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Revolution und Reaktion im Reich. Die Interventionen im Hochstift Lüttich 1789- 1791 (Verhandeln - Verfahren - Entscheiden. Historische Perspektiven 5).

Klesmann, Bernd
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 84 (2020), S. 432-433
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Revolution und Reaktion im Reich. Die Interventionen im Hochstift Lüttich 1789- 1791 (Verhandeln - Verfahren - Entscheiden. Historische Perspektiven 5)  SIMON REUTER: Revolution und Reaktion im Reich. Die Intervention im Hochstift Lüttich 1789-1791 (Verhandeln -- Verfahren -- Entscheiden. Historische Perspektiven 5), Münster: Aschendorff 2019, 444 S. ISBN: 978-3-402-14663-7.

Die Münsteraner Dissertation untersucht die Reaktionen verschiedener Reichsstände auf die Lüt- ticher Revolution von 1789-91. Die Perspektive der neueren Kulturgeschichte des Politischen scheint sich hier beinahe aus dem -- bisher keineswegs unerforschten -- Untersuchungsgegenstand selbst zu ergeben, denn schon den zeitgenössischen Beobachtern war klar, dass es den beteiligten Höfen nicht allein um die Beruhigung der Lage im Fürstbistum Lüttich zu tun war, sondern vor allem um öffentliche Zustimmung für ihre jeweilige Reichspolitik. Die Arbeit überzeugt durch die ebenso souveräne wie akribische Auswertung verschiedener Korrespondenzen der Höfe in Bonn, Mainz, München und natürlich Berlin mit ihren Bevollmächtigten in Münster (Kurköln), Jülich (Kurpfalz/Pfalzbayern), Kleve (Brandenburg/Preußen) und den wechselnden Verhandlungsorten des Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreises. Kenntnisreich und nachvollziehbar wird dargestellt, wie alle Seiten die Wirkung des eigenen politischen Handelns auf der ,Bühne' der Reichsöffentlichkeit zu berücksichtigen und zu berechnen versuchten, wobei ab dem Sommer 1790 (Konvention von Reichenbach am 27. Juli) der Wiener Kaiserhof am erfolgreichsten agierte -- ironischerweise wenige Jahre vor der militärisch erzwungenen Preisgabe des gesamten linksrheinischen Reichsgebiets und dem bald darauf besiegelten Ende des Alten Reiches.

Im Zentrum der Darstellung steht zu Beginn (ab S. 57, ein Personenregister gehört zu den Desideraten des Bandes) mit Christian Wilhelm v. Dohm der berühmteste und zugleich mittelfristig erfolgloseste Akteur des Geschehens. Sein vergeblicher Versuch, durch Zugeständnisse an die rebellierenden Stände Lüttichs zugleich dem Frieden und dem preußischen Hegemonialstreben im Nordwesten des Reiches zu dienen, weckte die diplomatischen Energien u.a. der geistlichen Kurstaaten, denen es schließlich gelang, die Berliner Vermittlungsversuche zu beenden und nach einigen Anlaufschwierigkeiten eine alternative, schließlich durch kaiserliche Truppen erzwungene Lösung durchzuseteen, die im Februar 1791 zur Wiedereinseteung des Fürstbischofs von Lüttich führte. Inwiefern und auf welche Weise dieser Erfolg aus dem komplexen Zusammenspiel der Reichsinstitutionen hervorging, zeigt die Untersuchung in verschiedenen Schritten auf.

