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Ritterschaft und Reformation (Geschichtliche Landeskunde 75).

Müsegades, Benjamin
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 84 (2020), S. 399-400
Online review

Ritterschaft und Reformation (Geschichtliche Landeskunde 75)  WOLFGANG BREUL, KURT ANDERMANN (Hg.): Ritterschaft und Reformation (Geschichtliche Landeskunde 75), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2019, 374 S. ISBN: 978-3515-12258-0.

Die 500. Wiederkehr von Luthers Thesenpublikation im Jahr 2017 führte in der Forschung zu einer erneuten intensiven Auseinanderseteung mit den religiösen, politischen und sozialen Veränderungen des 16. Jahrhunderts. In diesen Kontext ist auch der von Wolfgang Breul und Kurt Andermann herausgegebene Sammelband mit den Ergebnissen einer 2015 veranstalteten Tagung zu verorten, dessen Ziel es ist, einen vergleichend landesgeschichtlichen Blick auf die Haltung des Niederadels zur Reformation zu werfen. Der Fokus liegt vor allem auf dem Alten Reich, dem circa zwei Drittel der Untersuchungen gewidmet sind. Aber auch benachbarte Länder wie Polen, Frankreich und Ungarn, wo eine Trennung zwischen Hoch- und Niederadel häufig nicht klar nachvollziehbar ist, werden im Hinblick auf die Fragestellung untersucht. Die Stärke vieler Beiträge liegt -- ganz in landesgeschichtlicher Tradition -- in der quellennahen Herangehensweise.

Dies illustriert eingangs schon Steffen Krieb in seinen Ausführungen zum Pfälzer Niederadel, in denen er die Veränderungen in der Memorialpraxis unterschiedlicher Geschlechter vor und nach der Reformation analysiert (S. 11-26). So kam es erst nach der Verfestigung der neuen Lehre in den Grablegen der verschiedenen Familien zu einem Wechsel von plastischen Darstellungen der Verstorbenen hin zu einer einfacheren Repräsentation, die meist auf figürliche Elemente verzichtete.

Mit Joachim Schneider (S. 27-50) und Christine Reinle (S. 51-80) zeigen zwei weitere ausgewiesene Kenner niederadligen Lebens die durch die politisch-religiösen Wenden um 1500 verursachten Veränderungen auf. Schneider analysiert Praktiken und Ausformungen föderativer Gruppenbildung in der südwestdeutschen Ritterschaft um Franz von Sickingen. Sichtbar wird, dass die Mitgliedschaft in Adelsgesellschaften, Einungen und auch Ganerbengemeinschaften als Gesamt-konstrukt verstanden werden muss, aus dem heraus die Teilnahme an Fehdeunternehmungen sowie die frühe Hinwendung zur neuen Lehre verstanden werden können.

Während die seit 1495 offiziell geächtete Fehdepraxis bei Schneider nur einen Teilaspekt bildet, steht sie im Mittelpunkt von Christine Reinles Überlegungen. Sie unterstreicht ausgehend von der Sickingen-Fehde anhand ausgewählter Beispiele aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die auch in anderen Untersuchungen konstatierte Kommerzialisierung des Fehdewesens und arbeitet die Vielzahl von Helfern heraus, auf die die Konfliktparteien zurückgreifen konnten.

Überblicksbeiträge, die vor allem ältere Literatur zusammenfassen, bieten im Folgenden Matthias Schnettger zu Kaiser, Reich und Ritterschaft zu Beginn der Frühen Neuzeit (S. 81-96), Matthieu Arnold zur Rolle von Rittern in Luthers Briefwechseln (S. 97-106) und Marc Lienhard zur el- sässischen Ritterschaft (S. 163-172). Äußerst quellennah gehalten sind hingegen die lesenswerten Ausführungen von Mathias Müller zum Flugschriftenautor Hartmuth von Cronberg (S. 123-148), Kurt Andermann zur Kraichgauer Ritterschaft (S. 149-162) und Uwe Schirmer zum obersächsisch-thüringischen Niederadel (S. 201-239). Zusammen mit Wolfgang Breuls Darstellung zu Ritterschaft und Reformation bei Franz von Sickingen (S. 107-122) und Berthold Jägers Ausführungen zur Ritterschaft in der Rhön (S. 173-199) skizzieren die Autoren ein für das Reich erwartbar vielschichtiges Panorama. Sichtbar wird dabei das altbekannte Problem, allgemeinverbindliche Muster bzw. Beharrungskräfte bei der Ausbildung altgläubiger oder reformatorischer Gruppen oder Räume herauszuarbeiten. In fast allen Fallbeispielen werden jene -- mal kleineren, mal größeren -- konfessionellen Minderheiten sichtbar, die sich den mehrheitlichen Entscheidungen des jeweiligen regionalen Niederadels aus persönlichen, familiären oder anderen Gründen widerseteten.

Die Beiträge im leteten Drittel des Bands bieten -- mit Ausnahme von Philip Benedicts englischsprachigen Ausführungen zu Frankreich (S. 333-354) -- auf Deutsch verfasste Ausführungen einschlägiger Experten zum Zusammenspiel von Ritterschaft und Reformation in weiteren Reichen wie Dänemark und Schleswig-Holstein (Mikkel Leth Jespersen, S. 241-253), Polen (Maciej Ptaszynski, S. 255-269), Böhmen (Vaclav Buzek, S. 271-291), Ungarn (Andras Koranyi, S. 293-299), den habsburgischen Erbterritorien (Arndt Schreiber, S. 301-316) und den Waldenserpräsenzen im westlichen Alpenbogen (Lothar Vogel, S. 317-331). Erfreulich ist, dass durch die Zusammenfassung der älteren landessprachlichen Forschung zu den unterschiedlichen Gebieten nun auch dem weniger polyglotten Historiker leicht zugängliche Darstellungen zur Verfügung stehen. Im Gesamtbild ähneln die Ergebnisse jenen aus dem Alten Reich: Die Mehrheit der Adligen eines Reichs oder einer Region entschied sich für oder gegen die Reformation, jedoch harrte stets eine unterschiedlich große Minderheit in der entgegengeseteten religiösen Richtung aus. Sichtbar wird auch, wie lange dieses häufig konfliktbeladene Nebeneinander der verschiedenen Konfessionen sich bis zum Vorabend des Dreißigjährigen Kriegs hielt.

Insgesamt bietet der Sammelband die für das Genre typische Mischung aus neuen quellengesättigten Beiträgen und kürzeren Zusammenfassungen älterer Forschungsergebnisse. Beides hat seinen Wert, wobei Impulse für die weitere Niederadelsforschung und die Reformationsgeschichte vor allem von der ersteren Textgattung ausgehen dürften.

By Benjamin Müsegades, Heidelberg

Titel:
Ritterschaft und Reformation (Geschichtliche Landeskunde 75).
Autor/in / Beteiligte Person: Müsegades, Benjamin
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 84 (2020), S. 399-400
Veröffentlichung: 2020
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • RITTERSCHAFT und Reformation (Book)
  • BREUL, Wolfgang
  • ANDERMANN, Kurt
  • REFORMATION
  • NONFICTION
  • Subjects: RITTERSCHAFT und Reformation (Book) BREUL, Wolfgang ANDERMANN, Kurt REFORMATION NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Full Text Word Count: 728

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