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Elastomere: Das Problem ist die Kombination aus Zeit und Hitze.

In: Instandhaltung (0170-6993), 2020-02-04, S. 42-43
Online serialPeriodical

Elastomere: Das Problem ist die Kombination aus Zeit und Hitze 

Wenn Elastomerbauteile durch thermische Überbeanspruchung Schaden nehmen, wird oft die Temperatur als alleiniger Verursacher vermutet und mit dem Begriff ‚Überhitzung' abgetan. Dabei ist es in Wahrheit meist eine falsche Kombination von Temperatur und Zeit – dieser Artikel soll Sie bei der Schadensanalyse unterstützen.

Es gibt vier Hauptschadensmechanismen: Medien, Temperatur und Alterung, mechanische und physikalische Auswirkungen sowie Herstellungsfehler. Das Schadensbild ‚Überhitzung' wird der zweiten Gruppe zugeordnet. Man kann davon ausgehen, das haben Auswertungen aus über fünfhundert Schadensanalysen ergeben, dass rund zehn bis 15 Prozent aller Dichtungsausfälle auf diesen Schadensmechanismus zurückgehen.

Hintergrundwissen

Im Gegensatz zu Metallen haben Polymere viel niedrigere Einsatztemperaturen. Besonders deutlich wird dies beim klassischen Naturkautschuk (NR), der bei Dauereinsatz nicht über 70 °C belastet werden sollte. Durch die flächendeckende Einführung und Entwicklung von Synthesekautschuken in technischen Anwendungen seit über 80 Jahren stehen nun dem Praktiker auch hochtemperaturbeständige Elastomere zur Verfügung, die allerdings auch ihren Preis haben. So ist beispielsweise eine Perfluorkautschukmischung (FFKM, Hitzebständigkeit: zirka 260 bis 300 °C) um bis zu 5 000-mal teurer als eine SBR-Kautschukmischung (Hitzebeständigkeit maximal 100 °C).

Bei Kunststoffen lassen sich maximal zulässige Dauertemperaturen einfach über den Schmelzpunkt definieren, während dies bei Elastomeren etwas schwieriger ist, weil diese keinen Schmelzpunkt besitzen. Wäre die Zersetzungstemperatur von Elastomeren das Grenzkriterium, käme man auf sehr kurze zulässige Einsatzzeiten. Damit verlässt man bei der Definition der Temperatureinsatzgrenzen von Elastomeren den sicheren Boden eines eindeutigen physikalischen Grenzkriteriums und bewegt sich damit auf einem schwammigeren Fundament. Bei Elastomerwerkstoffen hat sich im allgemeinen die Vorgehensweise durchgesetzt, dass man als zulässige Dauertemperatur die Temperatur bezeichnet, bei der ein Elastomer mindestens 1 000 Stunden eingesetzt werden kann. Und als Grenzkriterium für den Verlust an Elastizität in der Alterung durch Wärme und Sauerstoff (also einem chemischen Schadensmechanismus) setzt man den Verlust von 50 Prozent der ursprünglichen Reißdehnung an. Aus dieser Definition erklären sich sogenannte Dauertemperaturen für NBR-Elastomere von 100 °C, für peroxidisch vernetzte EPDM-Elastomere von 150 °C und für FKM-Werkstoffe von mindestens 200 °C, welche allerdings nur beispielhaft an Musterrezepturen überprüft wurden beziehungsweise. werden. Die Temperaturabhängigkeit von chemischen Reaktionen folgt dem Arrheniusgesetz, das stark vereinfacht auf die Regel reduziert werden kann, dass um zehn Kelvin höhere Temperaturen als diese genannte Dauertemperaturen die zulässigen Einsatzzeiten (1 000 Stunden) halbieren, Temperaturen um zehn Kelvin weniger führen dagegen zu einer Verdoppelung dieser genannten Einsatzzeiten. Damit lässt sich eine thermische Überbeanspruchung bei Elastomeren also auf eine deutliche Überschreitung der zulässigen Einsatzgrenzen aus Temperatur und Zeit beschreiben, bei kurzen Einsatzzeiten sind daher auch relativ hohe Temperaturen zulässig, dafür aber bei langen Einsatzzeiten nur noch erstaunlich niedrige Temperaturen, zum Beispiel 60 °C bei NBR-Elastomeren bei etwa zwei bis fünf Jahren Einsatzdauer (kontinuierlich).

Schadensbild

Bei einer thermischen Überbeanspruchung über lange Zeiten hinweg versprödet der O-Ring bzw. die Dichtung über den ganzen Querschnitt. Beim Biegen zeigen sich die Risse bevorzugt zur Luftseite hin oder an den Dichtflächen (siehe Bilder 1 und 3), an welchen die Wärmezufuhr erfolgte. Bei EPDM-Compounds, deren Basispolymer nur aus Kohlen- und Wasserstoff besteht, zeigt sich nach Überhitzung in der Regel eine rußige Oberfläche, die beim Reiben mit dem Finger leicht abfärbt beziehungsweise schmiert. Dichtungen aus NBR-Kautschuk bekommen nach thermischer. Überbeanspruchung eine glänzende Oberfläche, FKM-Elastomere verkleben dagegen mit den meist metallenen Gegenflächen.

