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Erinnerung an die Zerstörung Europas.

Klein, Jonas
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 83 (2019), S. 354-355
Online review

Erinnerung an die Zerstörung Europas  THOMAS SCHLEPER (Hg.): Erinnerung an die Zerstörung Europas. Rückblick auf den Großen Krieg in Ausstellungen und anderen Medien, Essen: Klartext 2016, 303 S. ISBN: 978-3-8375-1549-7.

Mit dem etwas irritierenden, aber nicht unpassenden Bild vom "medialen Tsunami"1 -- darauf wird noch zurückzukommen sein -- beginnt dieser Band, der bereits zur,Halbzeit' das Ziel verfolgt, Bilanz zu ziehen über die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, 100 Jahre danach. Gedanklicher und arbeitspraktisch-organisatorischer Ausgangspunkt ist dabei das große Verbundsprojekt ,1914 -- Mitten in Europa. Das Rheinland und der Erste Weltkrieg' des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR), doch weist der Band in seiner Gesamtkomposition weit über das Rheinland hinaus und versucht ganz Europa in den Blick zu nehmen. Dies geschieht in drei großen Abschnitten, wobei diese Kon- zeptualisierung für den Gesamteindruck von entscheidender Bedeutung ist, bringt sie doch eine sehr große Zahl an Einzelbeiträgen und eine noch größere Zahl von Autoren zusammen, die hier nicht alle in gleichem Umfang Beachtung finden könne. Einem Abschnitt des räumlichen Zugangs über allgemeine Gedenkkultur in ausgewählten Staaten (West-)Europas folgt ein weiterer des medialen Zugangs über ausgewählte Vermittlungstechniken der Gedenkkultur und darauf der weitaus größte, der Betrachtungen von 18 Weltkriegsausstellungen aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Österreich zusammenführt. Dieses breite Spektrum wird von einer Einleitung und umfassenden Synopse des Herausgebers, Thomas Schleper, eingerahmt. Bei einer solchen Fülle ist es wohl kaum zu vermeiden, dass nicht nur manche Redundanzen auftreten, sondern die verschiedenen Beiträge in jeder Hinsicht recht unterschiedlich geraten. Das wird bereits im ersten Abschnitt deutlich. So bietet auf der einen Seite Nicolas Offenstadt (Moderne Praktiken des Gedenkens an den Großen Krieg in Frankreich, S. 51-61) auf begrenztem Raum ein umfassendes Panorama von Praktiken und Akteuren des Gedenkens in Frankreich, das die Spannungsfelder des Erinnerns zwischen Elite und Masse, zwischen Metropole und Peripherie, zwischen nationaler Selbstvergewisse- rung und europäischer Integration aufzeigt. Auf der anderen Seite beginnt Gerd Krumeichs enger geführter Beitrag (Deutsche Gedenkkultur 2014, S. 30-37) mit der wortgewaltigen Einschätzung, dass der Verkaufserfolg von Christopher Clarks ,Die Schlafwandler' ein besonderes deutsches Bedürfnis nach Entlastung von historischer Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs beweise -- dem sich viele, überwiegend jüngere und von Krumeich kurzerhand zu ,Gefolgsleuten' Clarks degradierte Historikerinnen und Historiker in Deutschland unterworfen hätten -, nur um vier Seiten später zu erklären, dass der Erste Weltkrieg nunmehr ein "historisches Ereignis" geworden sei, das sich "dem Streit der Generationen um wahre und falsche Politik, um Schuld und Sühne" entzöge (S. 30f., S. 34).

