwickelte und trotz mehrerer Staatsbankrotte und bis auf einhundert Jahre gestreckte Schuldenrückzahlungen kreditwürdig blieb.
Die Autorin erweist sich als eine profunde Kennerin der wirtschaftshistorischen Methodendiskussion über Risikowahrnehmungen und Verhaltensweisen von Finanzmarktakteuren, die mit der vorherrschenden neoklassischen ökonomischen Theorie begrifflich und kausal nicht zu fassen sind. Die neoklassische Prämisse des vollständig informierten Gläubigers erwies sich wegen der unzuverlässigen und spärlichen Informationen über die wirtschaftliche Lage des Landes als wirklichkeitsfremd. So gingen die ersten Griechenlandanleihen der 1820er Jahre auf die philhellenische Bewegung im Westen Europas und deren idealisierte Bilder von Griechenland und den Griechen zurück, die sich einem rationalen Risikokalkül entzogen. Trotz der auf den ersten Blick als vorteilhaft erscheinenden Geschäftsbedingungen war der Verkaufserfolg ohne eine emphatische Einstellung der Anleihenkäufer gegenüber den griechischen Schuldnern nicht denkbar. Schönhärl analysiert die spannungsreichen Widersprüche zwischen der idealistischen philhellenischen Rhetorik und der Eigennutzorientierung der Kreditgeber und dem Changieren des Griechenlandbildes zwischen der historistischen Idealisierung der Griechen und der kolonialistischen Attitüde gegenüber dem Eigensinn, der Irrationalität und der Verschwendungssucht der Schuldner. Seit den 1880er Jahren wurden die Griechenlandanleihen auch von den balkanpolitischen und den rüstungspolitischen Kalkülen der französischen, britischen und deutschen Außenpolitik und damit von außerökonomischen Faktoren beeinflusst, die sich oft zum beiderseitigen Nachteil der Gläubiger und der Schuldner auswirkten. Beim Lesen der Gläubigerbemühungen um eine effizientere Ordnung der griechischen Staatsverwaltung und des griechischen Fiskus stellen sich interessante Déja-vu-Erlebnisse ein, die auf eine langfristige Pfadabhängigkeit schließen lassen.
Der Autorin gelingt die Rekonstruktion des philhellenischen Netzwerks mitsamt seiner Beziehungen zur auslandsgriechischen Wirtschaftselite, ohne die die Bemühungen der griechischen Regierung um Kredite gescheitert wären. Sie zeigt, dass sich die Kreditgeber trotz tradierter Negativerfahrungen im Griechenlandgeschäft auf sekundäre Indizien der Kreditwürdigkeit verließen und aus Wettbewerbsgründen Bedenken zurückstellten.
Schönhärls quellengesättigte Darstellung auf der Grundlage von Aktenbeständen der Außenministerien und der großen Geschäftsbanken in englischen, französischen und deutschen Archiven ermöglicht einen multiperspektivischen Einblick in die Kalküle der Kreditgeber und Außenpolitiker. Dank ihrer griechichen Sprachkenntnisse wertete sie auch die Akten der griechischen Zentralbank und die umfassenden empirischen Darstellungen griechischer Ökonomen zur hellenischen Staatsschuldengeschichte aus. Jedoch werden des Französischen unkundige Leser durch längere Originalzitate gelegentlich überfordert.
By Christopher Kopper