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Reichsstadt im Religionskonflikt.

Hermel, Jochen
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 82 (2018-10-01), S. 282-283
Online review

BESPRECHUNGEN Reichsstadt im Religionskonflikt  THOMAS LAU, HELGE WITTMANN (Hg.): Reichsstadt im Religionskonflikt. 4. Tagung des Mühlhäuser Arbeitskreises für Reichsstadtgeschichte (Studien zur Reichsstadtgeschichte 4), Petersberg: Michael Imhof 2017,400 S. ISBN: 978-3-7319-0457-1.

Mit dem vierten Band der Reihe ,Studien zur Reichsstadtgeschichte', der zugleich Sammelband für die gleichnamige Tagung ist, die vom 8. bis 10. Februar 2016 in Mühlhausen stattfand, präsentiert der Mühlhäuser Arbeitskreis für Reichsstadtgeschichte 17 Beiträge zum breit gefassten Thema .Reichsstadt im Religionskonflikt'. Nach einer Vorbemerkung von Mitherausgeber Thomas Lau (S. 9-20) führt Christhard Schrenkin das Thema Juden in der Reichsstadt Heilbronn' ein (S. 21-42). Dabei arbeitet er die verschiedenen Abschnitte der städtischen Judenpolitik über die gesamte reichsstädtische Zeit heraus und bietet zudem eine lesenswerte Zusammenfassung von Forschungsstand und Quellenlage. Den Auswirkungen der Hussitenkriege auf die Reichsstädte der Wetterau geht Andreas Willershausen (S. 43-76) nach und gibt Einblicke in die dahinterstehenden Motivationen. Ingrid Wiirt h (S. 77-100) vergleicht spätmittelalterliche Häresieprozesse und Ketzerverfolgungen in Straßburg, Nordhausen und Mühlhausen in Thüringen. Würth beschreibt das Vorgehen, vor allem gegen die Waldenser, anhand von Einzelfallanalysen und stellt heraus, wie wenig Interesse die Reichsstädte daran hatten, Fälle von Ketzerei über die Stadtgrenzen hinaus bekannt zu machen. In der Verschriftlichung seines Abendvortrags, dessen Titel .Reichsstadt und Reformation' aus Bernd Moeliers gleichnamiger Arbeit entlehnt ist, beschreibt Wolfgang Reinhard die Wirkungsphasen der Reformation auf die städtische Gesellschaft und zeichnet damit zugleich einen forschungsgeschichtlichen Rahmen für die Tagung und den Sammelband (S. 101-110). Anhand der westfälischen Beispiele Soest und Münster zeigt Werner Freitag (S. 111-124) interessante Parallelen zum Ablauf der Reformation in Städten, die keine Reichsstädte waren. Es wird deutlich, dass weniger der reichsstädtische Status, sondern die politischen Umstände der Städte für diese Vorgänge entscheidend waren. Die Implementierung der Reformation wurde zugleich als Kompetenzerweiterung des Rates im kirchlichen Bereich genutzt (S. 122). Gérald Chaix (S. 125-138) legt in seinem Beitrag ,Reichsstadt und Konfession' einen Schwerpunkt auf die Konfessionalisierungsdiskussion und bedient sich dabei verschiedener Beispiele aus mehreren Reichsstädten. Wie der Beitrag von Wolfgang Reinhard ist seine Darstellung vorwiegend wissenschaftsgeschichtlich angelegt. Mit ,Das Bild des Toten im Religionskonflikt - Vom Umgang mit und Wandel der Sepulkralkultur' ist der Beitrag von Klaus Krüger (S. 139-160) betitelt, der sich dem Umgang mit Grabmälern im Bildersturm widmet. Er stellt fest, dass bei der in der Regel zielgerichteten Vernichtung religiöser Darstellungen Grabmäler verschont blieben, da sie "weiterhin als Besitz der Familie betrachtet" wurden, und "nur wenn sich die politischen Verhältnisse derart radikal veränderten wie im Falle Münsters", konnten sie "dem Sturm auf die Bilder zum Opfer fallen" (S. 145). Darüber hinaus geht Krüger auf die Grabgestaltung ein und stellt konfessionelle Spezialisierungen fest. Thomas T. Müller (S. 161-176) vergleicht die Anfänge der Reformation in den beiden politisch eng miteinander verbundenen Städten Nordhausen und Mühlhausen im Vorfeld und während des Bauernkriegs. Trotz sehr ähnlichen Ausgangslagen entwickelte sich die Reformation in den beiden Städten höchst unterschiedlich. Das verstärkte sich durch die Folgen des Bauernkriegs, da Nordhausen im Schatten der Abstrafung Mühlhausens die Reformation seiner städtischen Gemeinschaft voranbringen konnte. Die Genese der Reformation in Frankfurt am Main erläutert Michael Matthäus (S. 177-204), die er als Gratwanderung zwischen Protestantismus und Kaisertreue definiert: Erst durch den Augsburger Religionsfrieden hätte die Stadt beides vereinen und offiziell lutheranisch sein können. Thomas Kirchner (S. 205-224) geht der Frage nach: ,Welchem Kaiser gehorchten die Aachener?' und bietet damit einen Blickwinkel auf die verschiedenen Akteursgruppen im Verhältnis zum Stadtherrn in den innerstädtischen Aushandlungsprozessen zwischen Katholiken, Lutheranern und Reformierten im Verlauf der ,Causa Aquensis'. Den Reichs-kammergerichtsprozess zwischen dem Stift und der Stadt Essen von 1568 bis 1870 arbeitet Christian Heibich (S. 225-252) auf. Dabei spielte die Frage der Reichsunmittelbarkeit der lutherischen Stadt Essen inmitten eines mehrheitlich katholischen Umlands eine zentrale Rolle, die sehr detailliert im Prozess aufgerollt wurde. Wie viele Auseinandersetzungen im 16. und 17. Jahrhundert stellen sich die Argumente der Zeitgenossen deutlich differenzierter dar, als es ihnen später unter dem Eindruck des religiösen Konflikts zugestanden wurde. Ein Beispiel für konfessionelle Koexistenz findet sich im Beitrag von Helge Witt mann (S. 253-288), der die Verehrung des Grabes des "hl. Hermann als katholischer Erinnerungsort in der protestantischen Reichsstadt Mühlhausen" rekonstruiert. Das Hermann-Grab in der Kornmarktkirche war über mehrere Jahrhunderte ein Wallfahrtsort, der erst infolge der profanen Nutzung der Kirche verloren ging. In den Norden führt Rolf H a m m e 1 - K i e - sow (S. 289-314), der die Aufnahme von Glaubensflüchtlingen in Hamburg und Lübeck und die Behandlung von den verschiedenen Glaubensgemeinschaften im späten 16. und 17. Jahrhundert vergleicht. Dabei steigt er tief ins Geflecht der wirtschaftlichen und religiösen Wechselwirkungen ein, die Einfluss auf die Entscheidungen der Obrigkeiten nahmen. Andrea Riotte (S. 315-362) setzt sich mit der Parität der oberschwäbischen Reichsstadt Biberach auseinander, also mit der nach dem Westfälischen Frieden offiziellen gleichberechtigten Beteiligung der Evangelischen und Katholischen an der städtischen Politik. Riotte blickt dabei hinter die Kulissen der Bikonfessionalität und prüft, wie weit dieses Konzept in der Praxis trug und welche Konflikte daraus entstanden. Uber den Rand des Reiches schaut Hanspeter J e c k e r, der ,Täufertum und Pietismus als Herausforderung für Obrigkeit und Kirche in Bern 1650-1720' vorstellt (S. 363-382). Dabei konzentriert er sich vor allem auf die Täuferpolitik des Rates, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts durch Ausweisungen die Berner Machtelite außen-und innenpolitisch nachhaltig beschädigte. Den Abschluss bildet die traditionelle Rückschau auf die Tagung, in der André Krischer (S. 383-388) die verbindenden Elemente der Beiträge verknüpft. Die mehrfache Bezugnahme auf Bernd Moeliers Arbeit deutet auf die anhaltende Aktualität des 1962 erschienenen Werkes hin, dessen Potential auch heute noch nicht völlig ausgeschöpft scheint. Krischer unterstreicht unter anderem, dass die Stärke des vorliegenden Sammelbands in der Unterschiedlichkeit seiner Beiträge liege - eine Erkenntnis, der zweifelsfrei beizupflichten ist. Das Register und die Vorstellung der Autoren runden den Sammelband ab.

