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Johannes Bähr, Verbandspolitik in Demokratie und Diktatur. Der Spitzenverband der elektrotechnischen Industrie 1918–1950, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2019, 110 S., € 18,00.

Bührer, Werner
In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Jg. 65 (2020-06-01), Heft 2, S. 317-318
Online review

Johannes Bähr, Verbandspolitik in Demokratie und Diktatur. Der Spitzenverband der elektrotechnischen Industrie 1918–1950, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2019, 110 S., € 18,00 

Bähr, Johannes Verbandspolitik in Demokratie und Diktatur. Der Spitzenverband der elektrotechnischen Industrie 1918–1950 Societäts-Verlag Frankfurt am Main 2019 € 18,00 1 110

Bähr, Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Frankfurt am Main und in der Verbandsgeschichtsschreibung bestens ausgewiesen, widmet sich in seiner neuen Arbeit dem Zentralverband der Elektrotechnischen Industrie (ZVEI) zwischen der Gründung im März 1918 und der Neugründung im Februar 1949. Dabei begnügt er sich nicht mit einer reinen Organisationsgeschichte, sondern fragt darüber hinaus, «wie sich die Verbandsarbeit in den unterschiedlichen politischen Systemen gestaltete», ob sich «langfristige Kontinuitäten feststellen lassen» (9) und wie es gelang, einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen der Mitglieder herzustellen. In seinem Geleitwort nimmt der Präsident des ZVEI die Antwort auf eine dieser Fragen zwar vorweg, indem er behauptet, dass «sein» Verband «vorbehaltlos hinter der ersten Demokratie Deutschlands» (7) gestanden habe – doch ganz so «vorbehaltlos» war die Unterstützung, folgt man Bährs Befunden, am Ende wohl doch nicht.

Bekanntlich ist die archivalische Überlieferung bei vielen Spitzenverbänden der Industrie schlecht. Oft hilft jedoch die Gegenüberlieferung in staatlichen oder Unternehmensarchiven dabei, Lücken einigermaßen zu schließen. Das war auch im Fall des ZVEI so: Bähr stützte sich insbesondere auf Archivalien aus dem «Siemens Historical Institute», dem Bundesarchiv, Entnazifizierungsakten aus dem Hessischen Hauptstaatsarchiv sowie, mit der gebotenen Vorsicht, auf die unveröffentlichte Verbandsgeschichte eines langjährigen Geschäftsführers.

Bähr beginnt seine Darstellung im späten 19. Jahrhundert mit den Bemühungen um eine einheitliche Interessenvertretung der Elektroindustrie. Dass es damit bis 1918 dauerte, erklärt er mit dem geringen «Alter» und der heterogenen Struktur der Branche. Gewiss spielte auch das Gefühl, gegenüber «besser» organisierten Branchen ins Hintertreffen zu geraten, eine wichtige Rolle – und nicht zuletzt Initiative und Engagement einzelner Persönlichkeiten wie Carl Friedrich von Siemens und Hans von Raumer. Beide prägten den Verband bis zum Ende der Weimarer Republik als Vorsitzender bzw. als geschäftsführendes Vorstandsmitglied. Für Hitler und die NSDAP hegte die Verbandsleitung zwar «keine Sympathien» – doch zumindest von Raumer war nach dem Juli 1932 «autoritären Lösungen nicht mehr abgeneigt» (41). Eine «vorbehaltlose» Unterstützung der Weimarer Demokratie war dies jedenfalls nicht.

Nach 1933 war der Verband zahlreichen Umorganisationsversuchen unterworfen, die seine Autonomie immer mehr einschränkten. Bemerkenswert erscheint, dass wichtige Funktionäre der NSDAP fern blieben. Aufgrund der Einschaltung in die Rohstoffbewirtschaftung stieg die Zahl der Mitarbeiter und Mitgliedsfirmen der Wirtschaftsgruppe Elektroindustrie (WEI), so die damalige Bezeichnung, enorm. Mit Friedrich Lüschen rückte im Juni 1942 ein Mann an die Spitze, der noch im selben Jahr der NSDAP und der SS beitrat. Unter seiner «Führung» entwickelte sich die WEI endgültig «von einer Branchenorganisation zu einer Bewirtschaftungsinstitution» (71). Schon unmittelbar nach Kriegsende begannen die «Aufräumarbeiten» (79) – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Bald wurden auf regionaler Ebene neue Verbände mit freiwilliger Mitgliedschaft gegründet. Und zumindest auf der Leitungsebene standen sie, wie auch der 1949 gegründete Spitzenverband, «in keiner personellen Kontinuität» (84) zu den Vorgängerorganisationen. Gänzlich untypisch war überdies, dass drei Mitglieder des neuen Vorstands «aktive Gegner des NS-Regimes» gewesen waren (89).

Das Buch bietet einen kompakten, alle relevanten Aspekte der Arbeit des ZVEI und der WEI abbildenden Überblick. Der Autor stellt den Verband in den (wirtschafts)politischen Kontext, diskutiert Kontinuitäten und Zäsuren und unterstreicht die Bedeutung persönlicher Faktoren. Für die geschichtswissenschaftliche Verbändeforschung liefert er damit einen wertvollen und inspirierenden Impuls.

By Werner Bührer

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Titel:
Johannes Bähr, Verbandspolitik in Demokratie und Diktatur. Der Spitzenverband der elektrotechnischen Industrie 1918–1950, Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2019, 110 S., € 18,00.
Autor/in / Beteiligte Person: Bührer, Werner
Link:
Zeitschrift: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Jg. 65 (2020-06-01), Heft 2, S. 317-318
Veröffentlichung: 2020
Medientyp: review
ISSN: 0342-2852 (print)
DOI: 10.1515/zug-2020-0014
Schlagwort:
  • VERBANDSPOLITIK in Demokratie und Diktatur: Der Spitzenverband der elektrotechnischen Industrie 1918-1950 (Book)
  • BAHR, Johannes
  • ELECTRICAL engineering
  • DEMOCRACY
  • NONFICTION
  • Subjects: VERBANDSPOLITIK in Demokratie und Diktatur: Der Spitzenverband der elektrotechnischen Industrie 1918-1950 (Book) BAHR, Johannes ELECTRICAL engineering DEMOCRACY NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = München, Deutschland

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