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Mayen im Rückspiegel. Blicke auf das 20. Jahrhundert, herausgegeben für den Geschichts- und Altertumsverein für Mayen und Umgebung e. V., Mayen: Geschichts- und Altertumsverein für Mayen und Umgebung 2016.

Fäuster, Ulrike
In: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 84 (2020), S. 498-499
Online review

Mayen im Rückspiegel. Blicke auf das 20. Jahrhundert, herausgegeben für den Geschichts- und Altertumsverein für Mayen und Umgebung e. V., Mayen: Geschichts- und Altertumsverein für Mayen und Umgebung 2016  ACHIM KRÜMMEL, HANS SCHÜLLER (Hg.): Mayen im Rückspiegel. Blicke auf das 20. Jahrhundert, herausgegeben für den Geschichts- und Altertumsverein für Mayen und Umgebung e. V., Mayen: Geschichts- und Altertumsverein für Mayen und Umgebung 2016, 339 S. ISBN: 978-3-930821-26-6.

Zum 725jährigen Jubiläum der kleinen Eifelstadt hat der Geschichts- und Altertumsverein für Mayen und Umgebung wiederum (wie 1991) ein Buch aufgelegt: es enthält 13 interessante Beiträge zur Geschichte der Stadt im 20. Jahrhundert.

Die ,gute alte Zeit' war so gut nicht, wie schon der erste Aufsate andeutet (A. Krümmel, S. 1051): Weltkrieg, Weimarer Zeit mit Geldentwertung und Ruhrbeseteung und der passive Widerstand, der auch in Mayen Opfer forderte, Separatisten -- kein guter Anfang für den neuen Staat und die Demokratie. Auch die braune Revolution, die in Mayen so verlief wie anderswo -- Gleichschaltung und scharfe Überwachung -- forderte Opfer. Es gab nur wenige Gegner, doch es gab sie. Zentrumsanhänger wurden überwacht, Bekanntschaft mit der Gestapo machte der Holzhändler Rosenbaum; er galt als Regimegegner, beschäftigte Juden und ließ sich von einem jüdischen Arzt behandeln (Mayen war schließlich doch ,judenfrei') -- schließlich kostete ihn sein Handeln das Leben. Beim Hissen der weißen Fahne 1945 traf ihn eine deutsche Panzerfaust. Der weitere politische Überblick schildert anschaulich Parteien, Wahlen, Affären, bis hin zur Manipulation einer Briefwahl.

Drei Aufsätee beschreiben das Leben nach 1933: Dazu gehören die Geschichte des Eifelvereins (W. Schmid, S. 76-103), die Vorbereitungen für den Luftschute seit 1935 (!) (H. Schüller, S. 104-123) und schließlich das Leben in der ,toten Stadt' (A. Krümmel, 124-141). ,Ein kleines Rädchen in der Maschinerie der großen Volksgemeinschaft'beschreibt anschaulich, wie der Eifelverein ganz und gar in die allumfassende, gleichgeschaltete Gemeinschaft aufgeht. Die Feste fanden selbstverständlich auf ,Wunsch der Bevölkerung' statt, wobei dieser manchmal lediglich vom Kreisleiter der NSDAP geäußert wurde. Die Bunker, vor bzw. während des Krieges gebaut, dienten schließlich regelrecht als ,Wohnung' für die Menschen, die ausgebombt waren, auch noch nach Kriegsende, da Mayen weitgehend zerstört war. Diese Zeit im Bombenkrieg wird teilweise als eigenes Erleben sehr anschaulich geschildert.

