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Wilh. Werhahn KG Neuss am Rhein.

Bormann, Patrick
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 83 (2019), S. 332-335
Online review

Wilh. Werhahn KG Neuss am Rhein  KLARA VAN EYLL: Wilh.WerhahnKGNeussam Rhein. Unternehmer 1841 bis 2011, Neuss: Wilh. Werhahn KG 2013,344 S. ISBN: 978-3-00-042180-8. HORST A. WESSEL (Hg.): A. Mannesmann, Remscheid-Bliedingshausen. 1796-2014. Von der Feile zum hochpräzisen Maschinenelement, Remscheid: Bergischer Verlag 2014, 152 S. ISBN: 978-3-943886-70-2.

In der Unternehmensgeschichtsschreibung sind Auftragsarbeiten seit jeher gang und gäbe. Ursprünglich handelte es sich oft um Festschriften mit begrenztem wissenschaftlichen Anspruch. Dies veränderte sich vor allem seit den 1990er-Jahren, als sich immer mehr Unternehmen mit der Frage nach ihrem Wirken während der NS-Diktatur konfrontiert sahen. Seitdem wurden zahlreiche Studien in Auftrag gegeben, die wissenschaftlich unabhängig die Unternehmenspolitik, den Einsatz von Zwangsarbeitern und die Mitwirkung an der Judenverfolgung analysierten. Diese bis heute kaum abgeebbte Forschungskonjunktur hat nicht nur die Erkenntnisse über die Wirtschaft des Nationalsozialismus enorm bereichert, sondern auch die Unternehmensgeschichtsschreibung auf ein neues Niveau gehoben. Doch weiterhin mangelt es an Studien zu mittelständischen Unternehmen, die eher regional verankert sind.

Die beiden hier zu besprechenden Bücher von renommierten Historikern stoßen in diese Lücke hinein. Klara van Eyll hat in ihrer Studie zur Wilh. Werhahn KG Neuss am Rhein die keineswegs einfache Aufgabe zu meistern, ein Familienunternehmen über verschiedene, äußerst verzweigte Generationen hinweg darzustellen. Das aus einem Holzhandelsgeschäft hervorgegangene Unternehmen war und ist höchst divers und unübersichtlich mit zahlreichen Tochtergesellschaften. Sie begegnet dieser Aufgabe mit einer sehr kleinteiligen Gliederung und untersucht jede Beteiligung in knappen Kapiteln. Dieses Vorgehen stärkt den Blick für das Detail, allerdings schadet es zugleich unweigerlich dem Lesefluss, zumal van Eyll nur selten die unterschiedlichen Tätigkeiten synthetisierend zusammenfügt.

Im Zentrum der Unternehmenstätigkeit lagen lange Zeit der Holzhandel und bald auch die Holzverarbeitung. Holz war neben der Kohle vielleicht die wichtigste Ressource der Industrialisierung. Für die Familie Werhahn erwies sich der Bauträger als Goldgrube. 1841 von Wilhelm Werhahn im verkehrstechnisch günstig gelegenen Neuss gegründet, griff das Unternehmen schon bald über den regionalen Rahmen hinaus und beteiligte sich an Rodungen in Bayern sowie an Unternehmen in der Schweiz. Seit den 1870er-Jahren kamen Aktivitäten auf dem Balkan hinzu. Schon früh begann die Wilh. Werhahn KG mit der Diversifizierung und beteiligte sich am Basaltabbau sowie dem Düngemittel-Handel. Geradezu klassisch war dabei die Entwicklung eines eigenen Bankgeschäfts aus dem Handel heraus. Bereits Ende der 1840er-Jahre lässt sich die Vergabe von hypothekarisch gesicherten Darlehen an säumige Kunden nachweisen. Bis zum frühen 20. Jahrhundert wurde das Portfolio mit Beteiligungen in der Mühlenindustrie, dem Immobiliengeschäft, dem Druck- und Verlagsgeschäft und dem Versicherungswesen immer breiter. Seit dem Ende des Jahrhunderts engagierte sich die Firma zudem in der Braunkohleindustrie (vor allem im Handel), in der Genussmittelindustrie sowie im Bereich des Baus und der Natursteine. Ob dieser außergewöhnlichen Diversifizierung eine bewuss- te strategische Entscheidung vorausging oder ob eher sich zufällig bietende Gelegenheiten genutzt wurden, bleibt dabei unklar. Doch sobald einmal der Einstieg in ein neues Segment erfolgt war, baute Werhahn die Beteiligungen strategisch aus.

