Die Internationalisierung der Wirtschaft wird gegenwärtig nicht nur von den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften untersucht, sie gehört auch zu den spannendsten Themen der Geschichtswissenschaft, gilt es doch aktuelle Entwicklungen in ihren historischen Kontext einzuordnen und ihre Entstehungsbedingungen tiefergehend zu erkunden. Umso erfreulicher ist es daher, dass sich Ute Engelen und Michael Matheus dieses Themas in einer Langzeitperspektive angenommen haben. Dabei wählen sie einen breiten Begriff der Internationalisierung und orientieren sich an der klassischen Abfolge eines Globalisierungsschubs im leteten Drittel des 19. Jahrhunderts bis 1914, einer De-Internationalisierung in der Zwischenkriegszeit und einer erneut beschleunigten Globalisierung ab den 1970er Jahren. Während diese Einteilung grundsätelich plausibel ist, wirkt die Leitfrage des Bands, ob Unternehmen eher regionale Produzenten oder Global Player waren, recht schlicht. Die Idee, immer zwei Firmen einer Branche vergleichend zu behandeln, um unternehmensübergreifende Parallelen oder voneinander abweichende Prozesse stärker hervortreten zu lassen, ist durchaus überzeugend, doch werden hier zwei Grundprobleme des Bandes sichtbar. Erstens beziehen sich die wenigsten Aufsätee auf ihren jeweiligen Gegenpart, sodass der erkenntnisgewinnende Vergleich letetlich Aufgabe der Herausgeber bleibt; und zweitens stellt sich die Frage, welchen Mehrwert die Konzentration auf rheinland-pfälzische Unternehmen hat. Der Gedanke, Trends der Internationalisierung in Unternehmen des heutigen Rheinland-Pfalz zu untersuchen, verweist im Grunde auf Ideen eines Industriedistrikts, einer irgendwie zusammenhängenden Wirtschaftsregion oder eines regionalen Clusters, doch zum einen beziehen sich die Autoren -- mit Ausnahme von Stefanie van de Kerkhof -- nicht auf derartige Konzepte, zum anderen bleibt auch nach der Lektüre unklar, was das Spezifische für die Region Rheinland-Pfalz war.
Die Einzelbeiträge sind insgesamt wenig systematisch angelegt, verzichten meist auf methodischanalytische Überlegungen und weisen zudem ein höchst unterschiedliches Reflexionsniveau auf. Bärbel Bollinger-Spang zeigt, wie die 1912 gegründete, mittelständische Steinzeugwarenfabrik Spang lange Zeit nur für den deutschen Markt produzierte (S. 19-29), wohingegen der Haushaltskeramikhersteller Richard-Ginori schon im 19. Jahrhundert über einen bedeutenden Auslandsabsate verfügte (Cinzia C a p a l b o , Pia T o s c a n o , S. 31-39). Beide Keramikhersteller produzierten für den Endkonsum und expandierten nur über den Verkauf ins Ausland, allerdings unterschieden sich die Phasen ihrer Internationalisierung deutlich voneinander. Die Darstellung von Jürgen S t e i n e r über die heutige Schott AG betont, dass das Unternehmen aufgrund seiner innovativen Spezialgläser bis 1914 den Großteil seines Umsatees im Ausland erwirtschaftete (S. 41-52). Infolge der beiden Weltkriege brach der Export erheblich ein, doch stieg dieser nach der Neugründung des Glaswerks 1952 wieder merklich an; ab den 1960er Jahren nahm überdies die Zahl ausländischer Produktionsstätten deutlich zu. Das Gegenstück zu Schott bildet das französische Glasunternehmen Saint-Gobain, für dessen Luxusprodukt Spiegelglas der französische Markt ebenfalls zu klein war und das daher, JeanPierre D a v i e t zufolge, ebenfalls schon früh den Weg in den Export wählte (S. 53-62).
Das dritte Paar bilden zwei europäische Sekt- und Champagnerhersteller. Ähnlich wie beim Spiegelglas handelte es sich auch bei französischem Champagner um ein Luxusgut, das am Ende des 19. Jahrhunderts zu Dreiviertel exportiert wurde. Mit dem Ersten Weltkrieg, der Russischen Revolution und der Prohibition in den USA brachen große Absatemärkte weg, dennoch bemühte sich die französische Firma Moet & Chandon ihren Export aufrechteuerhalten. Hierzu bediente sie sich -- insbesondere in den USA -- einschlägiger Markennamen und griff zugleich auf das Vertriebsnete ausländischer Unternehmen wie Henkell zurück. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erwarb Moet & Chandon zudem Weinberge und Firmen im Ausland (Yves Te s s o n, S. 73-86). Auch bei der Mainzer Sektkellerei Kupferberg, die ihren Hauptabsatemarkt in England hatte, erfolgte die Internationalisierung bis zur Gründung eines Tochterunternehmens in der Champagne 1966 ausschließlich über den Export (Matthias Dietz-Lenssen, S. 63-72). Ute E n g e l e n zeigt in ihrem Beitrag über den 1867 gegründeten Wachs- und späteren Haushaltschemieproduzenten Werner & Merte, wie der Hersteller der Schuhcreme Erdal nach dem Zweiten Weltkrieg seine europäischen Tochtergesellschaften verlor, seine Produktion fortan in der Bundesrepublik und Österreich konzentrierte und in den anderen europäischen Staaten Handelsfilialen einrichtete (S. 87-97). Die Vergleichsfolie bilden in diesem Fall die mittelständischen Chemieunternehmen am Niederrhein, die laut Kerkhof als Zulieferer der Textilindustrie entstanden und ihr Geschäft aufgrund von Marktvorteilen international ausweiten konnten (S. 99-113). Den Abschluss bieten zwei Beispiele aus der Lederindustrie (Gerold Bönnen, S. 115-128) und dem Gerbereiwesen (Michael Horchler, S. 129-140). Insgesamt zeigen die Beiträge damit zahlreiche, durchaus anregende Facetten der Internationalisierung auf, deren systematische Aufarbeitung für die Geschichte des 20. Jahrhunderts jedoch immer noch am Anfang steht.
By Christian Marx, München