Zum Hauptinhalt springen

Alexander Nützenadel (Hg.), Das Reichsarbeitsministerium. Verwaltung – Politik – Verbrechen, Wallstein Verlag, Göttingen 2017, S. 592, € 34,90.

Leonhardt, Holm Arno
In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Jg. 63 (2018-09-01), Heft 2, S. 352-353
Online review

Alexander Nützenadel (Hg.), Das Reichsarbeitsministerium. Verwaltung – Politik – Verbrechen, Wallstein Verlag, Göttingen 2017, S. 592, € 34,90. 

Nützenadel Alexander Das Reichsarbeitsministerium. Verwaltung – Politik – Verbrechen Wallstein Verlag Göttingen 1 592 2017 € 34,90

Es handelt sich um einen Sammelband der «Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reicharbeitsministeriums im Nationalsozialismus». Involviert waren 15 Historiker, von der studentischen Mitarbeiterin bis zu Professoren, die 14 Einzeltexte verfassten. Einige Beiträge beginnen mit der Weimarer Republik, was ein Aufzeigen eventueller Kontinuitäten hin zur NS-Diktatur erlaubt; andere sind auf das «Dritte Reich» begrenzt. Die Aufgliederung des Buches entspricht keiner homogenen Erfassung des Gegenstands, insofern manche Sachstränge von mehreren Autoren aufgenommen werden, andere Einzelthemen nur kurz angesprochen werden. Auch das Ausmaß der Verwendung von Archivmaterial schwankt. Herausgeber und Historikerkommission sind sich in der Einschätzung des Werks nicht einig: Während Ersterer eine «umfassende historische Analyse» und Kohärenz zwischen den Beiträgen behauptet, macht die Historikerkommission aus vorhandenen Schwächen keinen Hehl, indem sie das Werk nur als «Auftakt einer auf mehrere Bände angelegten Reihe von Monographien» zum Thema deklariert. Tatsächlich bleibt beim Leser der Eindruck einer nur interimistisch wichtigen Publikation. Das Buch besitzt weder ein Literaturverzeichnis noch eine Liste der benutzten Archive (Angaben nur in den Fußnoten). Immerhin gibt es ein Schlagwortregister.

Die Beiträge decken die Organisation, die Zuständigkeitsbereiche und die Konfliktfelder des Reichsarbeitsministeriums (RAM) mit Konkurrenzeinrichtungen ab. Es geht eingangs um «Organisation, Führungspersonal und Handlungsspielräume», am Schluss um das «Reichsarbeitsministerium und die Nürnberger Prozesse» und das «Spitzenpersonal der deutschen Arbeitsbehörden 1945–1960». Im Mittelteil werden die Aufgabenfelder Wohnungsbau, Rentenversicherung, Arbeitsrecht, Arbeitsverwaltung, Auslandspropaganda, Fremdarbeiter-Rekrutierung und jüdischer Arbeitseinsatz behandelt wie auch die NS-typischen Sonderorganisationen «Deutsche Arbeitsfront» (DAF) und der «Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz» im deutsch besetzten Europa einbezogen.

Ein Vergleich mit «Das [Auswärtige] Amt» von 2010 (Conze et al.) liegt nahe, dem prominenten, skandalträchtigen Beispiel für die jüngste Vergangenheitsbewältigung ministerialer Behörden der NS-Zeit. Das vorliegende Werk scheint zentrale Kritikpunkte jener Debatte berücksichtigt zu haben. So bietet es Transparenz über die realiter beteiligten Autoren. Auch die Schuldbewertungen für die Ministerialbeamten erscheinen differenzierter. Zur Machtanwendung durch Regime-Instanzen bis hin zu definitiven Gräueln (im Rahmen der Zwangsarbeit, des Einsatzes von Fremdarbeitern und dem Verhalten gegenüber Juden) vermisst der Leser ein schlüssiges, abgestuftes Gesamturteil. Der Tenor der Verfasser wirkt bei den anzulegenden moralischen Kriterien schwankend: War schon die illiberale Wirtschaftsform mit Arbeitspflicht und Zuweisung des Arbeitsplatzes ein Verbrechen? Oder mussten brachiale Gewaltmittel hinzutreten? – War die Ersetzung der Tarifautonomie durch ein Mediationssystem bereits a priori undemokratisch und repressiv? – Verschiedentlich jedenfalls nutzten die Autoren nur die pluralistisch-liberalen Standards der Gegenwart als Maßstab und nicht auch den Kontext des nichtliberalen Zeitgeistes der 30er Jahre, der – etwa in der westlichen «Planwirtschaftsdebatte» – Einschränkungen der persönlichen Freiheit ausdrücklich rechtfertigte, um die gefährliche, den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohende Krisentendenz des liberalen Kapitalismus zu überwinden. Fragwürdig erscheint auch die gelegentliche Tendenz, das NS-Regime als vom Volk abgehobenen Unterdrückungsapparat und die NSDAP als nur «rechts» aufzufassen: Diese war ja mehr Volkspartei als alle anderen. Die Ideologen der Deutsche Arbeitsfront etwa wären dem linken Flügel zuzurechnen gewesen, unternehmerkritisch und antikapitalistisch im Sinne des «deutschen Sozialismus», eines durchrationalisierten Planwirtschaftssystems mit völkischer Orientierung.

Dem Werk «Das Reichsarbeitsministerium» sei eine weitere Verbreitung gewünscht, weil es wertvolle archivgestützte Analysen zum Gegenstand enthält. Allerdings ist seine Überholung durch die zahlreichen angekündigten Monographien absehbar, an denen der Mitarbeiterkreis der einschlägigen Historischen Kommission arbeitet.

By Holm Arno Leonhardt

Titel:
Alexander Nützenadel (Hg.), Das Reichsarbeitsministerium. Verwaltung – Politik – Verbrechen, Wallstein Verlag, Göttingen 2017, S. 592, € 34,90.
Autor/in / Beteiligte Person: Leonhardt, Holm Arno
Link:
Zeitschrift: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Jg. 63 (2018-09-01), Heft 2, S. 352-353
Veröffentlichung: 2018
Medientyp: review
ISSN: 0342-2852 (print)
DOI: 10.1515/zug-2017-0055
Schlagwort:
  • DAS Reichsarbeitsministerium: Verwaltung-Politik-Verbrechen (Book)
  • NUTZENADEL, Alexander
  • GERMANY. Ministry of Labour
  • NONFICTION
  • Subjects: DAS Reichsarbeitsministerium: Verwaltung-Politik-Verbrechen (Book) NUTZENADEL, Alexander GERMANY. Ministry of Labour NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Hildesheim Deutschland
  • Full Text Word Count: 544

Klicken Sie ein Format an und speichern Sie dann die Daten oder geben Sie eine Empfänger-Adresse ein und lassen Sie sich per Email zusenden.

oder
oder

Wählen Sie das für Sie passende Zitationsformat und kopieren Sie es dann in die Zwischenablage, lassen es sich per Mail zusenden oder speichern es als PDF-Datei.

oder
oder

Bitte prüfen Sie, ob die Zitation formal korrekt ist, bevor Sie sie in einer Arbeit verwenden. Benutzen Sie gegebenenfalls den "Exportieren"-Dialog, wenn Sie ein Literaturverwaltungsprogramm verwenden und die Zitat-Angaben selbst formatieren wollen.

xs 0 - 576
sm 576 - 768
md 768 - 992
lg 992 - 1200
xl 1200 - 1366
xxl 1366 -