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Wohin die Reise geht.

In: Automobil-Produktion, 2018-11-08, Heft 11, S. SH6- (3S.)
Online serialPeriodical

Wohin die Reise geht 

Die USA liefert sich einen Handelskrieg mit China, Großbritannien trennt sich – wie auch immer – von der EU. Der freie Welthandel, lange erkämpft, droht zu scheitern. Für die ohnehin im Umbruch steckende Autoindustrie bedeutet das enorme Unsicherheit und hohe Belastungen.

Die Flieger aus München und Frankfurt in den Süden und Norden der USA oder in Chinas Metropolen sind gut gebucht. Sie gelten als Pendelstrecke für Automobilmanager, um ihre Dependancen in den beiden größten Fahrzeugmärkten zu besuchen. Auch die Insel galt als attraktiver Fertigungs-standort, lockte doch die britische Regierung lange mit Fördermitteln. Doch in den vergangenen Monaten sind die Reisen in die Autodestinationen Shanghai, Peking, Charlotte, Detroit oder rund um London alles andere als Routine. Denn US-Präsident Donald Trump legt sich mit den Chinesen und Europäern gleichermaßen an. In Großbritannien stimmten die Bürger für ein Inseldasein, Annektionstendenzen Russlands und eine Einbahnstraßenpolitik der Türkei rütteln zusätzlich an den in der WTO verankerten globalen freiheitlichen Handelsbedingungen.

Die Separierungstendenz hat mit dem EU-Exit der Briten begonnen. Doch richtig aufs Gas stieg US-Präsident Donald Trump nach seinem Amtsantritt. Um die nach seiner Meinung „Bad Deals" auszumerzen, die seine Vorgänger der US-Wirtschaft eingebrockt haben, reitet Trump einen aggressiven handelspolitischen Kurs – innerhalb der NAFTA, vor allem aber gegen China. Das durchaus nicht ohne Grund. Zwar tauge die vom US-Präsidenten gewählte Rhetorik und die Politik der Strafzölle „nicht zum Vorbild", so der Autoexperte Stefan Bratzel, es sei aber auch nicht alles „Humbug" was vom US-Präsidenten ins Feld geführt werde. Bratzel gibt zu bedenken, dass sich die Chinesen seit Jahren Regeln herausnehmen, die im Welthandel „ziemlich einzigartig" sind. So haben chinesische Unternehmen weitgehend freien Zugang zu den Märkten in Europa und Nordamerika, was diese weidlich für milliardenschwere Einkaufstouren nutzen, umgekehrt schützt aber China seine heimischen Unternehmen durch den Joint-Venture-Zwang. Dass bei letzterem eine Kehrtwende eingeleitet wurde, sieht der Autoexperte durchaus als Ergebnis von Trumps wirtschaftspolitischem Kurs.

Verständnis für Trump

Ein Erfolg, den Trump auch für die Neufassung des Handelsabkommens zwischen seinem Land, Mexiko und Kanada reklamieren kann. Die frühere NAFTA trägt jetzt das Kürzel USMCA und schon die Reihenfolge der Buchstaben macht klar, wer hier die Hosen an hat. Dass im Zuge der Neufassung ein Mindestlohn in Mexiko definiert wird, findet durchaus Beifall in Kreisen von Wirtschaftswissenschaftlern. Damit scheint ein Konfliktherd zwar politisch entschärft. Wie sich das auf den Automarkt auswirken wird, bleibt aber abzuwarten. IHS Markit, eines der globalen führenden Analyseinstitute für die Automobilindustrie, rechnet damit, dass sich Autos für US-Konsumenten um 1.800 bis 5.700 US-Dollar, je nach Modell, verteuern werden, was in der Konsequenz auf den Fahrzeugabsatz drücken werde. In Summe rechnen die Marktexperten im Jahr 2020 mit 2,2 Millionen Einheiten weniger als im laufenden Jahr 2018, das etwas über 17 Millionen Einheiten leicht unter Vorjahr liegen dürfte. Dabei sind noch nicht einmal alle Risiken „eingepreist", wie etwa die Entwicklung des Ölpreises angesichts des alten Konfliktes mit dem Iran und des möglicherwiese neuen mit Saudi Arabien und eine mögliche Eskalation des Handelsstreits mit China.

