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Das preußische Jahrhundert.

Saam, Alena
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 83 (2019), S. 327-329
Online review

Das preußische Jahrhundert  GUIDO VON BÜREN, MICHAEL D. GUTBIER (Hg.): Das preußische Jahrhundert. Jülich, Opladen und das Rheinland zwischen 1815 und 1914 (MONTANUS -- Schriftenreihe zur Lokal- und Regionalgeschichte in Leverkusen 16), Goch: Pagina Verlag 2016,624 S. ISBN: 978-3-944146-68-3.

Als sich 2015 zum 200. Mal der Abschluss des Wiener Kongresses und damit auch die Eingliederung des Rheinlands in Preußen näherte, initiierten der Jülicher und der Opladener Geschichtsverein ein gemeinsames Ausstellungs- und Forschungsprojekt, das der Geschichte ihrer beiden Städte unter preußischer Herrschaft nachgehen sollte. Das Produkt, die Ausstellung ,Das preußische Jahrhundert', fand von Juli bis Dezember 2016 sowohl in Jülich als auch in Opladen statt. Daraus ging Ende 2016 die vorliegende Abschlusspublikation des Projekts hervor, deren Herausgeber ebenfalls die genannten Geschichtsvereine sind.

Die umfangreiche Publikation umfasst hauptsächlich die Jahre 1815 bis 1914 und behandelt damit die Geschichte der beiden Städte seit dem Wiener Kongress bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Neben den zahlreichen Grußworten beginnt die Publikation mit einführenden Beiträgen, in denen methodische Grundlagen des Städtevergleichs (Horst Matzerath, S. 25-28) sowie der Kartographie (Martin Klöf f 1er, S. 49-60) erklärt werden. Darüber hinaus wird eingangs die Frage nach einer ,Beziehungs- oder Konfliktgeschichte' zwischen Preußen und dem Rheinland (Georg M ö 1 i c h, S. 39-48) aufgeworfen, deren Beantwortung die Publikation anhand der Betrachtung Opladens und Jülichs näherkommen möchte. Bevor es jedoch in den eigentlichen Vergleich der Städte geht, erfolgt mit dem Kapitel ,Vorgeschichte' zunächst eine Beschreibung der Ausgangssituation im Rheinland vor 1815. Dabei werden die Franzosenzeit, die preußischen Besitzungen im Westen vor 1815 und die Rheinlandfrage auf dem Wiener Kongress näher behandelt. Damit finden sich hier Beiträge allgemeinerer Natur, die den Einstieg in das Thema sowie die historische Einordnung für den Leser erleichtern. Auch das darauffolgende Kapitel ,Preußenbild' (S. 97-144) ist gerade für den historischen Laien hilfreich, geht es hierbei doch um Preußen als Staat, seine Verwaltung sowie kulturelle und gesellschaftliche Zusammensetzung. Vor allem der preußische Stereotyp, wie er im Rheinland, aber auch in der Welt gesehen wurde, wird hier thematisiert. Der Aufsatz von Mahmoud K a n d i 1 (S. 99-118) stellt dabei einen Ausreißer auf internationaler Ebene dar und löst sich am deutlichsten von dem eigentlichen stadtgeschichtlichen Ansatz der Publikation, beleuchtet dadurch aber auch einen interessanten und tiefergehenden Themenaspekt. Anschließend bietet das Kapitel ,Protagonisten' (S. 145-172) einen weiteren grundlegenden historischen Überblick, nun über die Entwicklung und die speziellen Merkmale der beiden Städte zwischen 1815 und 1914. Insgesamt werden in diesen ersten drei Kapiteln Grundlagen geschaffen, die im Folgenden für das Verständnis, die Einordnung und Bewertung der preußischen Herrschaft in den Städten Jülich und Opladen wichtig sind. Die Hinführung zu dem eigentlichen Thema des Buchs gestaltet sich durch die zahlreichen kurzen und dadurch schnell verständlichen und gut lesbaren Kapitel als weit umfassend.

Die Publikation nähert sich über sechs thematische Schwerpunkte dem Nukleus der preußischen Herrschaft in Jülich und Opladen, die sich inhaltlich an den im Jahr 1815 im an die Rheinländer adressierten ,Zuruf' des preußischen Königs Friedrich-Wilhelm III. formulierten Erwartungen und Angeboten orientieren: Staat und Verwaltung, Stadtentwicklung und Wirtschaft, Identitäten, Militär, Verhältnis zum preußischen Machthaber (,Bürger oder Untertan?') sowie Bildung und Kultur. Dabei arbeiten die Autoren akribisch die Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen Jülich und Opladen heraus. So war Jülich als Garnison- und Militärschulstandort vor allem militärisch geprägt und von Bedeutung. Das militaristische Preußen konnte hier an Traditionen anknüpfen und diese auch fortsetzen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts geriet die Stadt jedoch wirtschaftlich ins Hintertreffen und konnte kaum den Anschluss an die aufkommenden technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen erhalten. Währenddessen nahm Opladen eine gegenteilige Entwicklung. Von dem eher unbedeutenden und ländlich geprägten Ort entwickelte sich Opladen insbesondere durch die Streckenverlegung von drei Eisenbahnlinien und die Ansiedlung von Industrie Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer aufstrebenden Stadt. Der Vergleich der beiden Städte ist allein durch die unterschiedlichen Entwicklungen im Laufe des 19. Jahrhunderts interessant und lohnenswert.

