Zum Hauptinhalt springen

Zerspanungstechnik beflügeltden Motorenbau.

In: Automobil-Produktion, 2018-10-11, Heft 10, S. 64-67
Online serialPeriodical

Zerspanungstechnik beflügeltden Motorenbau 

Alles Elektro? Noch lange nicht. Mag sein, dass für den Diesel die besten Zeiten vorbei sind, generell geht die Entwicklung bei Verbrennungsmotoren jedoch weiter. Damit neue Ideen auch in neue Fahrzeuge und auf die Straße kommen, ist leistungsfähige Zerspanungstechnik mehr denn je gefragt.

Um den Themen Downsizing und Reduzierung der CO 2 -Emissionen Rechnung zu tragen, werden auch Pleuel immer gewichtsärmer gestaltet. Das wird zum einen durch den Einsatz hochfester Werkstoffe, zum anderen durch moderne Fertigungsverfahren umgesetzt. Dadurch ändert sich auch die Formgebung der Pleuel, die Vielfalt an Formen dieser hochbeanspruchten Motorbauteile nimmt zu. Zerspanungsexperten benennen insbesondere das kleine Pleuelauge als besondere Herausforderung bei der Bearbeitung des Pleuels. Denn je nach Geometrie bestehen völlig unterschiedliche Anbohrsituationen, beispielsweise bei Pleueln in Korbhenkel- oder Trapezform, flachen, tiefen und konischen Kalotten oder bei vorhandenen Schmiedenasen. Speziell für diese Bearbeitung hat der Präzisionswerkzeughersteller Mapal ein modulares Werkzeugkonzept zum Vollbohren mit Wendeschneidplatten entwickelt. Dabei kommen radial eingebaute, gesinterte Wendeschneidplatten mit jeweils vier Schneidkanten zum Einsatz.

Wie die Entwickler bei Mapal betonen, sind die Anstellung der Wendeschneidplatten sowie die Spanräume jeweils auf die speziellen Anforderungen der unterschiedlichen Anbohrsituationen abgestimmt. Auch die Schneidstoffe wurden angepasst. Zum Einsatz kommt unter anderem eine neue Beschichtung per chemischer Dampfphasenabscheidung (Chemical Vapour Deposition, CVD), die die bisher gegenläufigen Parameter hohe Zähigkeit und hohe Verschleißfestigkeit vereint und damit eine Bearbeitung mit „deutlich höheren Schnittgeschwindigkeiten" (Mapal) als bisher ermöglicht. Der Grundkörper der neuen Werkzeuge ist aus einem optimierten, deutlich vibrationsärmeren Werkstoff gefertigt. Eine zentrale Kühlmittelführung im Halter sorgt für die optimale Versorgung mit Kühlmittel direkt an den Schneiden. Dies soll die Prozesssicherheit und Stabilität bei der Bohrungsbearbeitung verbessern. Von Pleueln zu Kurbelwellen: Deren Entgratung und das Finishing sind in puncto Präzision nicht minder anspruchsvoll. Wenn dann noch eine hohe Wiederholgenauigkeit erzielt werden muss und auch kleine Losgrößen einer wirtschaftlichen Bearbeitung nicht im Wege stehen dürfen, fällt schnell das Stichwort Robotik – und der Blick auf eine roboterbasierte Konstellation für die genannten Aufgaben. Die Anordnung beim Konzept von Indat besteht aus zwei getrennten Roboterzellen, die in Modulbauweise ausgeführt sind und sich dadurch an individuelle Anforderungen anpassen und in bestehende Fertigungslinien integrieren lassen. Alle Baueinheiten der Zellen – vom Aufnahmetisch bis zum Roboter – sind auf einer Plattform montiert und vollständig eingehaust. Die beiden Zellen belegen jeweils zirka zwölf Quadratmeter Produktionsfläche und können über ein Ladeportal verkettet und über eine Dachluke automatisch beladen werden. Zusätzlich ist die manuelle Beladung mittels Hebezeug möglich. Bearbeitet werden können Kurbelwellen bis zu einer Wellenlänge von 1.200 Millimeter und einem Gewicht von 150 Kilogramm.

