Mit der hier anzuzeigenden Publikation setzt das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen die Serie seiner quellen- und aktenkundlichen Veröffentlichungen fort. Den konkreten Gegenstand des kleinen Bandes bilden zehn personenbezogene Aktengruppen, welche die aus dem Landesarchiv stammenden Autoren mit Recht als "Schlüsselquellen zum Nationalsozialismus" (S. 6) identifizieren, da sie unterschiedlichste Auswertungsmöglichkeiten von der Familiengeschichte über die Orts-, Regional- und Landeshistorie bis hin zu sachthematischen Forschungsvorhaben eröffnen.
Fünf Aktengruppen entstanden in der Zeit des ,Dritten Reiches' selbst. Im Einzelnen handelt es sich um Verwaltungsakten der Devisenstellen der Oberfinanzpräsidenten, staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten zu Hochverratsprozessen, Akten der politisierten Strafjustiz (Sondergerichte) und der sogenannten ,Erbgesundheitsgerichte' sowie um Personalakten der für den Regierungsbezirk Düsseldorf zuständigen Gestapo-Leitstelle Düsseldorf. Die übrigen fünf Aktengruppen entstanden erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Zuge der Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Sie beziehen sich auf Vermögenssperrungen, vor allem durch die Ämter für gesperrte Vermögen, und Rückerstattungen durch die Wiedergutmachungsämter und -kammern der Landgerichte, des Weiteren auf Wiedergutmachungsverfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz (Bezirksregierungen), Entnazifizierungsverfahren der gleichnamigen Ausschüsse sowie auf die Strafverfolgung nationalsozialistischer Verbrechen durch die nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaften, unter denen die Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund von besonderer Bedeutung ist.
Von seiner Zielsetzung her richtet sich das Heft an potentielle Nutzer des Landesarchivs, denen "erste Einblicke und eine grundlegende Orientierungshilfe zur Benutzung und Auswertung der [ ] personenbezogenen Massenakten zum Nationalsozialismus" (S. 6) gegeben werden sollen. Innerhalb der einzelnen Abschnitte liegt der Fokus folglich auf Fragen der Aussagekraft und der Auswertungsmöglichkeiten der zehn Aktengruppen, die jeweils unter Berücksichtigung anschaulicher Einzelschicksale vorgestellt und analysiert werden. Informationen über die behördenseitigen Entstehungszusammenhänge der Zeugnisse gehören dabei ebenso zu den wiederkehrenden Elementen der Darstellung wie Angaben zur Überlieferungssituation in den drei relevanten Abteilungen des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen. Kompakte Hinweise zu den Nutzungsmöglichkeiten und -be- schränkungen der Unterlagen sowie eine kleine Literaturauswahl runden das Heft ab.
Der Band erhebt nicht den Anspruch, die Forschungslage zu den einzelnen Quellengattungen detailliert zu referieren oder gar neue Forschungsergebnisse zu präsentieren. Wer sich für solche Fragen bzw. eine vertiefte wissenschaftliche Beschäftigung mit der Materie interessiert, sollte besser einen der drei Bände zum Thema ,Unbekannte Quellen: Massenakten des 20. Jahrhunderts. Untersuchungen seriellen Schriftguts aus normierten Verwaltungsverfahren' heranziehen, welche das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen seit 2010 herausgegeben hat. Als jener erste Einblick, der es sein möchte, erfüllt das gut geschriebene und reich bebilderte Heft indes seinen Zweck. Namentlich für Studierende oder andere Interessierte, die sich vielleicht erstmals mit personenbezogenen Verwaltungsakten zum Nationalsozialismus beschäftigen, erscheint es als Anregung und Orientierungshilfe geeignet. Insofern ist ihm eine möglichst weite Verbreitung -- auch in der universitären Lehre -- zu wünschen.
By Stephen Schröder, Dormagen-Zons / Bonn