Regionaler Schwerpunkt blieb auch nach der Reichseinigung das Rheinland. Dies hatte nicht zuletzt politische Gründe. Die streng katholische Familie -- zahlreiche Familienmitglieder wurden Priester oder traten Orden bei -- gehörte zu den entschiedenen Gegnern der Kulturkampfpolitik Otto von Bismarcks, verband verschiedentlich ökonomische Interessen mit politischen Motiven und suchte explizit ,ultramontane' Geschäftspartner. Dies galt nicht nur für das Verlagsgeschäft, das der Herausgabe der katholischen Neuss-Grevenbroicher Zeitung diente, sondern auch für genuin wirtschaftliche Projekte wie die Gründung der überaus rentablen Feuerversicherung Rheinland AG. Mit der immer ausgedehnteren Geschäftstätigkeit wurde zwar 1902 in Berlin ein Verwaltungssitz für die Berliner und mitteldeutschen Interessen eingerichtet, doch der Sitz gewann nie eine größere Eigenständigkeit gegenüber der in Neuss residierenden Familie.

Die Jahre 1925 bis 1950 sind mit etwa 50 Seiten eher knapp abgehandelt. Insgesamt bescheinigt van Eyll der weiterhin dem politischen Katholizismus nahestehenden Familie eine ausgeprägte Distanz zum Nationalsozialismus. Dennoch nahm das Familienunternehmen zwei,Arisierungen' vor, in denen Werhahn nach Ansicht der Autorin "faire Angebote" (S. 194) unterbreitet hatte. Die jeweiligen Vorgänge sind leider so knapp geschildert, dass es schwerfällt, ein eigenes Urteil zu fällen. Dass Werhahn trotz des breiten Tätigkeitsgebiets jedoch nicht mehr ,Arisierungen' vornahm, deutet zumindest darauf hin, dass die Familie in dieser Hinsicht nicht zu den besonders aggressiv vorgehenden Unternehmern gehörte. Unbefriedigend bleibt die Auseinandersetzung mit dem Einsatz von Zwangsarbeitern, der in einem kurzen Abschnitt lediglich für den Standort Neuss mit konkreten Zahlenangaben untersucht wird, obwohl bei der Schilderung der einzelnen Unternehmensbeteiligungen immer wieder der Einsatz von Zwangsarbeitern erwähnt oder zumindest angedeutet wird. Auch andere

Themen wie der Umgang mit jüdischen Mitarbeitern oder die Entwicklung der Unternehmenskultur in den Jahren der NS-Herrschaft werden leider nur gestreift.

Der rasche Wiederaufbau nach der deutschen Kriegsniederlage gelang dem Unternehmen aufgrund seiner hohen Diversifizierung, die viele Betätigungschancen bot, und wegen der hohen personellen Kontinuität, die durch fehlende politische Belastungen möglich wurde. Bis heute ist die Unternehmensgruppe im Besitz der Familie, die über einen 12-köpfigen Verwaltungsrat den Vorstand kontrolliert. Auch die Diversifizierung wurde beibehalten und ist in drei Geschäftsbereichen konzentriert: Baustoffe, Konsumgüter und Finanzdienstleistungen (die Sparte der Back-Produkte wurde seit dem Erscheinen von van Eylls Schrift verkauft). Van Eylls Studie bietet ein breites Kompendium dieser weitverzweigten Unternehmensgruppe, das allerdings auch jenseits der NS-Zeit bedauerliche Lücken hinsichtlich der Fragen von Unternehmensstrategie oder Unternehmensstruktur aufweist. Auch eine Untersuchung des Wissensmanagements einer Unternehmerfamilie, die auf so vielfältigen Feldern tätig war und ist, würde man gerne lesen. Die Rolle der weiblichen Familienmitglieder, die seit den 1960er-Jahren zumindest vereinzelt im Verwaltungsrat mitwirkten, wird ebenfalls nicht thematisiert.

Obwohl die wirtschaftliche Sphäre im 19. Jahrhundert nahezu ausschließlich den Männern vorbehalten war, waren Frauen im Hintergrund gerade in Familienunternehmen immer wieder als (Mit-) Eigentümerinnen an wichtigen strategischen Weichenstellungen beteiligt. Dennoch spielen auch in dem zweiten hier zu besprechenden, von Horst A. Wessel herausgegebenen und im Umfang wesentlich bescheideneren Buch über das Remscheider Unternehmen A.Mannesmann Frauen nahezu keine Rolle, wie man der im Anhang wiedergegebenen Stammtafel derjenigen Familienmitglieder entnehmen kann, die "für die Geschichte von A.Mannesmann relevant sind" (S. 139-140). Dabei ist dies im Grunde schon vor der eigentlichen Gründung des Unternehmens inkorrekt, denn der Stammvater des Remscheider Zweiges, Henrich Mannesmann, verkaufte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts -- eine genaue Datierung ist nicht mehr möglich -- Werkzeuge und andere Waren auf Rechnung seiner Frau Maria Magdalena, die im Gegensatz zu ihm als Spross der wohlhabenden Familie Hasenclever das Bürgerrecht besaß. Ihre Schwiegertochter Anna Dorothea Mannesmann übernahm nach dem frühen Tod ihres Mannes sogar für einige Jahre die Leitung des Unternehmens -- nicht als letzte Frau, denn in den 1980er-Jahren führte Helga Schenck, Witwe des ehemaligen Unternehmenschefs Wilhelm Schenck, die Geschäftsleitung.