Werkzeugwechsel ohne „Boxenstopp"

In der ersten Zelle werden die Wangen im Schnittauslauf, die beim vorangehenden Dreh-Fräsprozess entstehen, und die Ölbohrungen im Bohrungsverschnitt entgratet. Nach Ablage der Welle auf entsprechenden Prismen erfolgt das Aufspannen und Zentrieren über einen Reit- und Spindelstock. Beide sind jeweils über einen Servoantrieb genau positionierbar. Die radiale Ausrichtung übernimmt eine Ausrichteinheit, die das erste Hublager der Kurbelwelle in die Nullgradposition bringt. Ein Rotationsantrieb dreht dann die Welle in die jeweilige Position zum Entgraten, das vom Roboter mit entsprechenden Werkzeugen durchgeführt wird. Ein automatisches Wechselsystem sorgt für einen schnellen und prozessrelevanten Austausch der unterschiedlichen Entgratwerkzeuge. Ein integrierter Rüstplatz, der von außen zugänglich ist, erlaubt zudem den Wechsel der verschlissenen Werkzeuge ohne Unterbrechung des laufenden Prozesses.

Anschließend wird das Werkstück in die zweite Zelle verbracht, wo das Finishing stattfindet. Mit unterschiedlichen Fräs- und Bürstwerkzeugen verrundet der Roboter hier die Ölbohrungen und entfernt die Grate an den Wuchtbohrungen. Die exakte Position der Ölbohrungen am Pleuel- und Hauptlager wird mit Hilfe einer Kamera ermittelt. So kann deren präzises Verrunden mit einer Genauigkeit von + / - 0,1 Millimeter sichergestellt werden. Im Motorenbau wird zunehmend eine definierte Winkellage der Zündkerzenelektrode angestrebt, da sich diese positiv auf Verbrennung und Emissionen auswirken kann. Das Emuge PoCoSys-Programm zielt genau darauf ab. Entstanden ist ein Werkzeugsystem zum leichteren Fertigen und Prüfen von positionsgebundenen Gewinden. Alle Systemkomponenten wurden aufeinander abgestimmt – von der Werkzeugaufnahme über die Gewindewerkzeuge bis hin zu den Einstelllehren und Prüfmitteln. Zum stellungsgebundenen Ausrichten des Gewindewerkzeuges dient die Positions-Einstellhülse PoCo-Bush, die auf Emuge-Gewindewerkzeuge abgestimmt ist. Die Winkellage des Werkzeuges wird in einem Voreinstellgerät ermittelt, anschließend können die Werte direkt in die Maschinensteuerung eingegeben werden. Damit entfällt ein aufwändiges Ausmessen oder Markieren der Gewindewerkzeuge, eine stellungsgebundene Ausrichtung ist mit dem ersten Gewinde gegeben. In Verbindung mit einer speziellen Spannzangen-Aufnahme wird eine Winkelgenauigkeit von kleiner 5° erreicht, sagen die Entwickler bei Emuge. Der manuellen und auch automatischen Gewindeprüfung dienen spezielle Komponenten. Die manuelle Gewindeprüfung erfolgt unabhängig vom Flankendurchmesser direkt am Bauteil in der Fertigungsmaschine mittels einer individuell angefertigten Anschlagplatte und einer darauf abgestimmten Arbeitslehre. Über eine Skala auf der Anschlagplatte kann die Position des Gewinde anfangs direkt abgelesen werden, nachdem die Arbeitslehre mit definiertem Drehmoment angezogen worden ist. Da sich das Bauteil direkt in der Aufspannung der Maschine prüfen lässt und keine Umspannung erfordert, werden Zeiteinsparungen bis zu 90 Prozent gegenüber der Prüfung in einer Messmaschine ermöglicht. Für das Prüfen in einer 3D-Messmaschine steht eine weitere System-Komponente, der PoCo-Gauge 3D-Lehrdorn, zur Verfügung. Auch dieser wird mit definiertem Drehmoment angezogen. Über Abtasten einer planen, lageorientierten Tastfläche wird dann die Position des Gewindeanfangs ermittelt. Beide Prüfsysteme lassen sich in einen Zertifizierungszyklus einbinden. Löste die aufkommende Elektromobilität anfangs wahre Horrorszenarien in den Reihen der Zerspanungsindustrie aus, so hat sich die Lage mittlerweile entspannt. Abgesehen davon, dass Experten noch auf Jahrzehnte mit dem Einsatz von Verbrennungsmotoren rechnen, erfordert die Hybridisierung vieler Fahrzeuge, also die Ausrüstung mit zwei Antriebsarten, sogar mehr zerspante Teile. Und bei reinen Elektrofahrzeugen führt das sinkende Geräuschniveau dazu, dass die verbleibenden Teile umso exakter ausgeführt werden müssen, um akustisch nicht unangenehm aufzufallen. Die Folge: Die Werkzeugmaschinen müssen in der Lage sein, Teile mit noch engeren Toleranzen herstellen zu können. Der in der Automobilindustrie stark verankerte Werkzeugmaschinenhersteller Grob kaufte Anfang vergangenen Jahres mit