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Der Greifer.

Schwartz, Egbert
In: Automobil-Produktion, 2019-05-14, S. 64-66
Online serialPeriodical

Der Greifer 

Um die Vorteile künstlicher Intelligenz und autonom agierender Roboter in der Autofabrik ist ein wahrer Hype ausgebrochen. Kostensenkungen und die Entlastung von Mitarbeitern schüren hohe Erwartungen

KI in der Fabrik Defizit

Nur etwa jedes zehnte Industrieunternehmen in Deutschland hat im Kontext von Industrie 4.0 bereits künstliche Intelligenz im Einsatz

Seit 1988 beschäftigt sich das Deutsche Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken mit der Einbindung intelligenter Roboter in die industrielle Produktion. Im Power4Production-Zentrum werden in Living Labs innovative Softwarelösungen entwickelt, um neue Produktionstechnologien für eine effiziente sowie harmonische Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter zu schaffen. Genau diese Kollaboration hat mittelfristig die realistischsten Chancen auf einen Praxiseinsatz in der Fertigung – sowohl bei Automobilherstellern als auch Zulieferern. „Das ist vor allem bei der Standardtechnologie auf dem Hallenboden möglich, wo sich Roboter und Menschen als Team denselben Arbeitsraum teilen und beispielsweise Werkzeuge übergeben", erläutert Anselm Blocher, leitender Wissenschaftler für intelligente Benutzerschnittstellen beim DFKI. „Derzeit arbeiten wir unter anderem an Fertigungssituationen, in denen spezifische Bauteile bedarfsgerecht bestellt und nach einem adaptiven Fahrplan in flexiblen Losgrößen von einem Roboter an die entsprechende Bandstation geliefert werden." Der Gedanke dahinter ist vor allem eine Entlastung des Werkers von Aufgaben, die für ihn monoton oder ergonomisch schlecht sind, ihm also gesundheitlich auf Dauer schaden. „Mobile KI-Plattformen kann man mit individuellen, arbeitsspezifischen Aufbauten versehen", erläutert Blocher das Einsatzspektrum. Dazu zählen beispielsweise verschieden große Roboter diverser Gewichtsklassen mit unterschiedlichen Traglasten und Arbeitsradien. Sie lassen sich je nach Einsatzzweck mit funktionalen Endeffektoren wie elektrischen oder pneumatischen Schraubern, Bohrern oder Greifern ausstatten.

Wie das in der Praxis funktionieren kann, hat der Greif-system- und Spanntechnikspezialist Schunk aus Lauffen am Neckar Anfang April auf der Hannover Messe demonstriert: zum einen mit einem intelligenten Greifer für kollaborative Anwendungen, deren Handlinggewichte deutlich über jenen in der Kleinteilemontage liegen. Und zum anderen mit einem flexibel einsetzbaren Mechatronikgreifer, der über das Ethernet-Standard-Netzwerk Profinet angesteuert wird und seine Finger damit in überraschender Schnelligkeit positionieren kann. „In den kommenden Jahren wird die industrielle Handhabung neu erfunden", erläutert Markus Glück, bei Schunk als Geschäftsführer für den Bereich R&D verantwortlich, den Motivationsschub für diese neuen Produktentwicklungen. „Der Markt fordert schon heute Greifsysteme, die sich zügig und intuitiv in Betrieb nehmen lassen sowie selbsttätig an neue Greifsituationen anpassen", so Glück weiter. „Intelligenz, Vernetzung und Kollaboration werden zu Treibern der Produktionsautomatisierung." Die Spezialisten des Lauffener Unternehmens schätzen das Zukunftspotenzial der autonomen Greifer sehr hoch ein: Per 2D- und 3D-Kameras gesteuert, könnten sie unter anderem Werkstücke aufnehmen und gemeinsam mit übergeordneten Handhabungssystemen eine optimale Greifstrategie entwickeln. Langfristig sollen autonome Greifer die Fertigungsteile sogar eigenständig – ohne eine Zusammenarbeit mit Menschen – handhaben und die für den Ablauf maßgebenden Algorithmen selbst modifizieren können. Damit würden Menschen dank künstlicher Intelligenz endgültig entlastet und von monotonen Arbeiten befreit.