Hamsterkäufe in Großbritannien

Wie schnell sich das Blatt wenden kann, lässt sich auf dem größten Automarkt der Welt besichtigen: Vor Monaten nahezu undenkbar, ist der chinesische Automarkt dick ins Minus gerutscht und kommt von Regierungsseite auf den letzten Drücker nicht noch ein Incentive-Programm, droht China erstmals ein Ganzjahresminus. Die Faktoren hierfür bereits jetzt alleine am Handelsstreit festzumachen, wäre zu kurz gegriffen. Durch den Handelsstreit haben sich aber Importe verteuert und das zurückgehende Exportvolumen in die USA hat das Wirtschaftswachtsum verlangsamt. In Summe, so Henner Lehne, bei IHS Markit Executive Director Global Vehicle Group, führe das zu deutlicher Zurückhaltung beim Fahrzeugkauf in China. Wobei Lehne von einer vorübergehenden Schwäche ausgeht, von der auch längst nicht alle Bereiche betroffen sind. Wohin allerdings eine Eskalation des Handelsstreits führen könnte, erleben die Europäer mit dem Brexit vor der eigenen Haustür. Dass auch zweieinhalb Jahre nach dem Brexit-Votum der Briten noch keine Einigung in Sicht ist, „verunsichert Wirtschaft und Unternehmen", so Ludovic Subran, Chefvolkswirt der Euler Hermes Gruppe und stellvertretender Chefvolkswirt der Allianz. Messbar ist die in Zahlen. Laut dem Kreditversicherer kostet die Unsicherheit bis zu einer Einigung jedes Quartal bis zu 0,1 Prozentpunkte beim britischen Wirtschaftswachstum. Durch die Schwäche des britischen Pfund seien die Margen seit 2016 um 2,5 Prozentpunkte geschrumpft und das Abwärtskarussell drehe sich weiter. Inzwischen, stellt Ron van het Hof fest, der bei Euler Hermes die Regionen Deutschland, Österreich und die Schweiz verantwortet, dass es regelrechte Hamsterkäufe von in Großbritannien angesiedelten Industrieunternehmen gibt, um die Unterbrechungen in der Lieferkette zu vermeiden. Auch gehe man davon aus, dass europäische gegen britische Lieferanten ausgetauscht werden. Vor allem Zulieferer aus der zweiten und dritten Reihe bringt das in die Bredouille. Zwar sind auch Unternehmen wie Hella oder Webasto inzwischen – dem Trend „Die Produktion folgt dem Markt" folgend – global stark vertreten. Aber jetzt eine Entscheidung zu fällen, in Großbritannien zu investieren, dürfte zu einer echten Glaubensfrage werden. Trotz der polarisierten politischen Landschaft in Großbritannien glaubt Subran nicht an einen harten Ausstieg, sondern rechnet mit einer Einigung in letzter Sekunde. Das wohl auch, weil es den Experten unwahrscheinlich erscheint, dass die britische Politik dieses enorme Risiko für die heimische Wirtschaft eingeht. So stünden durch eine Nicht-Einigung Exporte in Höhe von 30 Milliarden Euro auf der Kippe – pro Jahr.

Mit am stärksten betroffen von den handelskriegerischen Szenarien ist die Autoindustrie, ganz vorne dabei ist BMW. Im Vierzylinder in München steigt die Nervosität, ist man mit der Marke Mini im Stammwerk Oxford und der in Spartanburg/USA gebündelten Fertigung der margenträchtigen SUV gleich an beiden Fronten mittendrin, statt nur dabei. Das Werk in Spartanburg ist inzwischen das größte im Produktionsverbund des Premiumherstellers und gar der größte Automobil-Exporteur der USA. 70 Prozent der US-Fertigung verlassen den nordamerikanischen Raum, ein Großteil wird nach China verfrachtet. Da ist es auch nur ein mäßiger Trost, dass der X3 seit kurzem auch in Shenyang vom Band läuft. Was die SUV-Fertigung anbelangt, prüft man längst alle Optionen. Auch, ob man die SKD-Werke in Russland, Ägypten und Thailand in die X5-Produktion einbezieht und dann aus diesen Ländern den chinesischen Markt beliefert. Bei Mini hat man durch die Fertigung bei VDL in den Niederlanden einen wichtigen Bypass, ebenso in China durch das geschlossene Joint-Venture mit Great Wall. Noch mehr unter Druck stehen die kleineren Premiumhersteller wie Jaguar Land Rover oder Volvo, die alleine schon aufgrund des deutlich geringeren Volumens nicht über eine breit gefächerte Werkswelt verfügen wie BMW, Daimler oder gar der in die VW-Konzernwelt eingebundene Autobauer Audi. Schwer in den Seilen hängen derzeit die Briten. JLR baut immer noch etwa 80 Prozent seiner Autos in Großbritannien, etwa ebenso hoch ist der Exportanteil. Weil man umgekehrt einen hohen Importanteil an Komponenten aus Festlandeuropa hat, wäre ein harter Brexit fatal. Immerhin: Das Werk im slowakischen Nitra wurde just eröffnet und schafft etwa Luft von der hohen Abhängigkeit vom heimischen England. In der Führungsetage der britischen Premiumgruppe blickt man mit zunehmender Fassungslosigkeit auf das politische Treiben. JLR-Chef Ralf Speth hat Premiereministerin May persönlich vor einem „No Deal" gewarnt, sein Vorstandskollege Hanno Kirner hat kürzlich gegenüber den Medien offen mit Produktionsverlagerungen gedroht.