Kurzzeitige starke Überhitzungen führen zu tiefen feinen Rissen (Schalenbildung bzw. Versprödung nur im Randbereich, siehe Abb. 2), die sich erst beim Ziehen oder Biegen der Dichtungen zeigen, ohne dass die Dichtung insgesamt versprödet. Durch die zeitlich kurze Belastung und die isolierende Wirkung des Gummimaterials kann die zu hohe Temperatur die inneren Bereiche noch nicht sichtbar schädigen. Bei einer Langzeitüberhitzung wird die ganze Dichtung – wie in einer beschleunigten Heißluftalterung – eher homogen geschädigt. Bei einer Kurzzeitüberhitzung wird oft nur der Bereich geschädigt, an welchem die übermäßige Temperatur anlag.

Auswirkungen

Bei kurzzeitiger starker thermischer Überbeanspruchung wird die Oberfläche der Dichtung stark versprödet, sodass bereits kleine lokale Dehnungen, zum Beispiel durch die druckbedingte Walkarbeit bei O-Ringen oder die Mikroverformung der Dichtkante eines Radialwellendichtrings, zu Rissbildungen und damit zu Leckagen führen. Bei einer kontinuierlichen thermischen Überbeanspruchung wird der ganze Dichtungsquerschnitt spröde, kann sich nicht mehr unter Betriebsbedingungen verformen, ist selber stark deformiert und kann damit wechselnden Dichtspalten nicht mehr folgen.

Das Schadensbild ‚Überhitzung' ist nicht immer leicht von einem chemischen Angriff abzugrenzen. Bei Letzterem finden sich Risse bevorzugt auf der Produktseite, die Dichtung selbst ist oft noch elastisch, bricht aber bei starkem Biegen oder Ziehen.

Praxistipps

Generell empfiehlt es sich, die Temperaturgrenzen eines Werkstoffes mithilfe der Heißluftalterung zu bestimmen (zum Beispiel nach ISO 188, DIN 53508 oder ASTM D573). Wenn die max. Temperaturbelastungen und die dazugehörigen Zeiten einer techn. Anwendung relativ gut abgeschätzt werden können, also Temperaturkollektive bekannt sind, kann über vereinfachte Arrheniusmultiplikatoren eine isotherme Ersatzbeanspruchung ermittelt werden. Wenn man nun nach Letzterer prüft, kann man eine reale Anwendung sehr gut in der Labor-Heißluftalterung simulieren.

Erfahrungsgemäß werden rezepturbedingte Einflüsse unterschätzt. Bereits Heißluftalterungen über 1–2 Wochen oder entsprechend lange Druckverformungsrestversuche reichen aus, um aufzuzeigen, ob tatsächlich ein guter Stand der Technik bei der jeweiligen Mischung vorliegt (Vergleich mit Rezepturvorgaben aus ISO 3601-5 empfehlenswert). Bei sehr kritischen Anwendungen empfiehlt sich, wo möglich, eine Heißluftalterung am Bauteil (z. B. O-Ring) durchzuführen. So bekommt man nicht nur eine Aussage über den Werkstoff, sondern auch über dessen Verarbeitung, welche die Hitzebeständigkeit nachhaltig beeinflussen kann.

Dipl.-Ing. Bernhard Richter, Dipl.-Ing. (FH) Ulrich Blobner – O-Ring Prüflabor Richter

Graph: Oben: Querschnitt eines stark überhitzten O-Rings (kurze Betriebszeit) durch trockenen Anlauf einer Gleitringdichtung, auffällig sind bleibende Verformung und nur lokale Versprödung, der Kern ist noch voll elastisch. Links: Thermisch geschädigter O-Ring, komplett durchgehärtet, beim Biegen werden Risse an den Anlageflächen sichtbar. Bilder (3): Prüflabor Richter

Titel:
Elastomere: Das Problem ist die Kombination aus Zeit und Hitze.
Zeitschrift: Instandhaltung (0170-6993), 2020-02-04, S. 42-43
Veröffentlichung: 2020
Medientyp: serialPeriodical
ISSN: 0170-6993 (print)
Schlagwort:
  • ELASTOMERS
  • TEMPERATURE
  • MECHANICAL engineering
  • SEALS (Closures)
  • INDUSTRIAL equipment
  • Subjects: ELASTOMERS TEMPERATURE MECHANICAL engineering SEALS (Closures) INDUSTRIAL equipment
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Full Text Word Count: 915

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