Der von Wessel zusammengestellte und im Wesentlichen selbst verfasste Sammelband verdankt seine Entstehung der Verleihung eines Innovationspreises an das Unternehmen, und so widmen sich die meisten Aufsätze erfolgreichen Produkten des heutigen Herstellers hochpräziser Maschinenelemente. Den Ausgang nahm das Unternehmen in der Feilenproduktion, später folgte die Gussstahlherstellung und der Einstieg in die Werkzeugproduktion. Im Vergleich mit der Wilh. Werhahn KG handelt es sich bei A.Mannesmann also um einen Spezialisten, der sich auf seine Kernkompetenzen konzentrierte. Versuche, sich mittels Kapitalbeteiligung eine Rohstoffbasis im Sinne einer vertikalen Konzentration zu verschaffen, scheiterten während des Kaiserreichs. Für die sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickelnde existenzielle Unternehmenskrise macht Wessel jedoch andere Faktoren aus: Der frühe Tod wichtiger Teilhaber, teilweise im Kriegseinsatz während des Ersten Weltkrieges, reduzierte das Know-how in der Unternehmensleitung. In der Folge des Krieges gingen wichtige Auslandsmärkte zum Teil für immer verloren und die Geschäftsleitung war nicht in der Lage, sich neue Märkte zu erschließen; die Zahl der nicht im Unternehmen wirkenden Teilhaber wuchs und damit auch die Geldentnahme aus der Firma. Im Laufe der 1930er-Jahre sah alles nach einem schleichenden Tod des Unternehmens aus, dem trotz hervorragender Qualität der Produkte und zahlreicher für die deutsche Rüstungspolitik zentraler Kunden sowohl das Betriebs- als auch das Investitionskapital fehlte. Rettung kam in dieser Situation von außen in Person von Wilhelm Schenck, Mitinhaber einer bedeutenden Hebezeugfabrik in Düsseldorf. Er trat als Komplementär und persönlich haftender Gesellschafter in das Unternehmen ein und leitete es bis zu seinem Tod 1983. Gerade die Zulieferung für zentrale Unternehmen der nationalsozialistischen Autarkie- und Rüstungspolitik ermöglichte es ihm, die nötigen Investitionskredite zu erhalten und das Unternehmen zu modernisieren. Wenn Wessel dem Unternehmen attestiert, es habe sich wohl aufgrund seiner relativen Größe "der totalitären Vereinnahmung durch das Regime […] entziehen" können (S. 49), dann ändert dies nichts an dem Befund, dass es die Firma ohne die spezifischen Rahmenbedingungen der NS-Wirtschaft heute wohl gar nicht mehr geben würde.

Insgesamt bietet der Sammelband, in dem auch zwei Mitarbeiter der Firma mit einem Beitrag über den Remscheider Stadtteil Bliedinghausen, der Heimat der Familie Mannesmann und ihrer Unternehmen, vertreten sind, zwar keine umfassende Unternehmensgeschichte, aber doch einen soliden Einstieg in die Geschichte einer bedeutenden rheinischen Unternehmerfamilie, die nach der offenbar im Gange befindlichen Aufarbeitung des Unternehmensarchivs noch vertieft werden kann.

By Patrick Bormann, Bonn

Titel:
Wilh. Werhahn KG Neuss am Rhein.
Autor/in / Beteiligte Person: Bormann, Patrick
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 83 (2019), S. 332-335
Veröffentlichung: 2019
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • WILH: Werhahn KG Neuss am Rhein (Book)
  • MANNESMANN, Remscheid-Bliedingshausen 1796-2014, A (Book)
  • WESSEL, Horsta
  • NATIONAL socialism
  • NONFICTION
  • Subjects: WILH: Werhahn KG Neuss am Rhein (Book) MANNESMANN, Remscheid-Bliedingshausen 1796-2014, A (Book) WESSEL, Horsta NATIONAL socialism NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review

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