Die Erfordernisse der Nachkriegszeit seteten dann die Behörden unter gewaltigen Zeitdruck (H. Schüller, S. 142-171): Versorgung der Bevölkerung in den Hungerjahren, Entschuttung, Enttrümmerung, Instandseteung der wichtigsten Infrastruktur und gleichzeitige Entwicklung einer Stadtplanung mussten quasi gleichzeitig vorangebracht werden. Die wenigen Wagen, die zur Verfügung standen, wurden für die Heranschaffung von Lebensmitteln gebraucht. Daher griff der Bürgermeister auf Gleisbestände eines Pionierparks und von Bauunternehmen der Steinindustrie zurück; mit mehreren Lokomotiven und 60 Loren erwies sich die durch Mayen gebaute Feldbahn als sehr effektives Mittel der Trümmerbeseitigung. Neben Straßen- und Verkehrsführung entwickelte der zuständige Leiter des Bauamtes, Frite Braun, auch Vorgaben für den Wiederaufbau der Häuser. Er war dem Heimatbzw. Heimatschutestil verpflichtet, der regionale Bauweise und Baustoffe berücksichtigte. Dieser Stil bestimmte den Wiederaufbau, wobei neue Technik zur Steinbearbeitung mehr Möglichkeiten bei der Verwendung des Baumaterials bot. Aber es gab auch Kritiker, Architekten der modernen Schule wie Oswald Ungers, aber auch Geschäftsleute, die einfach größere Schaufenster wollten. Braun musste sich sogar den Vorwurf ,Naziarchitektur' gefallen lassen, wiewohl der Heimatschutestil schon zu Beginn des Jahrhunderts beschrieben wurde und durchaus interessante Gebäudegestaltungen hervorgebracht hat. Ein Beispiel ist Freudenstadt im Schwarzwald. Aber auch die ,modernen' Architekturvorgaben der späten fünfziger bis sechziger Jahre mit ihren Vorstellungen zur autogerechten Stadt müssen sich gewaltige Kritik gefallen lassen.

Ein anderes politisches Thema wird in dem Aufsate über die Auflösung des Kreises Mayen aufgearbeitet. ,Der Bürgeraufstand' (A. Krümmel, S. 304-321) schildert das massive Engagement gegen die Auflösung, die nicht verhindert werden konnte, aber der Stadt Mayen einige weitere Institutionen als Ersate brachte.

Verschiedene Beiträge schildern das kulturelle Leben in der Stadt, wie Dialektpflege (H. Olbert, S. 172-183), Literatur, Musikgruppen, Malerei (B.C. Oesterwind, S. 202-221) und nicht zuletet das Töpfergewerbe (L. Grunwald, S. 184-201), das eine lange Tradition in Mayen hat, aber nach dem Krieg in Vergessenheit geraten war. Nach 1960 entwickelte sich mit mehreren Werkstätten in Mayen eine Künstlerszene, die mit Gebrauchs- und Kunstgegenständen die alte Tradition wiederaufleben ließe. Auch der ,Blätterwald' und seine Entwicklung bleibt nicht unberücksichtigt P. K o 11, H. Schüller, S. 254-281). Die Entstehung und Entwicklung des Eifelmuseums ist ein weiteres Beispiel (B.C. O e s t e r w i n d , S. 222-253), wie das Interesse an der heimischen Kultur sich manifestierte und weiterentwickelte. Ein großer Schritt war der Einzug des Museums in die Genovevaburg 1920. Nach dem Krieg entwickelte sich das Museum zu einem Themenmuseum für die Eifel, mit Außenstellen und schließlich sogar Forschungsstellen des Römisch-Germanischen Zentralmuseums. Dabei hatte alles mit Raubgrabungen angefangen. Nachdem es in bürgerlichen Kreisen ,modern' geworden war, Antikensammlungen anzulegen und Besuchern zu zeigen, rückte man im Rheinland oft zum sonntäglichen ,Urnenstechen' mit anschließendem Picknick aus. Man plünderte antike Grabhügel und verscherbelte die Gegenstände, ein lukratives Geschäft, das von Sammlern angeheizt wurde. Dadurch wurden viele Grabungszusammenhänge zerstört. Schließlich sammelten neuentstandene Geschichts- und Altertumsvereine mit, um den Ausverkauf der Artefakte zu verhindern, bis endlich die Grabungen gesetelich geregelt wurden. Hier liegen auch die Anfänge des Eifelvereins.

