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Das Prachtevangeliar aus Mariengraden - Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei. Die Handschrift Cod. 1001a der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln. Mit einem Beitrag von Doris Oltrogge.

Jacobs, Hanna
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 84 (2020), S. 352-354
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Das Prachtevangeliar aus Mariengraden - Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei. Die Handschrift Cod. 1001a der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln. Mit einem Beitrag von Doris Oltrogge  KLAUS GEREON BEUCKERS: Das Prachtevangeliar aus Mariengraden -- Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei. Die Handschrift Cod. 1001a der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln. Mit einem Beitrag von Doris Oltrogge, Luzern: Quaternio Verlag 2018. 184 S., mit einem Faksimile-Doppelblatt, 58 Farbtafeln und zahlreichen Illustrationen. ISBN: 978-3-905924-61-9.

Dies ist eine außergewöhnliche Publikation zu einem außergewöhnlichen Objekt. Das um 1033 am Übergang von ottonischer zu salischer Buchmalerei entstandene Prachtevangeliar aus Mariengraden gehört zu den bekanntesten Handschriften der Diözesan- und Dombibliothek Köln (Cod. 1001a), vergleichbar im Rang mit dem Hitda-Codex. Umso erstaunlicher ist es, dass es sich bei der hier vorliegenden Monographie um die erste handelt, die die qualitätvollen Malereien vollständig wiedergibt. Dieser hat sich der Quaternio Verlag Luzern in einem hochwertigen Kunstbuch angenommen, das Spezialisten ebenso anspricht wie fachkundige Laien. Mit Klaus Gereon Beuckers und Doris Oltrogge konnten für die wissenschaftlichen Beiträge zwei ausgewiesene Expert*innen für die Buchmalerei dieser Epoche gewonnen werden.

Die aufwändige Publikation umfasst zwei leinengebundene Bände in einem Schuber: einen schmalen Band, der das herausnehmbare Faksimile-Doppelblatt Folio 177 und 178 mit dem Beginn des Johannes-Evangeliums enthält, sowie einen Hauptband, der sämtliche Miniaturen und Texteierseiten der Handschrift in hervorragenden originalgroßen Farbtafeln wiedergibt. Diese Tafeln sind von so fantastischer Druckqualität, dass unter der Lupe einzelne Pinselstriche und die Oberflächenbeschaffenheit des Pergamentes nachvollziehbar sind. Sie bilden die repräsentativsten Teile der Handschrift ab: die Anfangsseiten mit Zierseite, Maiestas Domini, Kanontafeln, einer Darstellung Hieronymus' als Überseteer und den initialverzierten Vorreden des Hieronymus sowie die Evangelienanfänge, die jeweils ein Gedicht zum Evangelium, ein Evangelistenbild, eine Incipitseite und eine Initialzierseite umfassen. Verteilt auf fünf Bildteile, die den vier Kapiteln und dem Anhang vorgeschaltet sind, greifen sie die Gliederungsfunktion der Bilder im Objekt ,Codex' auf. Auch die korrekte Lage der recto- und verso-Seiten sowie die pergamentähnliche Haptik des schweren matten Papiers tragen zur Wirklichkeitsfiktion bei. Die Liebe zum Faksimilegedanken geht so weit, dass jeweils vollständige Folii-Folgen abgedruckt werden, sogar inklusive der in der Originalhandschrift bemerkenswerterweise frei gelassenen Folii, aus denen sich zahlreiche Informationen ziehen lassen, wie etwa der Durchschlag der Farben von der Miniatur der Rückseite und zwei Planänderungen, die aus den bereits angelegten Hilfslinien und dem Durchscheinen einer ausradierten Evangelistenfigur hervorgehen. Die Erläuterungen enthalten ebenso hervorragende Farbabbildungen von Vergleichsbeispielen und weiteren Texteierseiten der Handschrift.

Die leserfreundlichen Erläuterungen nähern sich dem Objekt logisch von den äußeren Kontexten, über Provenienz, Einband und die Miniaturen bis zu den Details der 2017 von Oltrogge ausgeführten kunsttechnologischen Untersuchung. Der Anhang gibt neben den Verzeichnissen und einem Glossar der Fachbegriffe einen listenförmigen Überblick über wichtige Daten, wie die erneute den- drochronologische Datierung des originalen Eichenholzeinbandes, die die Datierung "ab 1033" bestätigt, Maße und Inhalt der Bildseiten sowie ein vollständiges Lagenschema mit detaillierten Schemata der Lagen III, XI und XVI.