Durchweg gelungen ist der Abschnitt über die .Mediale Einbildungskraft'. Am Beispiel einer Lokalzeitung wird das Engagement vieler Pressehäuser in der Gedenkarbeit aufgezeigt (Andreas D ü s p o h 1, Die Presse im Jubiläumsjahr 2014, S. 72-77)2. Kenntnisreiche Einlassungen zu Film, Fernsehen und Computerspiel haben ihren Platz, nur die Inszenierung auf der Theaterbühne2 fehlt, doch dafür präsentiert Julie Cazier mit dem Comic (Der Erste Weltkrieg als Comic, S. 78-87) ein selten beachtetes Medium, dessen Betrachtung vor allem unter dem spezifisch europäischen Blickwinkel seine Berechtigung hat. Gerade vor dem Hintergrund des den ganzen Band durchziehenden roten Fadens von der Gedenkarbeit als pädagogischem Programm für Pazifismus und europäische Integration in Zeiten wachsenden Nationalismus wäre es besonders interessant gewesen, zumindest kursorisch über die Medien erinnerungskultureller Gegenströmungen' unterrichtet zu werden, wozu besonders der Beitrag über den Ersten Weltkrieg als Internetphänomen (Oliver J a n z, Jennifer Willenberg, Der Erste Weltkrieg digital, S. 103-111) Gelegenheit geboten hätte4. Besonders groß sind wiederum die Unterschiede zwischen den Einsichten, welche die Beiträge über die Kriegsausstellungen gewähren, was nicht nur darin begründet liegt, dass sie zum Teil von unmittelbar Beteiligten -- im Sinne eines Ausstellungskatalogs -- und zum Teil von Außenstehenden -- als Ausstellungsrezension -, also aus sehr unterschiedlichen Perspektiven, verfasst worden sind. Hier hat man, auch angesichts großzügig gesetzten Bildmaterials, zuweilen tatsächlich den Eindruck, im "medialen Tsunami" zu stehen. In jeder Hinsicht hervorzuheben ist Thomas Schlepers ausführliche museologische Rahmung (Programmvorschau zum modulierten Memorieren, S. 14-28; Synopse zum Ausgestellten Krieg, S. 232-294), die trotz der bescheidenen eigenen Titulierung als Essay mit umfassendem Anmerkungsapparat daherkommt und mit geringfügigen Modifikationen gewiss auch als eigenständige Publikation reüssieren würde. Sie bietet Orientierung in der Flut von Informationen und die analytische Schärfe einer zeithistorischen Rezeptionsgeschichte des Ersten Weltkriegs, die der Klappentext über den titelgebenden ,Rückblick auf den Großen Krieg in Ausstellungen und anderen Medien' hinaus verspricht.

Footnotes 1 Milena Karaba ic, Grußwort, S. 7 2 Hier sei besonders auf die Historischen E-Paper der Frankfurter Zeitung verwiesen, die auf der Webpräsenz der FAZ Tag für Tag bereitgestellt wurden, HYPERLINK "https://www.faz.net/aktuell/politik/" der-erste-weltkrieg/historisches-e-paper/ [zuletzt aufgerufen am 18.2.2019] 3 Vgl. etwa das von Nina Steinhilber und Peter Geiss verantwortete Projekt ,Bald steht die ganze Welt in Brand -- 1914 -- Stimmen aus der Julikrise'. Szenische Lesung mit Studierenden des Instituts für Geschichtswissenschaft und des Theaters Bonn. Bonn, 3. November 2014. 4 Vgl. etwa Michael Huck, Die Dolchstoss-Legenden-Lüge, 24.1.2016, in: https://neuewelt- unordnung.wordpress.com/2016/01/24/die-dolchstoss-legenden-luege/ [zuletzt aufgerufen am 23.01.2019]

By Jonas Klein, Bonn

Titel:
Erinnerung an die Zerstörung Europas.
Autor/in / Beteiligte Person: Klein, Jonas
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 83 (2019), S. 354-355
Veröffentlichung: 2019
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • ERINNERUNG an die Zerstorung Europas (Book)
  • SCHLEPER, Thomas
  • WORLD War I
  • NONFICTION
  • GERMANY
  • Subjects: ERINNERUNG an die Zerstorung Europas (Book) SCHLEPER, Thomas WORLD War I NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Geographic Terms: GERMANY

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