Begleitend zur Lutherdekade und zum 500-jährigen Jubiläum der Reformation im Jahre 2017 veranstaltete das Institut für Geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz eine Vortragsreihe, die -- mit wechselnden Kooperationspartnern -- drei Erinnerungsorte der Reformation in Rheinland-Pfalz (die Städte Mainz, Worms und Speyer) nutzte, um "aus interdisziplinärer Perspektive einen Einblick in die regionale Forschung zur Reformation" (S. 7) zu geben. Ziel der Veranstalter war es, Geschichtsinteressierten "über die kostspieligen nationalen Jubiläumsvorhaben sowie über die historischen Orte in den ,Stammländern' der Reformation in Mitteldeutschland hinaus" Möglichkeiten zu bieten, "die Bedeutung des historischen Ereignisses und seine Aktualität in der Gegenwart bei den Menschen entlang der Rheinachse ins Bewusstsein zu rufen" (S. 7). Diesem Zweck dient zugleich eine Themenseite zur Reformation in Rheinland-Pfalz, die das Institut im Internet parallel zum Gedenkjahr freischaltete ( HYPERLINK "
Eingangs beschreibt Gerold Bonn en, Leiter des Stadtarchivs Worms und Experte für die Geschichte mittelalterlicher Bischofsstädte, die reformatorische Bewegung in der Reichsstadt Worms, die zugleich Bischofsstadt, Kathedralort und Sitz katholischer Institutionen einschließlich des Domkapitels war und blieb, als ein ,urban event', das fundamentale Konflikte zwischen Teilen des Klerus und dem Stadtmagistrat aufgriff und erst in den 1550er Jahren zur Durchsetzung eines lutherischen Bekenntnisses in der Reichsstadt führte (S. 13-38). Mehrere Beiträge wählen einen personengeschichtlichen Zugang zur Reformation am Mittelrhein. Die italienische Historikerin Silvana Seidel Menchi studiert anhand zweier Schriften -- ,De vita aulica' (1518) und ,Expostulatio cum Erasmo Roterodamo presbytero theologo' (1523) -- Ulrichs von Hutten (1488-1523), der als Rat zeitweise im Dienst des Mainzer Erzbischofs und Kurfürsten Albrecht von Brandenburg stand, Wechselwirkungen von Humanismus und Reformation (S. 39-51). Insgesamt fünf Beiträge sind dem Reichsritter Franz von Sickingen (1481-1523) gewidmet, den Hutten für die Reformation gewann, dessen Burg Ebernburg an der Nahe ein Refugium für frühreformatorische Theologen wurde und dessen Verhältnis zur Reformation das Mainzer Landesmuseum 2015 mit einer umfangreichen Sonderausstellung ausleuchtete. Reinhard Scholzen legt dar (S. 53-73), wie Sickingen auch nach dem reichsrechtlichen Verbot der Fehde 1495 Fehdehandlungen zu einem "erfolgreich praktizierten Geschäftsmodell" (S. 9) systematisierte, das er mit politischen Absichten verknüpfte. Kurt Andermann fokussiert die beiden Reichsritter Franz von Sickingen und Götz von Berlichingen in vergleichender Perspektive als Zeit-, Alters- und Standesgenossen mit sehr unterschiedlichen materiellen Ressourcen (S. 75-88). Der Kirchengeschichtler Wolfgang Breul schreibt Sickingen eine eigenständige reformatorische Überzeugung zu (S. 89-105). Volker Gallé, Kulturkoordinator der Stadt Worms, befasst sich am Beispiel des 1858 fertiggestellten Sickingendramas Ferdinand Lassalles mit dem literarischen Nachleben des Reichsritters im 19. Jahrhundert (S. 107-113). Der Kunsthistoriker Matthias Müller studiert die druckgrafischen Porträts Sickingens vor dem Hintergrund der Entwicklung des Herrscherporträts, fragt nach den inszenatorischen Absichten ihrer Urheber und Auftraggeber und deutet die Porträts Sickingens als Zeugnisse eines Medienwandels (S. 115-137). Die Reformation als ein Medienereignis fokussieren auch die drei Beiträge, die den Sammelband abschließen: Der Kunsthistoriker Andreas Tacke, Experte für Künstlersozialgeschichte, fragt in seinem Beitrag ,Zwei Seiten einer Medaille. Verlierer und Gewinner auf dem Kunstmarkt der Reformationszeit' (S. 139-161), wie die Reformation Kunst und Kunstmarkt veränderte. Der Buchwissenschaftler Christoph Reske untersucht -- unter besonderer Berücksichtigung der Drucker in Mainz, Speyer und Worms -- die Bedeutung, die der Buchdruck für die Rezeption und Durchsetzung der Reformation hatte, und setzt dem Interpreta- ment einer neuzeitlichen "Medienrevolution", die mit der Reformation eingesetzt habe, die These einer "Medienevolution" entgegen (S. 163-185). Und der Mainzer Historiker und Germanist Rudolf Steffens stellt die alte Frage neu, inwiefern Luthers Bibelübersetzung die Entstehung einer deutschen Schriftsprache beeinflusste (S. 187-208).
Der Sammelband, der sich an landeskundlich Interessierte auch jenseits von Wissenschaft und Universität richtet und der, gut lesbar, inhaltlich wie sprachlich ein durchweg hohes Niveau erreicht, erfüllt facettenreich die gestellte Aufgabe, Rheinland-Pfalz im Umfeld von Lutherdekade und Reformationsjubiläum interdisziplinär als einen Ereignis- und Handlungsraum der Reformationsgeschichte zu erschließen.
By Peter Arnold Heuser, Bonn