John Morrissey, Amalfi – Moderne im Mittelalter. Expansion, Interaktion, Akkulturation. Globalhistorische Skizzen, Bd. 36. 2020 Mandelbaum Verlag Wien, 978-3-85476-860-9, € 22,–
Mit seiner mittelalterlichen Geschichte Amalfis hat John Morrissey, der bereits mit Arbeiten zu Venedig und Pisa hervorgetreten ist, eine beeindruckende Studie vorgelegt, in der er die soziale, ökonomische und politische Entwicklung des kosmopolitischen Gemeinwesens mitsamt seines Umlands, der Costiera Amalfitana, über neun Jahrhunderte nachzeichnet. Der Schwerpunkt liegt zunächst auf der Wirtschaftsgeschichte, geprägt von der geschickten Nutzung natürlicher Ressourcen und Produkte, die weiten Absatz im Mittelmeerraum fanden. Die schwierigen naturräumlichen Gegebenheiten führten im Vergleich mit anderen Regionen zu gesteigerter sozialer Mobilität und weniger ausgeprägter Hierarchisierung, da sie einer allzu starken Konzentration von Macht und Kapital entgegenwirkten und besondere Kooperationsformen hervorbrachten (S. 46).
Anschließend widmet sich Morrissey dem politischen System, das aufgrund der ambivalenten Verhältnisse zu den Nachbarn von Konflikten und Parteienbildung innerhalb Amalfis und der umliegenden Orte geprägt war. Mit dem Netzwerk der Stadt eröffnet sich eine den gesamten Mittelmeerraum umspannende Perspektive, die von al-Andalus über Nordafrika bis nach Syrien reicht. Wie der Verfasser herausarbeitet, bildeten das ausgedehnte Handelsnetz und die wechselvolle Geschichte der Region die Basis eines Kultur- und Wissenstransfers, der unter anderem langobardische, normannische, byzantinische und islamische Einflüsse umfasste. Aus ihnen gingen innovative Entwicklungen, etwa in Städtebau und öffentlicher Repräsentation, ebenso hervor wie technische Errungenschaften bei Schiffsbau und Navigation (S. 183).
Die vielfach vertretene Darstellung vom allmählichen Abstieg der Handelsgroßmacht, unter anderem begründet mit der vermeintlichen decadenza der Amalfitaner und ihrer fehlenden Partizipation an den Kreuzzügen, relativiert Morrissey überzeugend. Vielmehr habe der Bedeutungsgewinn der oberitalienischen Kommunen seit dem späten 11. Jahrhundert, verursacht durch den Übergang zu einer zunehmend ausbeuterischen Wirtschaftspolitik und das ökonomische Wachstum nördlich der Alpen und am Atlantik, zu einer Verschiebung des Handelsnetzwerks geführt und damit die Mittlerrolle Amalfis beeinträchtigt (S. 198–205). Zugleich plädiert er dafür, derartige Erzählmuster um Aspekte der Alltagsgeschichte wie die Lebensbedingungen der Unterschichten zu erweitern, um der komplexen und dynamischen Entwicklung Amalfis Rechnung zu tragen (S. 233).
Das Werk besticht durch seinen charmanten und unterhaltsamen Stil, der es für ein breites Publikum prädestiniert, obschon die oftmals ausgelassenen Prädikate es teils umgangssprachlich wirken lassen. Aufgrund seiner profunden Kenntnisse amalfitanischer Lebensart gelingt es Morrissey, vielfältige mittelalterliche Spuren in der heutigen Kultur der Costiera und des Mittelmeerraums und damit geradezu wortwörtlich die Moderne im Mittelalter aufzuzeigen. Fünf Karten und ein ausführliches Literaturverzeichnis runden den Band ab.
By Daniel Gneckow
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