Margit Szöllösi-Janze, München im Nationalsozialismus. Imagepolitik der „Hauptstadt der Bewegung". Unter Mitarb. v. Juliane Hornung. München im Nationalsozialismus. Kommunalverwaltung und Stadtgesellschaft, Bd. 4. 2017 Wallstein-Verlag GmbH Göttingen, 978-3-8353-3090-0, € 32,–
Lange galt in der Forschung die kommunale Selbstverwaltung unter der nationalsozialistischen Diktatur als weitgehend zerschlagen und entmachtet. Mittlerweile erfahren Städte unter kulturalistischen Fragestellungen neue Aufmerksamkeit, wobei München einen besonders lohnenden Gegenstand darstellt, wie der vorliegende Sammelband beweist. Welche Methoden zur Selbstdarstellung und welche sozialen Bindekräfte nutzte das Regime, hinter dessen Fassade unsägliche Verbrechen begangen wurden?
Das komplexe System der Ehrung thematisiert der erste Teil mit zwei Aufsätzen: Daniel Hilgert befasst sich mit den Münchner Ehrenbürgerschaften, für die sich die Geehrten im Idealfall ihrerseits wieder erkenntlich zeigen sollten. Alexander Mayer beschreibt die Vergabe des Literaturpreises der Stadt München, der einerseits nur politisch einwandfreien Literaten zugute kommen sollte, andererseits aber auch anerkannte Schriftsteller brauchte, um das Renommee des Preises hochzuhalten. So war die Zahl der Ehrenbürger (fünf) wie der preisgekrönten Schriftsteller (elf) überraschend gering.
Ein zweiter Teil zeigt die Aneignung des öffentlichen Raums. Der Aufsatz von Beatrice Wichmann beschreibt den gewalttätig ausgetragenen Konflikt zwischen den Katholischen Gesellenvereinen und der SA bezüglich der Verwendung von Symbolen und Uniformen, da die SA wegen der Ähnlichkeit der Uniformen Anstoß an der Kolpingskluft nahm. Ein öffentliches Auftreten der Katholischen Gesellenvereine an den mit der NS-Bewegung konnotierten öffentlichen Plätzen unterbanden die Nationalsozialisten, darüber hinaus zwang die Stadt die Gesellentagsteilnehmer zur Verwendung der Hakenkreuzfahne am Veranstaltungsort. Das Herz der Stadt München, der Marienplatz, sowie die nationalsozialistische Umgestaltung des Alten Rathauses stehen im Zentrum des Beitrags von Sebastian Lang. Parallel dazu blieb der Marienplatz ein Ort der religiösen Praxis. Die Totenehrung der Luftkriegsopfer von 1942 bis 1944 analysiert Juliane Hornung. Die städtische und staatliche Instrumentalisierung der Opfer – mit Massentrauerfeiern und Bestattung im Ehrenhain – wurde von der Münchner Bevölkerung mehr und mehr abgelehnt.
Ein dritter Teil stellt in zwei Aufsätzen die städtische Filmproduktion vor. Julia Gleich untersucht den Kulturfilm „München", der als Werbung für die Stadt im In- und Ausland gedacht war und wenig später verboten wurde, weil die propagandistischen Teile in eklatantem Gegensatz zu den tourismusrelevanten Themen Kunst und Kultur standen. Annemone Christians beschreibt, wie sich die Stadtverwaltung selbst im Film (u. a. in Wochenschauen) präsentierte.
Ein vierter Teil thematisiert Münchens Anstrengungen, sich sowohl als „Hauptstadt der Bewegung" wie als „Hauptstadt der deutschen Kunst" zu positionieren. Paul-Moritz Rabe demonstriert, wie die Stadt mit einem prestigeträchtigen Galopprennen samt aufwendigem Rahmenprogramm zu punkten suchte. Im Rahmen der Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen (Iris Vogeltanz) profitierte auch München, das sich als Freizeit- und Sportort zu vermarkten wusste. Dazu gehörte der Ausbau der Infrastruktur mit dem neuen Flughafen München-Riem (Mathias Irlinger), der das Fliegen als Erlebnis vor Zuschauertribünen vermitteln sollte. Die „Erfindung der Tradition" thematisieren Kathrina Edinger und Sebastian Rojek mit einem Beitrag über den U-Boot-Pionier Wilhelm Bauer, der durch die NS-Gedenkkultur vereinnahmt wurde.
By Edith Raim
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