Magnus Brechtken, Die Nürnberger Gesetze – 80 Jahre danach. Vorgeschichte, Entstehung, Auswirkungen. 2017 Wallstein-Verlag GmbH Göttingen, 978-3-8353-3149-5, € 29,90
Die Nürnberger Gesetze sind nicht irgendein Erinnerungsrest der neueren deutschen Geschichte. Wie sehr sich die Ereignisse um diese „formell präzedenzlose" Gesetzgebung in das historische Gedächtnis eingeschrieben haben, dokumentiert der vorliegende Sammelband. Er präsentiert die Ergebnisse einer Tagung, die das Institut für Zeitgeschichte und die Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz am 15. und 16. September 2015 im Kammergericht Berlin organisierten. Die Besonderheit dieser Publikation liegt auch in dem beigegebenen Verzeichnis archivalischer Quellen, zeitgenössischen Schrifttums und der wichtigsten Literatur (S. 267–298).
Die dreizehn überarbeiteten Referate legen den Schwerpunkt auf die Rolle der Justiz bei der Verankerung des Rassenantisemitismus in der deutschen Gesellschaft. Drei Beiträge thematisieren die „europäische Dimension" der Nürnberger Gesetze und fragen nach ihrer Schrittmacherfunktion für eigene Rassengesetze. Untersucht werden Polen und Ostmitteleuropa, das faschistische Italien und das Vichy-Regime in Frankreich. Überall in Europa war der Rückgriff auf die Nürnberger Rassengesetzgebung eine Variable von Abhängigkeitsverhältnissen, die Hitlers Außen- und Kriegspolitik geschaffen hatte. In den Nürnberger Gesetzen kreuzten sich Dauerspuren des Antisemitismus. Schon vor Beginn des Ersten Weltkriegs brach sich das Problem des Rassenrechts in den deutschen Kolonien Bahn. In der Weimarer Zeit knüpfte der „Bäder-Antisemitismus" an alte Traditionen an. Nach 1933 war die NS-Sterilisationsgesetzgebung der historische Vorlauf für den stigmatisierten Menschen versagten Schutz.
Hans-Christian Jasch zeichnet die in Nürnberg begonnene Ausgrenzungsgesetzgebung in ihren einzelnen Schritten nach. Er verweist auf den juristischen Sachverstand, der hinter Organisationsnormen stand, die ein bürokratisch organisiertes Morden Wirklichkeit werden ließen. Christoph Kreutzmüller beschreibt die Gewalt gegen Juden „im Sommer 1935" als Kontext der Nürnberger Gesetze. Er stellt die Frage nach dem „alltäglichen Erfahrungshintergrund" der mit den Gesetzen befassten Beamten. Ihre juristischen Fähigkeiten müssen Fähigkeiten der Selbstbeschwichtigung entsprochen haben. Sie wohnten und arbeiteten in Berlin. „Sie konnten, ja sie mussten die Gewalt auf ihrem Weg zur Arbeit und in ihrer Freizeit sehen" (S. 88).
Der Beitrag von Magnus Brechtken zum „Fall Globke" beschließt den Band. Brechtken tritt für eine „Position" bei der Deutung dieses umstrittenen Mannes hinter Adenauer ein, die auf das Handwerk des Historikers vertraut. Ihm muss freilich der Zugang zu den Quellen gewährt werden. Der Lebensweg Globkes nach 1945 kann nur glaubhaft rekonstruiert werden, wenn in den ‚Lebensweg' von Globkes Akten vor 1945 unbehindert Einsicht genommen werden kann.
By Dirk Blasius
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