JLR schwer unter Druck

Eine ähnlich klare Ansage machte der Toyota-Europachef Johan van Zyl. Noch im Frühjahr 2018 hatten die Japaner ungeachtet des Bexit beschlossen, auch den kommenden Auris im britischen Werk Burnaston zu fertigen und hatten dazu Investitionen in Höhe von 270 Millionen Euro freigegeben. Van Zyl hat die Zusagen in einem TV-Interview inzwischen in Frage gestellt. Sollte es zum harten Brexit kommen, seien die zu erwartetenden Belastungen nicht durch Effizienzsteigerungen zu kompensieren. Als besonders kritisch hob der Manager hervor, dass durch Grenzkontrollen die auf Just-in-Time-Anlieferung ausgerichtete Logistik ausgehebelt werden könne und dadurch die Produktion gefährdert werde.

Seine Erwartungshaltung machte Toyota Europachef auch gleich klar: Spätestens bis März 2019 müsse man Klarheit über den weiteren Kurs haben. Was van Zyl dann erwartet, dürfte ziemlich deckungsgleich mit den Forderungen sein, die von JLR kommen: keine Grenzkontrollen, keine Zölle, Zugang zu Talenten und die Beibehaltung technischer Standards. n

Text: Frank Volk, Christiane Habrich-Böcker

Tiefrote Bilanz beim Güterhandel

Wie aus Zahlen hervorgeht, die AmCham Germany bei ihrer Herbstpressekonferenz vorstellte, entfiel 2017 fast die Hälfte des US-Güterhandelsdefizits auf China.

US-Außenhandelsbilanz 2017 (in USD Mrd.)

nicht vergleichbar

Güter

Dienstleistungen

Anteil am Güterdefizit

Graph: Quelle: Accenture Research, United States Cenus Bureau, ifo

Graph: China auf dem Kieker: US-Präsident Trump wütet handelspolitisch Richtung China, in Kreisen der globalen Industrie ist man besorgt.

Graph: X5-Produktion in Spartanburg: Angesichts von Strafzöllen in China erwägt BMW eine Fertigung außerhalb den USA.

Graph: Bahn-Verladung des Volvo S60L in China: viele Handelswege in Frage gestellt.

Graph: Schön fürs Prestige von Jaguar Land Rover, für den Autobauer wäre ein „weicher" Brexit wichtiger: Queen Elisabeth und Prinzgemahl Philip bei der Geburtstagsparade der britischen Königin.

Graph: Bild: Jaguar Land Rover

Graph: Bild: Volvo

Graph: Bild: BMW

Titel:
Wohin die Reise geht.
Zeitschrift: Automobil-Produktion, 2018-11-08, Heft 11, S. SH6- (3S.)
Veröffentlichung: 2018
Medientyp: serialPeriodical
ISSN: 0934-0394 (print)
Schlagwort:
  • INTERNATIONAL trade disputes
  • WORLD Trade Organization
  • TRUMP, Donald, 1946-
  • ECONOMIC policy
  • CONSUMERS
  • UNITED States
  • Subjects: INTERNATIONAL trade disputes WORLD Trade Organization TRUMP, Donald, 1946- ECONOMIC policy CONSUMERS
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Where the journey is going.
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Geographic Terms: UNITED States

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