Schließlich beschäftigt sich ein Beitrag noch mit Wetterphänomenen im 20. Jahrhundert, mit Warmphasen, Kälteeinbrüchen, Eis- und Schneekatastrophen und Hochwassern -- ein Bericht, der viel Vergessenes in Erinnerung bringt und sicherlich im Zuge der derzeitigen Klimadebatte auf Interesse stößt (W. Zäck, S. 282-303).

Last not least schildert ein Beitrag die Lebenswege einer Reihe von Persönlichkeiten, die in Mayen geboren wurden oder zumindest einige Jahre dort verbracht haben (H. Olbert, S. 52-75). Darunter finden sich Berühmtheiten wie Gustav Gründgens, der in Mayen die Schule besuchte, aber auch nur am Ort bekannte, wie die Lehrerin Philippine Anna Mehl, die bereits 1905 eine private Handelsschule für Mädchen gründete, um Mädchen eine weiterführende Berufsausbildung zu bieten. Eine beeindruckende Persönlichkeit, der immer wieder Steine in den Weg gelegt wurden, bis sie hochgeachtet verstarb. Unter den Mayener Fotografen nimmt Heinrich Pieroth einen besonderen Plate ein: seine Bilder stellen eine wichtige Dokumentation der heute schon weitgehend vergessenen Lebenswelt unserer Vorfahren dar. Auch ein Mayener Original, der Zuckertoni, das am unteren Ende der gesellschaftlichen Skala existierte, wird gewürdigt. Bilder vom ihm finden sich in vielen Mayener Haushalten. Auch ein Kölner Original verbrachte einige Zeit in Mayen: Peter Müller, fünfmaliger deutscher Meister im Boxen, unvergessen wegen seiner Sprüche sowie eines besonderen Knockouts: Wegen einer Beleidigung beförderte er den Schiedsrichter mit einem rechten Haken zu Boden und bezwang auch die Sekundanten. Die erste jedoch in dieser alphabetisch aufgereihten Liste von Persönlichkeiten ist der Ehrenbürger, Schauspieler und Autor Mario Adorf, der immer wieder den Ort seiner Kindheit und Jugend besucht. Einen besseren Werbeträger kann man sich nicht vorstellen.

Der Band ist mit vielen aussagekräftigen Fotos reich bebildert und gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier.

By Ulrike Fäuster, Solingen

Titel:
Mayen im Rückspiegel. Blicke auf das 20. Jahrhundert, herausgegeben für den Geschichts- und Altertumsverein für Mayen und Umgebung e. V., Mayen: Geschichts- und Altertumsverein für Mayen und Umgebung 2016.
Autor/in / Beteiligte Person: Fäuster, Ulrike
Link:
Zeitschrift: Rheinische Vierteljahrsblatter, Jg. 84 (2020), S. 498-499
Veröffentlichung: 2020
Medientyp: review
ISSN: 0035-4473 (print)
Schlagwort:
  • MAYEN im Ruckspiegel. Blicke auf das 20. Jahrhundert, herausgegeben fur den Geschichts- und Altertumsverein fur Mayen und Umgebung e. V., Mayen: Geschichts- und Altertumsverein fur Mayen und Umgebung 2016 (Book)
  • KRUMMEL, Achim
  • SCHULLER, Hans
  • GERMAN history
  • NONFICTION
  • Subjects: MAYEN im Ruckspiegel. Blicke auf das 20. Jahrhundert, herausgegeben fur den Geschichts- und Altertumsverein fur Mayen und Umgebung e. V., Mayen: Geschichts- und Altertumsverein fur Mayen und Umgebung 2016 (Book) KRUMMEL, Achim SCHULLER, Hans GERMAN history NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Full Text Word Count: 1122

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