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Neipperg.

Bechtold, Jonas
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 82 (2018-10-01), S. 376-378
Online review

BESPRECHUNGEN Neipperg  KURT ANDERMANN (Hg.): Neipperg. Ministerialen, Reichsritter, Hocharistokraten (Kraichtaler Kolloquien 9), Epfendorf: bibliotheca academica 2014, 232 S. ISBN: 978-3-928471-98-5.

Landesgeschichtliche Untersuchungsräume sind häufig an vormoderne Territorialstrukturen gebunden und unausweichlich mit der Betrachtung entsprechender Herrschaftsstrukturen verbunden. Meist führt dies zur intensiven Beschäftigung mit der Adelsgeschichte, der sich der neunte Band des Kraichtaler Kolloquiums widmet. Dessen acht Beiträge untersuchen das schwäbische, in Schwaigern ansässige Grafenhaus Neipperg in diachroner Betrachtung. Den chronologischen Auftakt macht Jörg Schwarz mit der Frage nach den Anfängen des Hauses Neipperg in staufischer Zeit (S. 37-52). In seiner Analyse der schriftlichen Quellen leitet er den Charakter der Neipperg'schen Herrschaft her und argumentiert für deren Zugehörigkeit zur im staufernahen Reichsland typischen Reichsminis-terialität, deren Lehensherr die Kirche von Würzburg war. Die Einbeziehung der Burgreste als Sachquelle dient der Analyse des Status der Neippergs unter den Staufern, wobei Schwarz die repräsentative Bauweise der in den 1220ern gebauten Burg in Beziehung zur nahe gelegenen Pfalz Wimpfen unter Heinrich (VII.) setzt. Deutlich unterscheidet der Autor seine Thesen von reinen Vermutungen, wobei er sich weitgehend auf das Württemberger Urkundenbuch stützt, wenn er auch die Quellenangabe einer zitierten Memorialstiftung schuldig bleibt (S. 43).

Kurt Andermann geht den zahlreichen agnatischen Nebenlinien des Hauses nach. Für das 14. bis 16. Jahrhundert stellt er die Geschichte des Hauses unter die Schlagworte "Herrschaftsverdichtung und Selbstbehauptung" (S. 69-93). Trat Ersteres gerade zum Ende des Spätmittelalters unter Engelhard von Neipperg (tl495) nach zahlreichen Erbteilungen ein, war Letzteres durch die "qua-litätvolle[] soziale!] Verflechtung" (S. 78) der Heiratspolitik früh verfolgt worden. Im Schwerpunkt des badisch-kurpfälzisch-württembergischen Dreiecks behauptete sich Neipperg vor allem in kurpfälzischen Hofdiensten. Ob im Falle des kurpfälzisch-badischen Krieges 1460/62 mit Neipperger Vettern an beiden Fronten tatsächlich eine innerfamiliäre Strategie steckte, mit der man sich durch beidseitiges Engagement in alle Richtungen absicherte, bleibt jedoch eine vage Vermutung (S. 85-87). Insofern sind die "innerfamiliären Strategien zur Konfliktvermeidung" (S. 91) abseits der Erbverträge nicht zu überinterpretieren.

Die Abwendung vom Kurpfälzer Hof hin zum Württemberger Hof am Ende des 16. Jahrhunderts ist lediglich im Ausblick des Beitrags von Herrmann E h m e r (S. 95-113) erwähnt, der den Reforma-tionsprozess in Schwaigern untersucht. Diesem schlössen sich die Herren von Neipperg an, jedoch nicht dem Kurpfälzer Konfessionswechsel. Ausschlaggebend für die Verbreitung reformatorischer Strömungen sei die Pfarrstellenvergabe an Heidelberger Universitätsabsolventen gewesen, die ihr Amt in Vertretung der geistlichen Neipperger Familienangehörigen ausübten, die sich mit den Pfründen der Pfarren begnügten. Außen vor bleibt die Frage, in welcher Kausalität der Konfessionswechsel zur anfänglich lutherischen Orientierung des Dienstgebers Kurpfalz stand. Ob die Reformation in Schwaigern 1537 mit dem Vertrag zur Pfründenteilung unter den Erben Ludwigs von Neipperg tatsächlich zum "Abschluss" kam (S. 109/112), sei angesichts der Prozesshaftigkeit von Konfessi-onalisierungsentwicklungen dahingestellt. Warum und wie genau sich das Haus Neipperg nach 1555 stärker nach Stuttgart orientierte, um "im Schutze der Augsburgischen Konfession zu bleiben" (S. 113), bleibt unbegründet, zumal ein eigener Beitrag für das späte 16. und gesamte 17. Jahrhundert fehlt.

Hingegen widmen sich gleich drei Beiträge der Neipperg'schen Geschichte des 18. Jahrhunderts, für dessen Anfang Horst Carl (S. 115-137) mehrere einschneidende Entwicklungen für Neipperg konstatiert: die Kanalisierung (im)materieller Ressourcen durch das Aussterben der Nebenlinien, die Erweiterung der Wirkungskreise als Direktor des Kraichsgauer Grafenkollegiums und im kaiserlichen Militärdienst gegen Preußen und Türken sowie die durch die Konversion zum Katholizismus ermöglichte Erhöhung in den Grafenstand 1726. In den drei Kurzbiographien der Stammlinie des Hauses bis 1792 offenbart Carl -- ohne es zu benennen -- ein Bilderbuchexempel kaiserlicher Klientelpolitik, deren Indizien sich im Niederadel in sukzessiver Rangerhöhung, Ämtervergabe bei Hofe und militärisch-diplomatischer Indienstnahme äußern. Nach den zwei Feldmarschällen Eberhard Friedrich und Wilhelm Reinhard von Neipperg schlug Leopold von Neipperg die diplomatische Karriere ein, die ihn u.a. an den Regensburger Reichstag führte. Typischerweise führte diese Tätigkeit die Familie in den finanziellen Ruin.