DMG meccanica sogar einen führenden Hersteller von Maschinen und Anlagen für die Produktion von Statoren für Elektromotoren, Alternatoren und Generatoren. Nach eigenen Angaben arbeitete Grob bereits an mehreren Projekten der Elektromobilität und verstärkte mit diesem Schritt seine Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in Zukunftstechnologien. Man habe nun alle wesentlichen Herstellungsprozesse und -verfahren der Elektroantriebe für die Automobilindustrie und deren Zulieferer unter einem Dach und könne diese weltweit auch für die Serienfertigung liefern. Auch bei der Chiron-Gruppe herrscht in dieser Hinsicht Gelassenheit. Markus Flik, Vorsitzender der Geschäftsführung der Chiron-Group: „Für die Elektromobilität werden spezielle Bauteile für neue Baugruppen und Aggregate wie Scroll-Kompressoren, elektromechanische Bremskraftverstärker oder elektrische Achsantriebe benötigt." Gleichzeitig nehme der Bedarf an Turboladern und damit an Verdichterrädern aus Titan weiter zu. „Da Titan die Werkzeuge viel schneller verschleißt als Aluminium, müssen hier Schwesterwerkzeuge eingesetzt werden, um einen produktiven Fertigungsprozess zu ermöglichen." Ganz gleich, welche Richtung nun die Entwicklung im Automobilbau langfristig nehmen wird: Eine zentrale Komponente, die über alle Antriebskonzepte hinweg unverzichtbar und wohl auch der Zerspanungstechnik erhalten bleibt, ist das Differenzial. Das Differenzialgetriebe bleibt dauerhaft im Fokus der Produktionsplaner im Automobilbau: Zum einen spielt es keine Rolle, ob das Fahrzeug von Verbrennungsmotor, E-Motor oder Hybridmotor angetrieben wird – ein Achsdifferenzial, das in der Kurve die Drehzahlen zwischen beiden Rädern ausgleicht, ist unverzichtbar. Zum anderen existieren unterschiedliche Bauteilvarianten, die allesamt effizient und prozesssicher hergestellt werden müssen. Beispiel Differenzialgehäuse: Es gibt geschlossene Gehäuse mit innerer Kugelform oder innerer Halbkugelform sowie „offene" Gehäuse mit einem Deckel, wobei diese Formen den Ablauf der spanenden Bearbeitung beeinflussen. Benötigt werden aber in jedem Fall mehrere Teilprozesse, die perfekt getaktet hintereinander ablaufen – die Etablierung eines solchen Gesamtsystems ist eine Aufgabe für Spezialisten wie den erfahrenen Werkzeugmaschinenhersteller Emag in Salach. Dessen Fertigungssystem für Differenzialgehäuse setzt die Aufgabenstellung dieser Komplettbearbeitung in einer Taktzeit von etwa 95 Sekunden um. Es kommen ausnahmslos Maschinen aus dem selbst entwickelten modularen Baukasten zum Einsatz, die mit einem TrackMotion Automationssystem effizient verkettet wurden. Das Gehäuse wird zunächst auf zwei VL 4 Drehmaschinen bearbeitet. Hier erfolgt die Innen- und Außenbearbeitung der Achsaufnahmen, sowie des Flansches. Der Livetool-Revolver mit zwölf Werkzeugplätzen der VL-Maschinen ermöglicht zudem die Einbringung der Querbohrungen. Die restliche Außenbearbeitung des Differenzialgehäuses erfolgt auf einer VT 4 Drehmaschine in nur einer Aufspannung. Dadurch werden Umspannfehler ausgeschlossen. Die VT 4 verfügt über zwei Werkzeugrevolver mit jeweils elf Werkzeugplätzen. Dies ermöglicht eine vierachsige Simultanbearbeitung und damit schnelle Prozesse. Für kurze Nebenzeiten sorgt zudem die para-llele Be- und Entladung der Bauteile. Anschließend erfolgt die Bearbeitung auf einer VL 6 Pick-Up Drehmaschine. In dieser Operation fällt zunächst das imposante Spannmittel ins Auge, das speziell für die Bearbeitung des Differenzialgehäuses von Emag entwickelt wurde. In dieser Operation werden die Bohrungen fein bearbeitet und die Kugelkalotte innen mit einem „Bananenwerkzeug" in einer einzigen Aufspannung zunächst geschruppt und anschließend geschlichtet. Ein zusätzliches Messsystem garantiert die Qualität eines jeden Differenzialgehäuses. In den letzten Jahren fand dieser schlanke und effiziente Ansatz zunehmend das Interesse von OEMs und Tier-1-Zulieferern: 60 bis 70 Emag-Produktionslinien mit insgesamt rund 250 Maschinen sind dem Vernehmen nach weltweit für die Drehbearbeitung von Differenzialgehäusen bereits im Einsatz. n

Text: Christian Klein

Graph: Zur Komplettbearbeitung gehört bei Starrag auch das Schlichten der Zylinderbohrung, beispielsweise an einem V8-Motor für Mercedes-AMG.

