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Ratingen in der Weimarer Republik.

Münster-Schröer, Erika
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 82 (2018-10-01), S. 332-334
Online review

Ratingen in der Weimarer Republik  Ratingen in der Weimarer Republik. Vom Ende des Krieges 1918 bis zur nationalsozialistischen "Machtergreifung", Bd. 1:1918-1929, als Quellen-und Lesebuch zusammengestellt von HERMANN TAPKEN unter Mitarbeit von FRANZ JOSEF SCHLÖSSER, DETLEF WÖRNER, Essen: Klartext 2015, 416 S. mit Abb. ISBN: 978-3-83751358-5.

Hermann Tapken, der Bearbeiter des hier besprochenen Bandes, hat sich intensiv mit der Geschichte Ratingens und insbesondere mit dem Nationalsozialismus befasst. Bereits 1990 legte er dazu eine umfangreiche Dokumentation vor, die neben den Beständen des Stadtarchivs Ratingen auch die Uberlieferung im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abteilung Rheinland, berücksichtigte. Der geplante zweite Band der Dokumentation zur Geschichte der Weimarer Republik wird dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Ratingen ebenfalls breiten Raum widmen. Dieser Folgeband sollte durch den Verein für Heimatkunde und Heimatpflege e.V,. Ratingen, bereits im Jahr 2016 herausgegeben werden, doch lässt das Erscheinen noch immer auf sich warten.

Der vorliegende Band 1 umfasst drei große Kapitel, die jeweils etwa 90 einzelne, teilweise auch längere Dokumente umfassen. Jedem Kapitel ist eine kurze Einführung vorangestellt, die zum einen allgemeine geschichtliche Informationen liefert und zum anderen die Orientierung innerhalb der einzelnen Dokumente erleichtern soll. Zudem sind jedem einzelnen Dokument noch Erläuterungen und Verweise auf weitere, nicht präsentierte Quellen nachgestellt. Dieses ist als vorbildlich anzusehen, denn es zeugt von der sorgfältigen Editionsarbeit des Quellenbandes.

Die Lektüre der anschaulichen und spannenden Dokumente ist informativ und weckt auch bei Hobbyhistorikern das Interesse an der Stadtgeschichte in dieser Zeit und der Epoche der Weimarer Republik insgesamt. So waren die Debatten über den Versailler Friedensvertrag, die auch im Ratinger Stadtrat wie in anderen Magistraten geführt wurden, in ihrer dezidierten Ablehnung höchst aufschlussreich und verweisen auf die insgesamt mangelnde Akzeptanz, die sich als so verhängnisvoll für die junge Republik erweisen sollte (S. 88f.).

Die französische Besatzung, die in Teilen Ratingens und des Umlandes eine wichtige Rolle spielte, rief in weiten Kreisen der Bevölkerung eine tiefe Ablehnung hervor, aus welcher zahlreiche Konflikte zwischen Soldaten und Einheimischen resultierten.

Die Berücksichtigung zahlreicher Dokumente zu Albert Leo Schlageter, einem Kämpfer gegen den Versailler Vertrag und seine Auswirkungen, der ganz in der Nähe Ratingens ein Attentat auf eine Eisenbahnbrücke verübte, weitet den Blick in die überregionale Geschichte. Schlageter wurde 1923 wegen des Anschlages in Düsseldorf hingerichtet. Auch die Rezeption dieser Tat vor allem auch durch den Nationalsozialismus findet dankenswerterweise eine starke Berücksichtigung. Dies verdeutlicht, wie gewinnbringend ein Aufbrechen der ansonsten strikt chronologischen Gliederung der Dokumentation zugunsten von thematischen Aspekten sein kann (S. 144-153).

Multiperspektivische Betrachtungen ermöglichen auch die hervorragend ausgewählten Quellen zur Feier des 650-jährigen Stadtjubiläums Ratingens im Jahr 1926. In den Debatten um Sinn und Unsinn, Aktionismus und Nachhaltigkeit der Ausgestaltung dieses Ereignisses werden die beiden ,Lager' innerhalb der Stadtgesellschaft -- Bürgertum und Arbeiter, die sich zum Teil unversöhnlich gegenüberstehen -- deutlich erkennbar (S. 229-260). Neben sozialgeschichtlichen sind anhand dieser Dokumente kulturgeschichtliche Forschungen möglich -- gerade auch in vergleichender Perspektive zu Jubiläen anderer Städte, die in der Weimarer Zeit gern gefeiert wurden. Weitere aussagekräftige Dokumente werden zu Wirtschaft, Schule und Bildung, Parteien, Vereinen und Kirchen angeboten.

Im Anhang finden sich eine Zeittafel zur Allgemeinen Politik' und zu Ratingen (S. 386-390), Statistiken zu Reichstags-, Landtags-und Stadtratswahlen (S. 391-392) sowie ein Literaturverzeichnis mit einschlägigen Titeln zu allgemeinen wie auch stadtgeschichtlich relevanten Themen.

Besonders hervorzuheben ist der Teil C des Anhangs, der mit,Personen des öffentlichen Lebens' überschrieben ist (S. 412-415). Dieses biographische Verzeichnis wurde von Hermann Tapken auf der Basis von Daten und Fakten zusammengestellt, die ihm in den durchgearbeiteten Quellen begegnet sind. Die dargebotenen Lebensläufe beginnen noch im Kaiserreich und enden in den 1950er Jahren der Bundesrepublik. Wenn darin auch vielfach Lücken feststellbar sind, so fordern sie zum Vergleich geradezu heraus, denn sie veranschaulichen Brüche ebenso wie Kontinuitäten in der Stadtgesellschaft Ratingens und ihres Umgangs mit dem Nationalsozialismus.