Nach Versteigerung der 5G-Funklizenzen geht die Umsetzung dieses schnellen Kommunikationsnetzes in die nächste Runde: Ab 2020 soll es in Deutschland zur Verfügung stehen, dann ist auch mit ersten Applikationen für Industriekunden zu rechnen. Die warten bereits sehnsüchtig darauf, vor allem mit dem Fokus auf den Einsatz im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz. Mit 5G, das Daten rund zehnmal schneller als im aktuellen LTE-Standard übermittelt und mit Bandbreiten von bis zu zehn Gigabit pro Sekunde sowie einer Millisekunde Latenz arbeitet, lassen sich der Informationsaustausch und die Kommunikation zwischen Maschinen und Sensoren innerhalb einer Funkzelle erst so richtig realisieren: Hier kommt mit dem Band zwischen 3,7 und 3,8 Gigahertz jener Teil des 5G-Frequenzspektrums zum Einsatz, der für lokale Anwendungen wie etwa sogenannte Campus-Netzwerke konzipiert ist. Deren Vorteil für die industrielle Fertigung: Sie funktionieren auch autonom und offline, also unabhängig von den Mobilfunknetzen, können letztlich sogar mit einer eigenen Frequenz betrieben werden. Erste Pläne zur Anwendung der 5G-Netztechnologie gibt es beim Daimler-Konzern für die Produktion der Mercedes-Benz-E- und -S-Klasse sowie der EQ-Elektrobaureihe in der neuen Sindelfinger Factory 56. Auch Bosch hat angekündigt, verschiedene 5G-Anwendungen für teil- bis vollflexible Produktionsprozesse zu entwickeln, von der Ansteuerung der Roboter in der MRK per Mobilgerät bis hin zu ihrer vollständigen Arbeitsautonomie. Langfristiges Ziel dieser Forschung und Entwicklung sei es, die eigenen Werke „voll zu digitalisieren", heißt es bei Bosch. Bei aller Euphorie über den effizienten Datenaustausch zwischen Robotern und damit einer Volldigitalisierung der Fabrik müssen die Entwickler eines im Auge behalten: die Zuverlässigkeit und Sicherheit der Netzwerke, den Schutz der Kommunikationsschnittstellen vor Hackern. Separate Campus-Netzwerke bieten hier per se einen relativ hohen Schutz vor Zugriffen aus dem öffentlichen Mobilfunknetz. Ein Grund, warum sie von Bosch für die eigenen Werke favorisiert werden. Zulieferer ZF hat am Standort Saarbrücken mit einem AI & Cybersecurity Center gar ein eigenes Technologiezentrum für künstliche Intelligenz und Onlinesicherheit gegründet. Hier soll nicht nur produktive KI-Forschung betrieben werden. Zusammen mit dem Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit als strategischem Partner will ZF auch geeignete Lösungen zum Schutz der transferierten Daten entwickeln, vor allem mit Fokus auf autonome Fahrzeuge und die IT-Sicherheit.

KI auf dem Shopfloor

Der Steigerung ihrer Produktivität mittels künstlicher Intelligenz messen deutsche Industrieunternehmen die größte Bedeutung zu

PSA forscht in Nantes  Digitale Simulation in der Antriebskonstruktion

Künstliche Intelligenz kann nicht nur die Produktionsprozesse der Zukunft optimieren, sondern auch die Konstruktion, Entwicklung und Erprobung von Fahrzeugkomponenten bis hin zu kompletten Automobilen. Dazu haben beispielsweise der französische Konzern PSA und die technische Hochschule École Centrale de Nantes ein gemeinsames Forschungsprojekt gestartet. Es soll den Einsatz digitaler Simulationstechniken in der Konstruktion von Antrieben beschleunigen und Modellberechnungen präzisieren. Der konkrete Plan sieht die Entwicklung von Verbrennungsmotoren für Hybridfahrzeuge und später auch von Elektromotoren vor. Das rund zehnköpfige Gemeinschaftsteam fokussiert sich auf drei Bereiche: die digitale Konzeption von Benzinmotoren, intelligente automatisierte Kalibrierungsprozesse sowie die Konstruktion von E-Antrieben. Die technische Hochschule von Nantes stellt dazu nicht nur spezialisierte Mitarbeiter, sondern auch hochmoderne, mit einem Supercomputer ausgestattete Motoren- und Fahrzeugprüfstände. Ein langfristiges Szenario ist es, bei der Entwicklung eines neuen Motors komplett auf den Bau von Prototypen und Prüfstandtests zu verzichten. Diese Erprobungsphase würde dann rein virtuell ablaufen. PSA verspricht sich nicht nur eine deutlich verkürzte Entwicklungsphase, sondern auch erheblich weniger Kosten, weil die Herstellung von Werkzeugen zum Bau von Prototypen wegfällt. Das Projekt ist mit einem Budget von vier Millionen Euro auf eine Dauer von fünf Jahren angelegt.

Autor: Egbert Schwartz

Egbert Schwartz

Graph: Effiziente Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) mithilfe des Technologieträgers Schunk Co-act JL1 und einem Standardgreifer, der mit einer Kraft von 450 N arbeitet Foto: Schunk

Graph: Quelle: Bitkom Research

Graph: Quelle: Bitkom Research

By Egbert Schwartz

Reported by Author

Titel:
Der Greifer.
Autor/in / Beteiligte Person: Schwartz, Egbert
Zeitschrift: Automobil-Produktion, 2019-05-14, S. 64-66
Veröffentlichung: 2019
Medientyp: serialPeriodical
ISSN: 0934-0394 (print)
Schlagwort:
  • ARTIFICIAL intelligence
  • AUTOMOBILE industry
  • AUTOMOBILE factories
  • INDUSTRY 4.0
  • COMPUTER software
  • Subjects: ARTIFICIAL intelligence AUTOMOBILE industry AUTOMOBILE factories INDUSTRY 4.0 COMPUTER software
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: The gripper.
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Full Text Word Count: 1049

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