Graph: Bild: Starrag

Graph: (01) In der 3D-Messmaschine wird die Orientierungsfläche am eingeschraubten 3D-Lehrdorn zur Positionsbestimmung der Gewinde abgetastet. (02) Im Motorenbau wird zunehmend eine definierte Winkellage der Zündkerzenelektrode angestrebt, da sich diese positiv auf Verbrennung und Emissionen auswirken kann.

Graph: Bilder: Emuge

Graph: Bild: Indat

Graph: Das Layout von Indat zur Entgratung und zum Finishing von Kurbelwellen besteht aus zwei getrennten Roboterzellen, die in Modulbauweise ausgeführt sind und sich dadurch an individuelle Anforderungen anpassen und in bestehende Fertigungslinien integrieren lassen.

Graph: Beim TrackMotion-System fährt ein Hub-Wendewagen mit programmierbarem Elektrogreifer auf einer Schiene (Track) zwischen den Maschinen hin und her.

Graph: Das Fertigungssystem für Differenzialgehäuse setzt deren Komplettbearbeitung in einer Taktzeit von etwa 95 Sekunden um.

Graph: Auch die anspruchsvollen Konsol-Spannmittel wurden speziell für die Bearbeitung des Differenzialgehäuses entwickelt.

Graph: Bilder: Emag

Graph: Werkzeugkonzept für die Pleuelbearbeitung: Je nach Geometrie bestehen völlig unterschiedliche Anbohrsituationen, beispielsweise bei Pleueln in Korbhenkel- oder Trapezform, flachen, tiefen und konischen Kalotten oder bei vorhandenen Schmiedenasen.

Graph: Bild: Mapal

Graph: Der anhaltende Trend beim Bau von Verbrennungsmotorenhin zur Turbo-Aufladung verändert auch Fertigungsstrategien: simultanes Fräsen von Radial-Verdichterrädern aus dem Werkstoff Titan.

Graph: Bild: Chiron

Graph: Für die Elektromobilität werden spezielle Bauteile für neue Baugruppen und Aggregate wie Scroll-Kompressoren, elektromechanische Bremskraftverstärker oder elektrische Achsantriebe benötigt.

Graph: Markus Flik, Vorsitzender der Geschäftsführung, Chiron-Group

Graph: Bild: Chiron

Titel:
Zerspanungstechnik beflügeltden Motorenbau.
Zeitschrift: Automobil-Produktion, 2018-10-11, Heft 10, S. 64-67
Veröffentlichung: 2018
Medientyp: serialPeriodical
ISSN: 0934-0394 (print)
Schlagwort:
  • CUTTING (Materials)
  • AUTOMOBILE technological innovations
  • INTERNAL combustion engines
  • AUTOMOBILE engine design & construction
  • AUTOMOBILE equipment
  • Subjects: CUTTING (Materials) AUTOMOBILE technological innovations INTERNAL combustion engines AUTOMOBILE engine design & construction AUTOMOBILE equipment
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Machining technology inspires engine construction.
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Full Text Word Count: 1696

Klicken Sie ein Format an und speichern Sie dann die Daten oder geben Sie eine Empfänger-Adresse ein und lassen Sie sich per Email zusenden.

oder
oder

Wählen Sie das für Sie passende Zitationsformat und kopieren Sie es dann in die Zwischenablage, lassen es sich per Mail zusenden oder speichern es als PDF-Datei.

oder
oder

Bitte prüfen Sie, ob die Zitation formal korrekt ist, bevor Sie sie in einer Arbeit verwenden. Benutzen Sie gegebenenfalls den "Exportieren"-Dialog, wenn Sie ein Literaturverwaltungsprogramm verwenden und die Zitat-Angaben selbst formatieren wollen.

xs 0 - 576
sm 576 - 768
md 768 - 992
lg 992 - 1200
xl 1200 - 1366
xxl 1366 -