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„...und wir gehören auch dazu". Universität und ,Volksgemeinschaft' im Ersten Weltkrieg.

Rosin, Philip
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 84 (2020), S. 449-451
Online review

„...und wir gehören auch dazu". Universität und ,Volksgemeinschaft' im Ersten Weltkrieg  TRUDE MAURER: "…und wir gehören auch dazu". Universität und /Volksgemeinschaft' im Ersten Weltkrieg, 2 Bde., Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015, 714 S. und S. 716-1214. ISBN: 978-3-525-33603-8.

Die Geschichte der deutschen Universitäten im Ersten Weltkrieg ist eines der stark vernachlässigten Forschungsthemen der Kriegszeit. Die Studie von Andrea Wettmann zur Universität Marburg 1914-1918 (Andrea Wettmann, Heimatfront Universität. Preußische Hochschulpolitik und die Universität Marburg im Ersten Weltkrieg, Köln 2000) ist eher die berühmte Ausnahme, die die Regel bestätigt. Umso verdienstvoller ist die detaillierte, auf rund 1.200 Seiten und in zwei Bänden verfasste Studie von Trude Maurer zu ,Universität und ,Volksgemeinschaft' im Ersten Weltkrieg', die auf früheren Forschungen der Autorin aufbaut (u.a. Trude Maurer (Hg.), Kollegen, Kommilitonen, Kämpfer. Europäische Universitäten im Ersten Weltkrieg, Stuttgart 2006).

Als Untersuchungsgegenstand wählt Maurer drei treffend ausgesuchte Fallbeispiele: Die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin als (spätestens seit 1871) Hauptstadtuniversität und schließlich prestietigeträchtigste Bildungseinrichtung im Deutschen Kaiserreich, darüber hinaus die nach der Annexion Elsass-Lothringens 1872 neu gegründete Kaiser-Wilhelm-Universität Straßburg sowie zudem die hessische Landesuniversität Gießen, die 1907 ihren 300jährigen Geburtstag beging. Maurer beschreibt anschaulich die Vorgeschichte, indem sie die jeweiligen Universitäten in der Universitätslandschaft des Kaiserreichs verortet und ihre Bedeutung für die Stadtgesellschaften Berlins, Gießens und Straßburgs als Hauptstadt-, Provinz- und Grenzlanduniversität darstellt. Die Absolvierung eines ,Straßburgsemesters' beispielweise im Rahmen ihres Studiums galt vielen auswärtigen Studierenden noch bis ins 20. Jahrhundert hinein "als nationale Pflicht" (S. 73).

Wie also gestaltete sich die "geistige Mobilmachung" mit Blick auf die genannten Universitäten? Maurer plädiert für eine erweiterte Betrachtungsweise, denn "ohne sie [die involvierten Wissenschaftler; P.R.] hätte der Krieg nicht so lange geführt werden können" (S. 12). Nicht die staatliche Ebene stellt die Autorin in den Mittelpunkt, sondern die traditionellen Akteure der Universitätsgeschichte, nämlich die "Studierenden und Lehrenden. Dieses letetlich korporative Selbstverständnis der uni- versitas magistrorum et scholarum dominierte auch noch im Ersten Weltkrieg" (S. 13).