Die Neipperg'sehe Hauskasse interessiert auch Johannes S ü ß m a η η (S. 139-161), der den außergewöhnlich sparsamen Bau des Schwaigerer Schlosses repräsentationspolitisch einordnet und erstmals den von Leopold in Wien erworbenen Palais in bester Nachbarschaft zu Kaunitz, Harrach und Lamberg an der Schottenkirche identifiziert. Vom "prächtigen Stadtpalais" Leopolds in Regensburg (so Carl, S. 135) ist bei Süßmann allerdings keine Rede.

Die Bewältigung der Schuldenlast schien laut William G ο d s e y s Beitrag (S. 163-179) zunächst zu einer langfristigen Statusminderung zu führen, doch war der gegenteilige Verlauf dem Zufall zuzusprechen, dass die Zuneigung der Napoleon-Witwe Erzherzogin Louise auf den Stammhalter Adam Albert von Neipperg fiel, der als ihr Vertreter beim Wiener Kongress ihr Liebhaber und seit 1821 auch ihr Gatte geworden war. Die vorehelich geborenen Kinder wurden zur italisierten Nebenlinie ,Mοη- tenuovo' und sollten das nach der Verheiratung in das Lobkowitz-Geschlecht zunehmend böhmisch orientierte Neipperghaus um 1900 wieder zu Hofämtern in Wien führen.

Der Aufsatz von Reinhard Graf von Neipperg (S. 181-203) verharrt weitgehend in Anekdoten und kurzbiographischen Nacherzählungen vom Großvater bis zum Bruder des Autors, dem aktuellen Erbgrafen. Gerade für die 1920/30er Jahre hätte ein tieferer wissenschaftlicher Kontext zum zentrumsnahen, katholisch-konservativen Adel die Einordnung erleichtert. Trotz nachvollziehbarer familiärer Befangenheit ist Neipperg jedoch deutlich um Objektivität bemüht.

Die sieben Beiträge ergänzt ein Aufsatz von Christian Wieland (S. 13-35) zu publizistischen Reflexionen über Adel im Alten Reich'. Ihm gelingt eine kulturgeschichtliche Betrachtung der medial geführten Diskurse über Wesen, Rechte und Pflichten des Adels. Wieland widmet sich zunächst den Spezifika des Reichsadels im europäischen Vergleich und konstatiert dessen hohen Anteil an Verrechtlichung und Verwissenschaftlichung sowie dessen Relevanz in juristischen Abhandlungen. Letztere differenziert er in drei Gattungen: universitär-juristische und historisch legitimierende Abhandlungen sowie Schriften mit politischem Diskussionszusammenhang. Die Definition von Adel sei stets Gegenstand eines Diskurses gewesen, an dem der Adel selbst Anteil nahm. Weil Adel letztlich auf der Bedeutungszuweisung Nichtadeliger beruht, hatte der Prozess der Statussicherung Anteil an der Statusbildung selbst; umso naheliegender, dass der Adel am Diskurs teilzuhaben versuchte.

Das Haus Neipperg gewinnt in diesem mit gehaltvoller Bebilderung und differenziertem Register versehenen Band einen für viele Prozesse der vormodernen Adelswelt exemplarischen Charakter, beispielsweise für die Behauptungsprobleme staufischer Ministerialität nach 1250 oder für die kaiserliche Klientelpolitik des 18. Jahrhunderts. In Einzelfällen wurden archivalisch neu gewonnene Einsichten in den übrigen Beiträgen noch nicht übernommen, was im Nebeneinander eines Sammelbandes bedauerlich ist. Die ausgiebige Nutzung des gräflichen Familienarchivs in den (früh)neuzeit-lichen Beiträgen ist ertragreich, Perspektiven und Desiderate der Erforschung der Archivbestände wären eine nicht notwendige, aber zukunftsweisende Ergänzung gewesen.

Gemeinsam ist den Beiträgen der häufige Rekurs auf lokalgeschichtliche Untersuchungen. Das ist kein Präjudiz über deren Qualität, wohl aber über deren Sichtbarkeit in wissenschaftlichen Einrichtungen und Bibliotheken. Die wissenschaftliche Reputation der Beitragenden, ihre Fähigkeit zur Einordnung der Ergebnisse und zur Unterscheidung von Auffälligkeiten und Unauffälligkeiten und nicht zuletzt die Professionalität der Bandgestaltung dürften diese Sichtbarkeit deutlich erhöhen. Gerade Letzteres ist dem Sammelband nur durch eine gesicherte Finanzierung möglich. Hier profitiert der Band erfreulicherweise von seinem eigenen Untersuchungsgegenstand: der Familie Neipperg.

By Jonas Bechtold, Bonn

Titel:
Neipperg.
Autor/in / Beteiligte Person: Bechtold, Jonas
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 82 (2018-10-01), S. 376-378
Veröffentlichung: 2018
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • NEIPPERG: Ministerialen-Reichsritter-Hocharistokraten (Book)
  • ANDERMANN, Kurt
  • GERMAN politics & government
  • NONFICTION
  • Subjects: NEIPPERG: Ministerialen-Reichsritter-Hocharistokraten (Book) ANDERMANN, Kurt GERMAN politics & government NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review

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