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Teil der Gewalt.

Gemählich, Matthias
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 82 (2018-10-01), S. 344-345
Online review

BESPRECHUNGEN Teil der Gewalt  NADINE FREUND: Teil der Gewalt. Das Regierungspräsidium Kassel und der Nationalsozialismus (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 85), Marburg: Historische Kommission für Hessen 2017,646 S. ISBN: 978-3-942225-37-3.

Welche Mitschuld die mittlere Verwaltungsebene an den Verbrechen des NS-Regimes trägt, ist von Region zu Region bislang nur in sehr unterschiedlichem Maße erforscht. Besonders augenschein lieh war bislang das Fehlen einer solchen Aufarbeitung der eigenen Geschichte im Fall des Regierungspräsidiums Kassel, des Verwaltungssitzes des größten hessischen Regierungsbezirks: Wer das Gebäude aufsuchte, konnte dort im Treppenhaus lange Zeit nur eine Lücke sehen, die in der Galerie der Porträtbilder aller Regierungspräsidenten für die Jahre 1933 bis 1945 klaffte.

Diese Forschungslücke hat nun die Historikerin Nadine Freund mit ihrer umfangreichen Studie über das Kasseler Regierungspräsidium in der Zeit des Nationalsozialismus geschlossen. Hierfür hat die Verfasserin vielfältiges Aktenmaterial insbesondere im Bundesarchiv in Berlin und in den hessischen Staatsarchiven in Wiesbaden und in Marburg ausgewertet. Da von der Behörde selbst nur relativ wenige Unterlagen erhalten sind, hat sich Freund vor allem auf das Schriftgut von anderen Stellen konzentriert, die mit dem Regierungspräsidium Kassel in Verbindung standen. Das Ergebnis ihrer Nachforschungen ist eine Arbeit, die nicht nur eine Geschichte der Behörde in der NS-Zeit darstellt, sondern auch übergeordneten Fragen wie der Elitenkontinuität über das Jahr 1945 hinaus nachgeht.

Über 600 Seiten stark und in sechs große Kapitel untergliedert, zeichnet sich die Studie inhaltlich vor allem durch einen sehr differenzierenden Blick der Verfasserin und durch die Berücksichtigung einschlägiger Forschungsthesen aus. Im Kern verfolgt die Verfasserin dabei zwei Hauptanliegen: Zum einen arbeitet sie heraus, in welchem Maße sich das Regierungspräsidium Kassel an der nationalsozialistischen Judenverfolgung beteiligte. Hier wird bei der Lektüre deutlich, dass die Behörde sich in die Umsetzung der Nürnberger Gesetze und daran anknüpfender judenfeindlicher Bestimmungen des NS-Regimes aktiv einschaltete, sich dabei eng mit den Parteistellen abstimmte und zum Teil selbst sogar eine schärfere Gesetzgebung forderte. Der Eifer, den die Kasseler Beamten dabei an den Tag legten, wird vor allem darin sichtbar, dass sie ihren Ermessensspielraum bei der Anwendung einzelner Bestimmungen tendenziell zum Nachteil der betroffenen Juden nutzten.

Zum anderen will die Verfasserin klären, welchen Platz das Regierungspräsidium Kassel innerhalb des Machtgefüges des NS-Staats einnahm. Hier fällt ihre Antwort weniger eindeutig aus: In der Realität der NS-Herrschaft verschwammen die Grenzen zwischen Politik und Verwaltung zusehends. Das lag vor allem daran, dass Funktionsträger der NSDAP zusätzlich Aufgaben innerhalb des Verwaltungsapparates übernahmen und die Gauämter der Partei auch Verwaltungsaufgaben für sich reklamierten. Freund kann daher letztendlich nur konstatieren, dass das Kasseler Regierungspräsidium in dem komplexen Machtgefüge mit einer Vielzahl von Beteiligten einen Akteur darstellte, der fest in die nationalsozialistische Herrschaftsstruktur eingebunden war und der als Ansprechpartner der Parteiinstanzen auf regionaler Ebene fungierte.

In beiden Bereichen bestätigen die Ergebnisse der Studie somit in erster Linie die in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse der Forschung über das Funktionieren der Verwaltung im Nationalsozialismus, wie es sich auch für andere Gebiete beobachten lässt. Nach regionalen Besonderheiten und Unterschieden zu den Vorgängen in anderen Teilen des Deutschen Reiches wird dagegen kaum gefragt, was die Arbeit zweifellos bereichert und für eine nicht mit der Region Hessen in Verbindung stehende Leserschaft attraktiver gemacht hätte. Nichtsdestotrotz wird die Studie ihrem Anspruch voll und ganz gerecht, erstmals Klarheit zu schaffen über die Rolle des Regierungspräsidiums Kassel in der NS-Zeit. Angesichts der von der Behörde über Jahre praktizierten Verdrängung dieses Kapitels der eigenen Geschichte kann sie daher nur als seit langem überfällig bezeichnet werden.

By Matthias Gemählich, Mainz

Titel:
Teil der Gewalt.
Autor/in / Beteiligte Person: Gemählich, Matthias
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 82 (2018-10-01), S. 344-345
Veröffentlichung: 2018
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • TEIL der Gewalt: Das Regierungsprasidium Kassel und der Nationalsozialismus (Book)
  • FREUND, Nadine
  • NATIONAL socialism
  • NONFICTION
  • Subjects: TEIL der Gewalt: Das Regierungsprasidium Kassel und der Nationalsozialismus (Book) FREUND, Nadine NATIONAL socialism NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review

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