Die Autoren und Herausgeber kommen zu dem Ergebnis, dass die preußische Herrschaft gerade in Verwaltung, Bildung und Kultur sowohl in Jülich als auch in Opladen eindeutige Änderungen hervorbrachte, die letztlich zu einer "Borussisierung der Bevölkerung" (S. 593) beitrugen. Hierzu zähle, dass Jülich und Opladen anfänglich Kreisstädte und Sitz weiterer preußischer Behörden waren und das Leben der Einwohner, zwar nicht von Grund auf neu, aber zumindest im preußischen Stil organisiert wurde. Insbesondere die Rolle der Landräte als Repräsentanten Preußens auf kommunaler Ebene habe dabei einen Einfluss auf die Sympathiebekundungen der Bevölkerung gegenüber Preußen gehabt. War dieser engagiert, wirkte sich dies positiv für Preußen aus (vgl. S. 186). Auch die Einführung der allgemeinen Schulpflicht 1825 habe in beiden Städten zu einer "Entkrampfung" (S. 593) des Verhältnisses zum preußischen Staat geführt. Daneben übte der preußische Militarismus vor allem in Jülich eine wesentliche Anziehungskraft hinsichtlich der "Borussisierung" aus, während sich in Opladen das protestantische Industriellen-Bürgertum aufgrund der liberalen Wirtschaftspolitik dem preußischen Staat gegenüber wohlwollend verhielt.

Andererseits zeigt die Publikation auch gesellschaftliche Nischen auf, die den Bewohnern der beiden Städte ermöglichten, ihre eigene lokale Identität auszuleben sowie gelegentlich auch Kritik an der Politik des preußischen Machthabers, insbesondere in der Zeit vor 1848/49, zu üben. Eine Plattform dafür habe das Vereinswesen, vor allem die Karnevalsvereine, geboten (vgl. S. 461). Die Einigungskriege seien schließlich der ausschlaggebende Antrieb nicht nur für die beiden Städte, sondern für das gesamte Rheinland gewesen, sich auf die Seite Preußens zu stellen (vgl. S. 420). So kommen Guido von Büren und Michael Gutbier in ihrer Schlussbetrachtung zu dem Ergebnis, dass trotz der unterschiedlichen Entwicklungen und Besonderheiten "die beiden Kommunen […] zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwei typische rheinische Städte unter preußischer Herrschaft" waren (S. 591-597, hier S. 596).

Ein Verdienst der Publikation ist es, dass nicht nur Beiträge von etablierten Stadtgeschichtsforschern, sondern auch von Nachwuchswissenschaftlern aufgenommen wurden. Außerdem wurden für das Werk zahlreiche archivische Quellen verwendet sowie umfassend die vorhandene Sekundärliteratur über die beiden Städte ausgewertet, sodass das Quellen- und Literaturverzeichnis vermutlich die größte Bibliographie zu den beiden Städten darstellt und für weitere Forschungen über Jülich und Opladen Anreiz gibt.

Die umfangreiche Publikation wird durch die starke Bebilderung durchgehend aufgelockert. Fotografien, Karten oder Gemälde der Städte, bzw. von bedeutenden Personen oder Gegenständen sind darunter zu finden und stammen u.a. aus dem Museum Zitadelle Jülich und dem Stadtarchiv Leverkusen. Der Leser wird dadurch auf vielfältige Weise auch visuell angesprochen. Zusätzlich befindet sich im Schlussteil des Buchs eine Bilddokumentation über das Projekt, die einer Leistungsschau der beiden Geschichtsvereine und ihrer Kooperationspartner gleichkommt. Sowohl die Ausstellungen, als auch Exkursionen oder die Öffentlichkeitsarbeit kann hier rückblickend in Bildern nachvollzogen werden.

Auch bietet die Kombination aus biographisch und thematisch angelegten Texten eine ausgeglichene Abwechslung im Lesefluss. Damit wird außerdem ein weitgefächerter Einblick in die Geschichte Jülichs und Opladens ermöglicht, der sich eben nicht nur auf eine der beiden Methoden konzentriert, sondern diese miteinander verbindet. Dennoch sind an mehreren Stellen Redundanzen festzustellen, die von den Herausgebern "bewusst nicht […] herausgefiltert" wurden (S. 24). Dies kann durchaus von Vorteil sein, wenn man sich nur mit einzelnen Beiträgen beschäftigt, jedoch bei einer durchgehenden Lektüre auch stören.

Insgesamt ist ,Das preußische Jahrhundert' ein gelungenes Werk der beiden Geschichtsvereine und hat einen erheblichen Beitrag zur stadtgeschichtlichen Erforschung Jülichs und Opladens geleistet. Durch das Werk wurde nicht nur die weitere Erforschung der beiden Städte ermöglicht, sondern gleichzeitig lassen die Ergebnisse der Publikation Schlüsse auf andere rheinische Städte im .preußischen Jahrhundert' zu.

By Alena Saam, Bonn

Titel:
Das preußische Jahrhundert.
Autor/in / Beteiligte Person: Saam, Alena
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 83 (2019), S. 327-329
Veröffentlichung: 2019
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • DAS preussische Jahrhundert: Julich, Opladen und das Rheinland zwischen 1815 und 1914 (Book)
  • BUREN, Guido Von
  • GUTBIER, Michael D.
  • GERMAN history
  • NONFICTION
  • Subjects: DAS preussische Jahrhundert: Julich, Opladen und das Rheinland zwischen 1815 und 1914 (Book) BUREN, Guido Von GUTBIER, Michael D. GERMAN history NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review

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