Jens Ivo Engels, Alles nur gekauft? Korruption in Deutschland seit 1949. 2019 Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 978-3-8062-4023-8, € 35,–
Ein Bobby-Car symbolisierte jene Korruptionsaffäre besonders sinnbildlich, mit der Jens Ivo Engels seine überaus lesenswerte Darstellung zum Wandel des Korruptionsphänomens in der Bundesrepublik schließt. Christian Wulff trat 2012 als Bundespräsident zurück, weil ihm Vorteilsnahme und -gewährung vorgeworfen wurden. Juristisch endete das Verfahren gegen den ehedem höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik 2014 mit einem Freispruch. Die Öffentlichkeit hatte ihr eigenes Urteil freilich längst gefällt: Wulff galt als käuflich oder zumindest als empfänglich für selbst kleinste Gefälligkeiten wie ein Bobby-Car.
Die Wahrnehmung entstand durch eine Vielzahl an Details, die Medien auf dem Höhepunkt der Affäre täglich aufbereiteten, sowie an ungeschickter Kommunikation Wulffs. Er erweckte u.a. den Eindruck, er schätze die Pressefreiheit gering. Das mediale Bemühen, Transparenz herzustellen, bestärkte wiederum Kräfte, die Politiker bzw. Eliten grundsätzlich für korrupt und die bundesdeutsche Demokratie für defizitär hielten.
Engels geht es weder darum, dieses Vorurteil zu bestätigen, noch darum, es zu widerlegen, sondern zuvorderst erklärt er historisch, wie es entstanden ist. Zwei Prämissen bilden den roten Faden der Darstellung: Erstens bewegt sich Korruption an der Grenze von Privatheit und Öffentlichkeit, in der Regel betrifft sie den Missbrauch einer (politischen) Machtposition für private Zwecke. Die Grenze ist dabei freilich nicht klar zu bestimmen (etwa durch Rechtsnormen), sondern sie wird, zweitens, diskursiv ausgehandelt. Dasselbe Verhalten, das lange nicht inkriminiert wurde, kann demnach einen Korruptionsverdacht begründen, sobald sich Normvorstellungen verändern.
Korruptes Verhalten gab es auch in den 1950er und 1960er Jahren durchgängig, aber von Korruption wurde selten gesprochen, wohl auch, weil Bonn nicht Weimar sein sollte: Politikern und Journalisten war noch präsent, wie der Korruptionsdiskurs der ersten deutschen Demokratie deren Destabilisierung begünstigt hatte. Den Wendepunkt erblickt Engels in der Flick-Affäre der frühen 1980er Jahre, die Widersprüchlickeiten der bundesdeutschen Parteienfinanzierung offenlegte. Globale Entwicklungen kamen hinzu: Beispielsweise setzten sich ausgehend von den USA Compliance- und Transparenzvorstellungen für Unternehmen durch, die Korruption im Ausland immer stärker kriminalisierten; parallel etablierten sich NGOs wie Transparency International.
Engels sieht diese Entwicklungen nicht allein positiv, sondern weist auch auf die destablisierende Wirkung von Transparenz um ihrer selbst Willen hin. Derart werde an Mandatsträger ein moralischer Maßstab angelegt, der kaum zu erfüllen sei, wodurch sich letztlich Demokratieskepsis verstärke. Den umsichtigen Bemerkungen Engels', Maß und Mitte bei (Korruptions-)Debatten nicht aus den Augen zu verlieren, kann nur beigepflichtet werden: Das Bobby-Car war nie eine Gefahr für die politische Kultur der Bundesrepublik.
By Boris Gehlen
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