Frank Bajohr, Mehr als eine Erzählung. Zeitgeschichtliche Perspektiven auf die Bundesrepublik. Festschrift für Axel Schildt. 2016 Wallstein-Verlag GmbH Göttingen, 978-3-8353-1882-3, € 39,90
In einem Aufsatz, den er anlässlich des 50. Jahrestags der Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland publiziert hat, hat Axel Schildt fünf Möglichkeiten aufgezeigt, ihre Geschichte zu erzählen, nämlich die Alternativen einer Erfolgs-, einer Misserfolgs-, einer Modernisierungs-, einer Belastungs- und einer Verwestlichungsgeschichte. Mit diesen Interpretationsmustern hat er zentrale Schneisen durch die Forschungslandschaft geschlagen und sie zu paradigmatischen Interpretationsansätzen verdichtet. Die Autoren des vorliegenden Bandes waren nun aufgefordert, in ihren Beiträgen eine dieser Lesarten aufzugreifen und sie in Bezug auf ihr Thema auf ihre Valenz zu prüfen.
Das Ergebnis ist ein höchst anregendes Gemenge aus Deutungsangeboten und Neubewertungen, ein Mosaik aus unterschiedlichen Facetten der bundesrepublikanischen Geschichte. Die von Schildt herausgearbeiteten master narratives werden hierbei immer wieder aufgegriffen und an Einzelfällen getestet. So berichten Michael Wildt und Jürgen Reulecke anhand der eigenen Biografie von der Modernisierungsgeschichte der 1950er und 1960er Jahre, mahnen Martin Sabrow und Anselm Doering-Manteuffel eine stärkere Berücksichtigung der deutsch-deutschen Verflechtungsgeschichte an, gehen ChristophKleßmann, Norbert Frei und Detlef Siegfried auf einzelne Facetten der politischen Kultur des westdeutschen Teilstaats ein. Andere Autoren betrachten die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel einzelner Themenfelder der Alltagsgeschichte, andere wiederum arbeiten die Veränderungen und Umdeutungen heraus, die sich von der Warte des vereinten Deutschlands aus auf die Geschichte der beiden deutschen Teilstaaten ergeben. Die thematische Spannweite wie die unterschiedlichen methodischen Ansätze der einzelnen Beiträge legen auf eindrucksvolle Weise dar, welch differenziertes Bild die zeitgeschichtliche Forschung mittlerweile von der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zeichnen kann. So thematisch unterschiedlich die einzelnen Aufsätze auch sind, es wird in ihnen doch deutlich, dass sie nicht aus einem Blickwinkel heraus erzählt werden kann, sondern dass sie nur multiperspektivisch zu beleuchten und zu erfassen ist. In diesem Sinne ist der Band eine würdige Festschrift für Axel Schildt.
By Marie-Luise Recker