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Holger Afflerbach, Auf Messers Schneide. Wie das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg verlor. München, Beck 2018.

Regulski, Christoph
In: Historische Zeitschrift, Jg. 308 (2019-06-01), Heft 3, S. 738-740
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Holger Afflerbach, Auf Messers Schneide. Wie das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg verlor. München, Beck 2018 

Holger Afflerbach, Auf Messers Schneide. Wie das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg verlor. 2018 C. H. Beck München, 978-3-406-71969-1, € 29,95

In „Auf Messers Schneide" zieht Holger Afflerbach eine Bilanz seiner jahrzehntelangen Forschung zum Ersten Weltkrieg. Detailreich stellt er die militärische und politische Geschichte des Krieges und seiner Entstehung dar. Der Aufbau des Buches folgt der zentralen These, dass der Ausgang des Weltkriegs bis zum Eintritt der Vereinigten Staaten militärisch offen gewesen sei und durch einen Verständigungsfrieden vorzeitig hätte beendet werden können. Erst schwerwiegende Fehler auf deutscher Seite verhinderten nach Afflerbach das zu erwartende Unentschieden.

Ausgangspunkt ist eine exzellente Analyse der Julikrise und des aus Sicht der Mittelmächte schwierigen Kriegsbeginns durch die italienische Neutralität und den Kriegseintritt Großbritanniens auf alliierter Seite. Der bis zu den Kämpfen um Verdun und an der Somme 1916 reichende erste Teil beschreibt die militärische Lage als ein „Patt", das einen Verständigungsfrieden erforderte. Dieser logischen Folgerung stellt der Autor aber auch Tatsachen zur Seite, die genau die Schwierigkeiten eines solchen Vorhabens verdeutlichen. Wie sollte der Frieden gestaltet werden angesichts von Millionen Toten, massiven Verwüstungen und auf allen Seiten gehegten Eroberungsplänen?

Die bereits verhärteten Fronten bilden die Basis für den zweiten Teil bis zum Kriegseintritt der USA. Hier steht das zurückgewiesene deutsche Friedensangebot vom Dezember 1916 im Vordergrund. In einer Trotzreaktion wählte Deutschland eine hochriskante Option: den uneingeschränkten U-Bootkrieg, der England wirtschaftlich in die Knie zwingen sollte und definitiv den Bruch mit den USA bedeutete. Triebfeder für die Entscheidung waren das Bewusstsein, wirtschaftlich durch die Seeblockade immer weiter geschwächt zu werden, und die Furcht vor einem Zusammenbruch der Bündnispartner. Afflerbach sieht in diesem Schritt, den er als „katastrophalen Fehler" bezeichnet, zu Recht den Wendepunkt des Ersten Weltkrieges und greift die Formel der „Weltwende 1917" auf.

Die Kriegsjahre 1917 und 1918 bestätigen das. Die Handlungsoptionen sprachen eindeutig für die Alliierten. Die massiven deutschen Forderungen im Vertrag von Brest-Litowsk seien auch darauf zurückzuführen gewesen, dass die Alliierten sich einer Beteiligung an den Gesprächen verweigerten, die einen umfassenden Frieden zum Ziel gehabt hätten. Stattdessen setzten die Alliierten – und das hebt Afflerbach besonders hervor – auf einen vollständigen Sieg und die Zerstörung der bisherigen europäischen Staatenordnung.

Eine weitere These des Buches lautet daher, dass Deutschland und Österreich-Ungarn die größte Verantwortung am Ausbruch des Krieges zukomme, doch die lange Kriegsdauer und die außerordentlich hohen Verluste auf die alliierte Weigerung zurückzuführen seien, den Krieg durch einen Verständigungsfrieden zu beenden. Die entscheidende Frage bleibt aber, wie ein solcher Frieden hätte gestaltet werden können. Ein konkretes Szenario aus dem Jahr 1917 im Anschluss an die päpstlichen Friedensbemühungen verdeutlicht das ganze Problem. Es hätte eine Verständigung praktisch auf dem Status quo ante sein müssen. Alle Eroberungspläne wären mit einem Schlag bedeutungslos geworden, gegenseitige Entschädigungen wären bestenfalls minimal ausgefallen. Doch welcher Staat wäre zu einem solchen Schritt angesichts des innenpolitischen Drucks in der Lage gewesen?

Afflerbachs Studie ist ein ausgezeichnet recherchiertes Buch über die militärische und politische Geschichte des Ersten Weltkrieges. Es gewährt hervorragende Einblicke in die wichtigsten Entscheidungsfindungen der Kriegsparteien und macht komplexe Zusammenhänge deutlich. Afflerbach bietet eine hochinteressante Deutung des Weltkrieges, dessen Ausgang zumindest in den ersten zwei Jahren noch offen gewesen sei. Die Leserin und der Leser können anhand des ausgebreiteten Stoffes selbst entscheiden, inwieweit sie der zentralen These des Autors zustimmen möchten; die Auseinandersetzung mit ihr lohnt sich auf jeden Fall.

By Christoph Regulski

Reported by Author

Titel:
Holger Afflerbach, Auf Messers Schneide. Wie das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg verlor. München, Beck 2018.
Autor/in / Beteiligte Person: Regulski, Christoph
Link:
Zeitschrift: Historische Zeitschrift, Jg. 308 (2019-06-01), Heft 3, S. 738-740
Veröffentlichung: 2019
Medientyp: review
ISSN: 0018-2613 (print)
DOI: 10.1515/hzhz-2019-1184
Schlagwort:
  • AUF Messers Schneide: Wie das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg verlor (Book)
  • AFFLERBACH, Holger
  • WORLD War I
  • NONFICTION
  • GERMANY
  • Subjects: AUF Messers Schneide: Wie das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg verlor (Book) AFFLERBACH, Holger WORLD War I NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Geographic Terms: GERMANY
  • Author Affiliations: 1 = Friedberg (Hessen), Germany.
  • Full Text Word Count: 573

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