Dies sei am Beispiel Walter Goebels, von 1954 bis 1956 für die CDU Bürgermeister der Stadt, exemplarisch kurz aufgezeigt. Walter Goebel musste sich, nachdem er 1918 als Hauptmann aus dem deutschen Heer ausgeschieden war, eine neue berufliche Existenz suchen. In Schlesien geboren, kam er in diesem Jahr nach Ratingen. Er begann ein Jurastudium in Köln, promovierte und wurde 1923 Geschäftsführer der neugegründeten Vereinigung Ratinger Industrieller. Seine Liebe zum Militär blieb auch in dieser Zeit erhalten, und so wurde er im ,Kyffhäuser Bund ehemaliger Soldaten' in Ratingen aktiv und übernahm 1928 hier die Führung. Politisch organisierte er sich im Ordnungsblock, einer stark deutschnational ausgerichteten Vereinigung, für welche er 1929 in den Stadtrat einzog. 1939 meldete er sich sofort wieder zum Militär und kehrte nach dem Krieg nach Ratingen zurück. Über seinen Werdegang während des Krieges erfährt man leider nichts, da nur auf Ratingen bezogene Quellen ausgewertet wurden. 1954 wurde Dr. Walter Goebel für die CDU zum Bürgermeister gewählt (S. 397-398). Er löste damit Peter Kraft, SPD, ab, der die beiden vorherigen Jahre amtiert hatte. Diese Vereinbarung war durch ein unentschiedenes Wahlergebnis zustande gekommen. Peter Kraft, vergleicht man seine Vita mit der seines ,Amtskollegen', war bereits 1933 mehrfach verhaftet worden. Er war als Parteiführer und Reichsbannerführer in Ratingen bekannt gewesen. Auch danach war er vielfachen Repressionen durch die Nationalsozialisten ausgesetzt gewesen, bevor er nach Kriegsende rehabilitiert wurde (S. 399-400). Die anderen, zum Teil sehr lückenhaften Biographien, die ausschließlich Männer betrafen, welche dem linken, bürgerlichen oder katholischen Spektrum der Stadt angehörten, bieten ebenfalls vielfältige Vergleichsmöglichkeiten, die aufschlussreich für die Ratinger Stadtgesellschaft der Nachkriegszeit sind. Hierfür müssten jedoch noch weitere Forschungen durchgeführt werden.

Wegen der Vielzahl der Themen, die in der Dokumentation angesprochen werden, ist die Orientierung darin nicht immer ganz einfach. Als oberste Gliederungsebene eines jeden Kapitels fungiert jeweils die Chronologie. So werden politische und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklungen in jedem Zeitabschnitt (,Beendigung des Krieges, Novemberumsturz und Aufbau einer neuen staatlichen Ordnung', S. 25-102; ,Die Zeit der Krisen -- Hochinflation, Streiks und französische Besatzung', S. 103-206, und ,Das Leben in den ,guten Jahren', S. 207-385) thematisch immer wieder neu aufgenommen. Obwohl in den Kurzbiographien die Zeit des Nationalsozialismus bereits berücksichtigt wurde, ist das Ende der Weimarer Republik im vorliegenden Band ansonsten noch ganz ausgenommen. Da eine Quellendokumentation wie die hier vorgelegte naturgemäß kein Narrativ anbieten kann, ist sie auch nicht ganz so einfach zu rezipieren. Wegen des großen Umfangs ist andererseits die Entscheidung der Herausgeber, zwei Teile zu konzipieren und gesondert zu veröffentlichen, ohne weiteres nachvollziehbar.

Die Weimarer Republik, die im öffentlichen Bewusstsein wenig präsent ist, wird insgesamt in diesem Band sehr lebendig und anschaulich. Die Auswahl der Dokumente zeugt von einer profunden Kennerschaft Hermann Tapkens, dem für seine Verdienste in dieser Hinsicht gar nicht genug gedankt werden kann -- umso mehr, als er einen Großteil der Arbeit nach seiner Pensionierung aus dem Schuldienst über viele Jahre unermüdlich betrieben hat.

Eine Vielzahl auch hinsichtlich der Qualität ansprechende Abbildungen wirkt in jedem Fall animierend, auch die Dokumente näher anzuschauen. Die Lektüre des Bandes bietet in jedem Fall insgesamt einen großen Gewinn.

Den Mitbearbeitern Franz-Josef Schlößer und Detlef Wörner sowie dem Verein für Heimatkunde und Heimatpflege e.V. Ratingen ist dafür zu danken, dass sie die Herausgabe und Druckfinanzierung des Bandes unterstützt bzw. übernommen haben. Es bleibt zu wünschen, dass nun, im 100. Jubiläumsjahr der Gründung der Weimarer Republik, auch der Folgeband erscheinen möge.

By Erika Münster-Schröer, Essen

Titel:
Ratingen in der Weimarer Republik.
Autor/in / Beteiligte Person: Münster-Schröer, Erika
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 82 (2018-10-01), S. 332-334
Veröffentlichung: 2018
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • RATINGEN in der Weimarer Republik: Vom Ende des Krieges 1918 bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung 1918-1929 (Book)
  • TAPKEN, Hermann
  • SCHLOSSER, Franz-Josef
  • WORNER, Detlef
  • NATIONAL socialism
  • NONFICTION
  • Subjects: RATINGEN in der Weimarer Republik: Vom Ende des Krieges 1918 bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung 1918-1929 (Book) TAPKEN, Hermann SCHLOSSER, Franz-Josef WORNER, Detlef NATIONAL socialism NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review

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