Das Wort ,hochwertig' fasst wohl am besten den Eindruck dieses Bandes zusammen. Das gilt sowohl für die Gesamtheit der Beiträge, von denen einige aus aktuellen Qualifikationsarbeiten stammen und dadurch eine bemerkenswerte thematische Dichte und Tiefe bieten, als auch für den Druck: Die gut ausgewählten Archivalien sind gestochen scharf abgebildet, so dass man sie mitlesen kann. Das erhebt sie von einem Beiwerk zu einem echten Bestandteil der Lektüre und erhöht das Lesevergnügen. Das Rheinland ist mit Aachen, Essen und einigen Beispielen aus Köln vertreten, wobei die einzige rein katholische Reichsstadt als Einzelbeitrag eine weitere Ergänzung des vielseitigen Themenspektrums geboten hätte. Durch die breite zeitliche Aufstellung bleibt der Band erfreulicherweise thematisch nicht im Lutherjahr stecken, sondern schlägt den Bogen zur aktuellen Diskussion über das Zusammenleben der Religionen. Dabei wird deutlich, dass die Stärke des landeshistorischen Ansatzes, epochenübergreifend arbeiten zu können, auch in diesem Bereich durch den Vergleich verschiedener Perspektiven nicht nur gewinnbringend, sondern zukunftsweisend ist. Der vierte Band der Studien zur Reichsstadtgeschichte ist lesenswert und bietet vergleichende Landesgeschichte auf hohem Niveau.

By Jochen Hermel, Bonn

Titel:
Reichsstadt im Religionskonflikt.
Autor/in / Beteiligte Person: Hermel, Jochen
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 82 (2018-10-01), S. 282-283
Veröffentlichung: 2018
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • REICHSSTADT im Religionskonflikt: Tagung des Muhlhauser Arbeitskreises fur Reichsstadtgeschichte Muhlhausen 8. bis 10. Februar 2016 (Book)
  • LAU, Thomas
  • WITTMANN, Helge
  • RELIGIOUS conferences
  • NONFICTION
  • Subjects: REICHSSTADT im Religionskonflikt: Tagung des Muhlhauser Arbeitskreises fur Reichsstadtgeschichte Muhlhausen 8. bis 10. Februar 2016 (Book) LAU, Thomas WITTMANN, Helge RELIGIOUS conferences NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review

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