Dabei folgt der Vf. einer klassisch chronologischen Gliederung, die aber zugleich einen inhaltlichen Dreischritt verdeutlicht: Ausgehend von einer v.a. verfassungsgeschichtlich operierenden Zusammenfassung der Situation im Hochstift Lüttich stellt ein erster Teil den wachsenden Dissens über das weitere Vorgehen innerhalb des zuständigen Niederrheinisch-Westfälischen Kreisdirekto riums bis zur Desavouierung der preußischen Vermittlungspläne dar. Es folgt eine Schilderung der von Kurköln, Kurpfalz, Kurtrier und Kurmainz im Zusammenspiel mit dem Reichskammergericht orchestrierten, formal abgesicherten Durchführung der Reichsexekution, die ihrerseits bald auf erhebliche politische und logistische Schwierigkeiten stieß. Ein dritter Teil verdeutlicht schließlich die Vorausseteungen für das vergleichsweise pragmatisch organisierte Vorgehen unter der Ägide des neu gewählten Kaisers Leopold II. als Direktor des Burgundischen Reichskreises bis zur Wiederherstellung des Fürstbistums.

Vollständig verständlich wird der Hergang des Geschehens freilich erst aus der Realität des preußisch-österreichischen Dualismus, dessen Bedeutung der Vf. denn auch mehrfach erläutert. Erst das Zweckbündnis von Reichenbach ermöglichte eine vorübergehende Lösung des verfahrenen Problems auf höchster Ebene. Ob der im Anschluss an Barbara Stollberg-Rilinger als Fachbegriff verwendete Terminus der ,Heuchelei', in diesem Fall einer "formalistischen Heuchelei" des preußischen Gesandten Dohm (S. 63) zwecks faktischer Umgehung der Reichsverfassung im Herbst 1789, den komplexen, multikausalen Winkelzügen der europäischen Kabinettsdiplomatie gerecht werden kann, wird die Fachdiskussion erweisen. Der Konflikt um die Beilegung der Unruhen in Lüttich war jedenfalls mehr als ein reiner diplomatischer Stellvertreterkrieg zwischen Berlin und Wien, worauf die reichsrechtliche Perspektive der Arbeit mit ihrer minutiösen Betrachtung der verschiedenen politischen Zentren eindrucksvoll hinweist. Welche Entwicklungen parallel in Paris -- oder auch Brüssel -- vor sich gingen, erfährt der Leser hingegen eher am Rande. Hier könnte eine vergleichende Auswertung der frankophonen Zeitungsberichte und Flugblattliteratur interessant sein, auch im Hinblick auf externe Bewertungen der Reichsverfassung. Die sogenannte ,Sammlung Alff' der Kölner Universitätsbibliothek bietet dazu alle Möglichkeiten. Der politisch versierte Kurfürst von Mainz wird immerhin unter dem 6. Juni 1790 mit der Warnung an Kurpfalz zitiert, der "Geist der Unruhe" in Lüttich bedrohe womöglich auch die Sicherheit des kurrheinischen Reichskreises (S. 238). Die strenge Fokussierung auf das beinahe organisationssoziologische Forschungsthema ohne ständige Seitenblicke über die Grenzen des Reiches hinaus dient hier wohl der -- vorbildlich umgeseteten -- methodischen Kohärenz. In jedem Fall bietet das Buch eine Fülle an über den Einzelfall hinausweisenden Informationen zur Kommunikationsgeschichte der Reichsdiplomatie und eine reiche Fundgrube an wenig beachteten Korrespondenzen und politischen Einschäteungen aus einer entscheidenden Phase der leteten Jahrzehnte des Alten Reiches.

By Bernd Klesmann, Köln/Kaiserslautern

Titel:
Revolution und Reaktion im Reich. Die Interventionen im Hochstift Lüttich 1789- 1791 (Verhandeln - Verfahren - Entscheiden. Historische Perspektiven 5).
Autor/in / Beteiligte Person: Klesmann, Bernd
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 84 (2020), S. 432-433
Veröffentlichung: 2020
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • REVOLUTION und Reaktion im Reich: Die Intervention im Hochstift Luttich 1789-1791 (Book)
  • REUTER, Simon
  • REVOLUTIONS
  • MONASTERIES
  • NONFICTION
  • Subjects: REVOLUTION und Reaktion im Reich: Die Intervention im Hochstift Luttich 1789-1791 (Book) REUTER, Simon REVOLUTIONS MONASTERIES NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Full Text Word Count: 736

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