Carina L. Johnson, Archeologies of Confession. Writing the German Reformation, 1517–2017. Spektrum. Publications of the German Studies Association, Vol. 16. 2017 Berghahn Books Oxford, 978-1-78533-540-2, $ 130,–
Die Aufsätze beleuchten den Einfluss der Geschichtsschreibung auf das Bild der Reformation in den letzten fünf Jahrhunderten. Sie reflektieren somit die neuerliche Beschäftigung mit den Ideen von Maurice Halbwachs, Pierre Nora und Aleida Assmann. Wenn ehemals die Konfessionalisierungsthese das wissenschaftliche Interesse an den religiösen, gesellschaftlichen und politischen Folgen der Reformation bestimmte, standen in letzter Zeit eher die Grenzen der Konfessionalisierung im Mittelpunkt, wie auch in diesem Sammelband.
Die AutorInnen unternehmen gleichsam eine archäologische Rekonstruktion. Teil 1 behandelt die Versuche im 19. und 20. Jahrhundert, eine nützliche Vergangenheit herzustellen. Spätestens um 1900 haben katholische Historiker die Erinnerung an die konfessionelle Hybridität von Orten wie Goldenstedt gelöscht (David M. Luebke). Nach 1815 machten Befürworter der Preußischen Union Luther zu einem irenischen Vorbild für alle Deutschen (Stan M. Landry). Im späten 19. Jahrhundert verehrten orthodoxe Lutheraner in Straßburg Luther anstatt Martin Bucer, um damit die deutsche Identität der Stadt zu stärken (Anthony J. Steinhoff). Frauen wurden von Historikern aller konfessionellen Richtungen fast völlig aus der Reformationsgeschichte eliminiert (Merry Wiesner-Hanks). In der Grafschaft Mark haben Lutheraner das dreihundertjährige Hohenzollern-Jubiläum 1909 weitgehend unter Ausschluss des katholischen und reformierten Anteils gefeiert (Ralf-Peter Fuchs).
Teil 2 beschäftigt sich mit den Bemühungen, im 18. und frühen 19. Jahrhundert, die Konfessionskirchen zu untermauern. Nach 1817 versuchten katholische Gelehrte die Überlegenheit ihrer eigenen Überzeugungen durch eine radikale Kritik der protestantischen Epistemologie zu beweisen (Richard Schaefer). Um 1700 verteidigte Ernst Salomo Cyprian die Legitimität der lutherischen Orthodoxie gegen die Angriffe Gottfried Arnolds mit der Herausgabe von gewaltigen Quellensammlungen (Alexander Schunka). Bis 1750 hatten sich lutherische Historiker jedoch auf die Entwicklung eines neuen Narrativs des Luthertums als die einzige wahrhaft tolerante und vernünftige Konfession konzentriert (Michael Printy). Diese Unternehmungen zeugten aber auch ungewollt von dem alltäglichen gesellschaftlichen Nebeneinander diverser Religionsgruppen, wie z. B. in Frankfurt am Main, wo sich Juden und Christen nach dem großen Brand von 1711 gegenseitig unterstützten (Dean Phillip Bell).
Teil 3 dokumentiert mit den Darstellungen der Bannbullen-Verbrennung Luthers (Natalie Krentz) und der Hinrichtungen der ersten reformatorischen Märtyrer (Robert Christman) sowie der Konstruktion der ersten reformatorischen Helden (Marjorie Elizabeth Plummer) und der frühen Historiographie des Weseler Konvents 1568 (Jesse Spohnholz) die Anfänge der konfessionellen Erinnerungstraditionen.
Abschließend betont Thomas A. Brady die grundlegende Bedeutung des konfessonellen Pluralismus in Deutschland seit der Reformation. Oft bekämpft oder als Ursache aller Probleme der Deutschen beklagt, ist er immer schon das Korrelat der Konfessionalisierung gewesen. Der Aufsatz bildet den Höhepunkt einer rundum wertvollen Sammlung.
By Joachim Whaley
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