Paul A. Rahe, Sparta's First Attic War. The Grand Strategy of Classical Sparta, 478–446 B. C. 2019 Yale University Press London, 978-0-300-24261-4, £ 25,–
Thukydides erklärte als Zeitgenosse die Entstehung des Peloponnesischen Krieges zwischen Athen und Sparta mit seiner 50-jährigen Vorgeschichte, der Pentekontaetie, von den Perserkriegen an. In diesem Zeitraum habe sich die Macht Athens in einem Ausmaße vergrößert, das für die Spartaner nicht mehr erträglich war. Für Paul A. Rahe, den Autor des hier anzuzeigenden Buches über „Spartas ersten Attischen Krieg", sind es nicht 50, sondern 30 konstitutive Jahre, eine Triakontaetie, von 478–446 v. Chr., die von der erfolgreichen spartanisch-athenischen Allianz gegen die, so der Verfasser, „relativ" größte Macht der Weltgeschichte, das Perserreich, zum Bruch und dann zum Krieg untereinander führten.
Im Blickpunkt des Buches steht erneut Sparta – aus seiner Perspektive soll die Entwicklung beschrieben werden. Damit setzt der Verfasser seine „spartanische Geschichte" fort, von der bisher zwei Bücher unter dem Oberbegriff der „Grand Strategy" erschienen sind. In diesem dritten Buch nun geht es um die Zeit zwischen der Schlacht von Platäa 479 v. Chr. bis zum 30-jährigen Vertrag zwischen Athen und Sparta im Jahre 446 v. Chr. nach einer ersten kriegerischen Auseinandersetzung zwischen beiden Vormächten. Wie und wann kam es zum Bruch zwischen den vormaligen „Yokefellows"? So lautet die Kernfrage. Das Buch geht auf der Basis von hervorragenden Quellendiskussionen und einer stupenden Literaturkenntnis – die sich im übrigen nicht nur auf englischsprachige Titel stützt –, im Detail auf die historische Entwicklung unter politischen, militärischen und diplomatischen Gesichtspunkten ein. Das heuristische Konzept der „Grand Strategy" erlaubt es dem Verfasser, auf Pläne und Handlungen der Städte und Einzelakteure (wie Themistokles, Pausanias, Kimon oder Perikles) einzugehen und dadurch ein tragfähiges System der „internationalen" Politik jener Zeit zu entwickeln.
Dabei kommen viele und umstrittene Themen zur Sprache, zu denen dezidierte, aber gut begründete eigene Interpretationen angeboten werden. So werden die Verhandlungen der Athener mit den Persern, die zum tatsächlichen oder vermeintlichen „Kallias-Frieden" geführt haben, bestätigt, wenn sie auch nicht in einem formellen Vertrag festgehalten worden seien. Spartas Politik in dieser Phase, die in den Quellen schwerer zu fassen ist als die athenische, behandelt der Verfasser als im Einklang mit jener Grand Strategy des 6. Jahrhunderts stehend. Diese habe in einer Sicherung des außenpolitisch Erreichten bestanden, um die spartanische Ordnung nicht unkalkulierbaren Gefahren auszusetzen (S. 226). Die Athener dagegen entfernten sich immer mehr von dem einstigen Bundesgenossen und hatten nach dem Ausgleich mit den Persern auch den Zusammenhalt ihres Seebundes zu sichern. Nicht alle Erkenntnisse in dem Buch sind wirklich neu, aber selten hat man eine so zielgerichtet-politikwissenschaftliche und im Ganzen durchaus überzeugende Analyse der „internationalen" Politik in der griechischen Welt gelesen.
Die Rechtsgeschichte kommt, das mag eingewendet werden, in dem Buch zu kurz – eine derart kleinteilige Welt wie die griechische konnte ohne ein starkes „Völkerrecht" nicht auskommen; so ist im Buch die Behandlung des so bedeutsamen 30-jährigen Vertrages allein auf seinen Misserfolg als „Friedensvertrag" beschränkt. Von der revolutionierenden Bedeutung dieses Vertragswerkes für die Beziehungen der Poleis untereinander und für das Denken der Zeitgenossen schweigt das Buch. Und dass der „Frieden" sich gerade in der griechischen Gedankenwelt zu einem eigenständigen Wert entwickelte, das zeigen die „allgemeinen Friedensverträge" nach dem Peloponnesischen Krieg. Aber diese Einschränkungen zeigen nur, wie fruchtbar das Feld der zwischenstaatlichen Beziehungen in der klassischen Poliszeit auch für die zukünftige Forschung sein muss.
By Ernst Baltrusch
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