Mit Blick auf den Kriegsausbruch 1914 und das sogenannte ,Augusterlebnis' geht die Autorin auf die neueren Forschungsdiskussionen darüber ein, ob die Kriegsbegeisterung in der deutschen Bevölkerung real war, und plädiert hier zu Recht für einen differenzierten Blick, wobei Sie zugleich betont, dass gerade im akademischen Bildungsbürgertum die Jubelstimmung ausgeprägter war als in anderen Bevölkerungsschichten. Das propagandistische Engagement in Manifesten, Aufrufen und Publikationen vieler Professoren während der Kriegsjahre erklärt Maurer neben innerer Überzeugung und dem Patriotismus der Handelnden auch mit einem gewissen Rechtfertigungsdruck der meist älteren Wissenschaftler, die -- anders als ihre Studenten -- nicht selbst an der Front kämpften und dieses Manko mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln kompensieren wollten. Diesem Gefühl gab im zeittypischen Pathos etwa Max Planck Ausdruck, als er anlässlich des Rektoratswechsels an der Berliner Universität im Herbst 1914 ausführte: Ehre und Ruhm diesen Helden, die freudig, ohne Vorbehalt, ohne Klage, ihr junges hoffnungsreiches Leben für das Vaterland dahingaben; sie haben den köstlichsten Preis errungen! Uns aber, die Zurückgebliebenen, mag wohl ein Gefühl wie das des Neides überkommen, dass es uns nicht auch vergönnt ist, unser Bestes, uns selbst, für das höchste aller irdischen Ideale einzusetzen (S. 251). Mit Zitaten wie diesem vermittelt die Autorin ein anschauliches Bild vom Geist der Zeit und bringt dem Leser aus heutiger Sicht nur schwer nachvollziehbare Denk- und Handlungsweisen näher. Für die Notwendigkeit der Differenzierung plädiert Maurer auch bezogen auf die Frage, welcher Professor welches Manifest (bspw. ,Aufruf an die Kulturwelt'; ,Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches') unterzeichnet hat, beziehungsweise stellt umgekehrt die Frage in den Mittelpunkt, warum mancher Wissenschaftler eben nicht unterschrieben hat, was nur einer physischen Abwesenheit zum Zeitpunkt der Erstellung geschuldet gewesen sein mag oder vielleicht inhaltliche Gründe hatte. Die Hochschullehrer-Erklärung bewusst nicht unterschrieben hat etwa der aus dem Elsass stammende Straßburger Nationalökonom Georg Friedrich Knapp, bei dem gerade von Freiburg nach Berlin gewechselten Friedrich Meinecke ist der Grund für die Nichtunterzeichnung nicht bekannt.

Das eigentliche Kriegsgeschehen der Studenten an der Front wird unter anderem mit Hilfe von Beispielen aus Feldpostbriefen verdeutlicht, die zudem quellenkritisch eingeordnet werden. Die Verlusteahlen bestätigen den Eindruck aus anderen Untersuchungen, wonach der Bluteoll der studentischen Kriegsteilnehmer recht hoch war. Bezogen auf die männlichen Immatrikulierten des Sommersemesters 1914 ergeben sich für Berlin 15,7%, für Straßburg 16,9% und für Gießen 17,1%. Nimmt man stattdessen das Sommersemester 1918 als Bezugspunkt, ergeben sich für Berlin 10,3%, Straßburg 16,1% und Gießen 16,6%. In diesen Zahlen spiegelt sich das -- auch während der Kriegszeit andauernde -- starke Wachstum der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität wider.

Die Studie behandelt ,en detail' alle relevanten Aspekte der Entwicklungen an den drei Universitäten während der Jahre 1914 bis 1918: Von der Entwicklung des Unterrichtsgeschehens über die zunehmende Bedeutung von Studentinnen bis zur Organisation spezieller Hochschulkurse für Studenten an der Front. Auch universitäre Feiern und historische Jubiläen besaßen eine hohe Bedeutung für das Zusammengehörigkeitsgefühl, mit Bismarcks hundertstem Geburtstag 1915 und dem vierhundertjährigen Reformationsjubiläum 1917 mit der Hervorhebung der Persönlichkeit Martin Lu-thers als Eckpfeiler der Erinnerungskultur. Selbst bei solchen rein akademischen Festveranstaltungen ließ sich feststellen: "Der Krieg war allgegenwärtig" (S. 1128).

Frau Trude Maurer ist im April 2017 im Alter von nur 61 Jahren plötelich verstorben. Das vorliegende beeindruckende ,opus magnum' über deutsche Universitäten im Ersten Weltkrieg bleibt ihr Vermächtnis.

By Philip Rosin, Potsdam

Titel:
„...und wir gehören auch dazu". Universität und ,Volksgemeinschaft' im Ersten Weltkrieg.
Autor/in / Beteiligte Person: Rosin, Philip
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 84 (2020), S. 449-451
Veröffentlichung: 2020
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • ...UND wir gehoren auch dazu: Universitat und Volksgemeinschaft' im Ersten Weltkrieg (Book)
  • MAURER, Trude
  • WORLD War I
  • UNIVERSITIES & colleges
  • NONFICTION
  • Subjects: ...UND wir gehoren auch dazu: Universitat und Volksgemeinschaft' im Ersten Weltkrieg (Book) MAURER, Trude WORLD War I UNIVERSITIES & colleges NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Full Text Word Count: 853

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