Im ersten Kapitel bietet B e u c k e r s eine knappe Verortung im politischen, räumlichen und künstlerischen Entstehungskontext und einen umfassenden Forschungsüberblick zur Kölner Buchmalerei des 10. und 11. Jahrhunderts, die den kunsthistorischen und historischen Stellenwert der Handschrift hervorheben. Als erzbischöfliche Stiftung sind das ehemals unmittelbar östlich des Kölner Domes liegende Stift St. Maria ad Gradus und sein Prachtevangeliar eng verknüpft mit den politischen Kontexten. Nach einer Phase der Stagnation in der Kölner Buchmalerei im Zuge einer Krise in der Königsnähe der Stadt unter König Heinrich II. (1002-1024) markiert die "qualitativ erstrangige" Handschrift eine "programmatische Neuseteung" und einen repräsentativen Neuanfang der Kölner Buchmalerei des 11. Jahrhunderts. In "souveräner Eigenständigkeit" verbindet sie stilistisch die Tradition der Kölner ottonischen Buchmalerei mit den Errungenschaften der Reichenauer Schule und formuliert damit den "Brückenschlag von der ottonischen zur salischen Kunst". Die Handschrift begründet mit ihrem neuartigen Formenkanon die "Reiche Gruppe" (Terminologie von Peter Bloch und Hermann Schnite- ler, 1967), der sich drei eng verwandte Nachfolgewerke zuordnen lassen.

Die Charakteristika und Innovationen der Bild- und Schmuckseiten werden von Beuckers im zweiten Kapitel detailliert beschrieben und mit Lösungen der vorausgehenden und nachfolgenden Buchmalerei verglichen. Zu den Neuerungen gehören etwa die Einfügung zusätelicher Bildrahmen um die Arkaturen der Kanontafeln, die Beuckers einem Vorschlag O'Driscolls (2013) folgend mit der -- aus zeitgenössischen Kölner Gedichten hervorgehenden -- theologisch-philosophischen Refle xion von Bildlichkeit und der Unterscheidung von Darstellungsinhalt und Darstellendem erklärt. Außerdem tauchen hier erstmals Hintergrundarchitekturen auf, die den Konzepteuren offenbar so wichtig waren, dass hierfür -- wie Beuckers anhand der oben angesprochenen Planänderung mit dem verworfenen Evangelisten beweist -- entgegen der Kölner Tradition sogar die Größe der Evangelisten verkleinert wurde. Zu beiden Aspekten wären tiefergehende Untersuchungen nötig, etwa bezüglich der interessanten Durchdringungen von Rahmen und Bildinventar, des Zusammenspiels von Figur, Architektur und Erzählung, oder der Titelgedichte der Evangelien. Auch ein intensiverer Vergleich mit dem um 1025 von Reichenauer Mönchen wohl in Köln angefertigten Hillinus-Codex scheint angesichts des von Beuckers vermuteten direkten Kontakts der Maler beider Handschriften im Skripto- rium von St. Pantaleon erneut lohnend. Ebenso stellt der Einbezug anderer Gattungen ein Desiderat dar.

Im dritten Kapitel analysiert Beuckers ausblickend die Wirkung der Handschrift auf die nachfolgende Kölner Buchmalerei und plädiert für eine Bindung des Evangeliars an Erzbischof Pilgrim (1021-1036) und eine möglicherweise nicht ursprünglich für Mariengraden gedachte Bestimmung, was unter anderem die für eine Widmung vorgesehene, leergebliebene Zierseite am Beginn des Codex erklären könnte.

Das vierte Kapitel von Oltrogge informiert über die Ergebnisse der kodikologischen und maltechnischen Untersuchung und bietet schlüssige Thesen zum Vorgehen bei der Herstellung des Codex. Oltrogge gibt darin detailliert Aufschluss über die Lagen und die Planänderungen, die aus den teils nachträglich eingefügten Bildseiten und den in UV-Aufnahmen abgebildeten, verworfenen Unterzeichnungen hervorgehen. Außerdem gelingt Oltrogge aufgrund der Nagellöcher eine konkretere Rekonstruktion des ursprünglichen Einbanddekors mit Elfenbein und durchbrochenem Beschlag ("opus interrasile").

Die bibliophile Aufmachung dieser gelungenen Publikation rechtfertigt den hohen Preis und vermittelt einen haptischen Eindruck vom Original, der im Digitalisat -- in dem die Handschrift im Projekt CEEC (=Codices Electronici Ecclesiae Coloniensis) vollständig vorliegt -- nicht möglich ist. Sie ist damit ein gewichtiges Argument für die Publikation in Buchform und wird hoffentlich ebenso Schule machen wie das Meisterwerk aus Mariengraden selbst es tat.

By Hanna Jacobs, Bonn

Titel:
Das Prachtevangeliar aus Mariengraden - Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei. Die Handschrift Cod. 1001a der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek Köln. Mit einem Beitrag von Doris Oltrogge.
Autor/in / Beteiligte Person: Jacobs, Hanna
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 84 (2020), S. 352-354
Veröffentlichung: 2020
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • DAS Prachtevangeliar aus Mariengraden: Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei: Die Handschrift Cod: 1001a der Erzbischoflichen Diozesan- und Dombibliothek Koln (Book)
  • BEUCKERS, Klaus Gereon
  • MANUSCRIPTS
  • APOCRYPHAL Gospels
  • NONFICTION
  • Subjects: DAS Prachtevangeliar aus Mariengraden: Ein Meisterwerk der salischen Buchmalerei: Die Handschrift Cod: 1001a der Erzbischoflichen Diozesan- und Dombibliothek Koln (Book) BEUCKERS, Klaus Gereon MANUSCRIPTS APOCRYPHAL Gospels NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Full Text Word Count: 1007

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