Sie fristen ein Schattendasein, haben aber erheblichen Anteil an sicheren Prozessen und leisten einen immer wichtigeren Beitrag zur digitalisierten und vernetzten Fabrik. Die Entwicklungen der Spanntechnik im Überblick.
Richtige Spanntechnik sichert Prozesse, kürzt Rüstzeiten und erhöht die Produktivität
B auteile werden immer komplexer – und damit die Bearbeitungsverfahren immer komplizierter. Gleichzeitig sollen sie nicht nur präziser, sondern auch schneller werden. Dementsprechend kommen in Fertigungen immer häufiger CNC-Bearbeitungszentren und Sonderwerkzeuge zum Einsatz; das hat Auswirkungen auf die Spanntechnik.
„Die 5-Achsen-Bearbeitung liegt im Trend, der Anteil an 5-Achsen-Maschinen ist stark angestiegen", berichtet Gressel-Geschäftsführer Jörg Maier. Mittelfristig würden daher vor allem mehr 5-Achs-Spannelemente benötigt. Zusätzlich müssten die Spannelemente gut zugänglich sein und hohe Haltekräfte haben, wie Patrizio De Pinto, Vertriebsleiter bei Lang Technik, erläutert. „Zudem sollten diese auch auf Fräs-Drehmaschinen einsetzbar sein, da die kombinierte Bearbeitung immer stärker im Kommen ist."
Auch die zunehmende Automatisierung stellt hohe Ansprüche an die Spannsysteme. „Immer mehr Werkzeugmaschinen werden entweder über Palettensysteme oder mittels Roboter beladen", bemerkt Raoul Dessel, Executive Vice President Sales & Distribution Management bei Schunk. Das fordere vor allem die Werkstück-Spannsysteme: „Im Fokus stehen die Prozesssicherheit und Zugänglichkeit, einfache und schnelle Rüstvorgänge sowie ein perfektes Zusammenspiel mit anderen am Prozess beteiligten Komponenten." Deshalb stimme Schunk die nächsten Generationen seiner Kraftspannblöcke, Basis- und 5-Achs-Spanner gezielt auf diese Aspekte ab.
Auch Gressel steckt viel Entwicklungsarbeit in die Automation. „Der automatisierte Beladevorgang ist enorm wichtig", betont Geschäftsführer Maier. „Wir gehen noch einen Schritt weiter und haben ein Spannsystem entwickelt, das den Umrüstprozess automatisiert." So ließen sich flexible Losgrößen mit großer Teilevielfalt fertigen. Teil des Systems sind Spannelemente, die eine automatische Beladung zulassen. Beispiel: der greifende Zentrischspanner R-C2 von Gressel. „Darin verschmelzen die Vorteile von Roboter-Direktbeladung mit der Palettenbeladung", so Maier. In der Maschine funktioniert der R-C2 wie eine Palette. Ein Roboter legt den motorisch ansteuerbaren Servogreifer in die Maschine und koppelt ihn ab. Damit entfalle der Rüst- und Umrüstaufwand, neue Werkstückspannweiten würden mit dem Servoantrieb automatisch umgestellt.
Das wohl heißeste Thema der Spanntechnik sind Sensoren für Automation und Digitalisierung. „Im Bereich automatisierte Fertigung, bei denen Werkstücke mannlos per Roboter oder Zuführung eingelegt und gespannt werden, ist eine Sensorik zum prozesssicheren Ablauf nahezu unumgänglich", erläutert der Lang-Technik-Experte De Pinto. „Angefangen von einer einfachen Spannabfrage bis hin zur Überprüfung von Spanndrücken inklusive Regulierung, kann anhand einer Sensorik viel Einfluss genommen werden."
Die Spanntechnik-Hersteller sehen die Sensorik als Technologietreiber der Branche, da sie viel zum Prozess beitragen könne. Sensoren machten es möglich, mannlos zu rüsten, die Spannkraft exakt zu regeln oder Prozessdaten zu erfassen – so werden aus mechanischen Spannelementen digitale Lösungen, die mehr können als Spannen. De Pinto: „Spannmittel der Zukunft werden neben den eigentlichen Spannaufgaben auch vermehrt mit der Werkzeugmaschine interagieren, um im laufenden Prozess gewisse Parameter anzupassen beziehungsweise zu verändern." Ein Beispiel für ein solches intelligentes Spannsystem liefert Schunk: „Mit smarten Spannmitteln wie dem sensorischen Werkzeughalter iTendo, der im Herbst auf den Markt kommt, können Zerspanungsprozesse ohne Eingriff des Bedieners unmittelbar am Werkzeug in Echtzeit überwacht und geregelt werden", erklärt Dessel. Laut Schunk haben Pilotanwendungen der intelligenten Werkzeugaufnahme gezeigt, dass es möglich ist, schwingungsarme Bearbeitungen und damit brillante Oberflächenqualitäten zu realisieren. Außerdem erlaube der iTendo beispielsweise bei Mikrowerkzeugen eine Trendauswertung zum Werkzeugverschleiß oder eine erhöhte Prozessstabilität beim Bohrsenken von Großbauteilen in der Luftfahrtindustrie.
Der Einsatz von Sensoren erlaubt die Integration von Spannelementen in Industrie 4.0-Lösungen. „Sowohl Werkzeughalter als auch stationäre Spannmittel und Drehfutter befinden sich closest-to-the-part", argumentiert Dessel. Das eröffne neue Möglichkeiten zum Erfassen von Werkstück- und Prozessdaten, die bislang nur unvollständig genutzt werden. Ziel sei es, das Wissen der Spannelemente zu nutzen, um Prozesse systematisch zu analysieren.
In Zukunft wird es vor allem um die Integration der intelligenten Spanntechnik in die Systemarchitektur der Produktion gehen, weiß Professor Berend Denkena: „Es wird darum gehen, die Potenziale der Digitalisierung und die Anwendungsmöglichkeiten Künstlicher Intelligenz weiter auszuschöpfen." Der Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen an der Leibniz-Universität Hannover nennt als Ziel, die Daten integrierter Sensorik mittels Künstlicher Intelligenz auszuwerten. Durch Vernetzen der Spannsysteme mit weiteren Komponenten der Produktion erhöhe sich die Transparenz in der Fertigung: „Das steigert die Produktivität und stellt die Werkstückqualität durch intelligentes Eingreifen in den Prozess sicher."
Autor Julia Dusold, Redaktion PRODUKTION
Graph: Raoul Dessel, Schunk
Graph: Berend Denkena, IFW, Uni Hannover
Graph: Spannelemente wie dieses haben eine Schlüsselfunktion im Zerspanungsprozess.
Graph: Im greifenden Werkstückhalter R-C2 von Gressel verschmelzen die Vorteile der Roboterbeladung mit denen der Palettenbeladung.
Graph: Sensoren an Werkzeughaltern und anderen Spannmitteln -liefern tiefe Einblicke in den Fertigungsprozess. iTendo von Schunk hilft, Zerspanprozesse zu überwachen und zu regeln.
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Graph: Bild: Gressel
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