Sebastian-Manès Sprute, Weltzeit im Kolonialstaat. Kolonialismus, Globalisierung und die Implementierung der europäischen Zeitkultur in Senegal, 1880–1920. 2020 Transcript Verlag Bielefeld, 978-3-8376-5192-8, € 58,–
In dieser an der Humboldt-Universität zu Berlin vorgelegten Dissertation geht es um die Durchsetzung europäischer Zeitordnung im kolonial dominierten Senegal. Untersucht wird, inwiefern Zeitauffassungen, Zeitregime und auf zeitgenauer Übertragung beruhende Kommunikation das Kolonialprojekt spezifisch strukturierten. Zunächst stellt der Autor die Vielzahl und Vielheit der historiographischen Bezüge dar, die im Rahmen einer solchen Arbeit herzustellen sind. Eindringlich betont er, dass seine Herangehensweise eine kulturwissenschaftliche sei, ohne jedoch im Detail auszuführen, was er darunter versteht und wie sich dies auf seine Befunde auswirkt.
Beginnend mit einer ausführlichen Darstellung rassistisch geprägter, hauptsächlich aus Romanen und Reiseberichten abgeleiteter Vorstellungswelten über Afrika und dessen Zeitlichkeit hebt der Autor langzeithistorisch angelegte Vorurteile gegenüber der vermeintlich fehlenden Arbeitswilligkeit der kolonisierten Bevölkerung hervor, die das französische Kolonialprojekt in Senegal prägten. Die Grundzüge der kolonialen Durchdringung Senegals werden ausführlich dargelegt, bevor ein konkreter Bezug zum Thema „Weltzeit", wie im Buchtitel angekündigt, hergestellt wird. Denn im Zuge einer zentralistisch-diffusionistischen Raumordnung wurden als integraler Bestandteil des Kolonialisierungsprozesses Raumgliederungen aus der Metropole auf die Kolonie übertragen, um Kontrolle zu erlangen. Raumhierarchisierungen korrespondierten mit vermeintlichen zivilisatorischen Abstufungen, die zeitlich gedacht wurden. So galt kolonialer Raum als dichotomisch unterteilt in (städtische) Moderne und (ländliches) Altertum, wobei den auf diese Weise getrennten Sphären jeweils eigene Wertigkeiten zugewiesen wurden.
Aufschlussreich sind die Ausführungen, wie die Praxis von Zwangsarbeit und Auffassungen von Arbeitszeit ineinandergriffen: Die Ausbeutung der Zeit der kolonialen Arbeiter führte eben nicht zur ökonomischen Aufwertung der Kolonie, sondern verlangsamte Entwicklung, behinderte gar die industrielle Entwicklung und damit die Aneignung industrieller Arbeitsdisziplin. In der Kolonie setzte sich ein uhrzeitgenaues Handeln nicht durch, zumal es starke konkurrierende Zeitregime gab. Denn Auffassungen von Zeit und Rhythmus waren durch den Islam geprägt oder durch saisonale Arbeitsmigration und Tätigkeiten in der Landwirtschaft. Der Autor rekonstruiert den idealtypischen Verlauf eines kolonialen Wochenzyklus, der zwar nicht eingehalten wurde, aber dennoch normierende Wirkung entfaltete.
Einen Preis für gelungene Formulierungen gewinnt das Buch nicht. „Die die Grenzen der Differenzierung zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten partiell verwischende gesellschaftliche Hierarchisierung und Stratifikation verweist darüber hinaus darauf, dass alle urbanen Bevölkerungsgruppen in unterschiedlichem Maße an uhrzeitspezifischen Handlungsgesellschaften und der Nutzung präziser zeitlicher Standards teilhatten, was die Vielfalt und Hybridität der individuellen und gruppenspezifischen Auseinandersetzungen mit Zeitordnungen und die daraus resultierenden Variation der von Einzelnen und Gruppen tatsächlich verfolgten zeitlichen Referenzsysteme und Handlungspraxen erheblich vergrößert" (S. 277). Sätze wie dieser durchziehen den Text und machen die Lektüre mühsam.
Zu hinterfragen sind die Motive, die den Verlag dazu verleitet haben, ein derart irritierendes Motiv auf das Buchcover zu setzen. Dort sitzt ein Kleinkind, wenig bekleidet, im Schneidersitz. Der Blick des Betrachters wird auf die krausen Haare gelenkt, nicht etwa auf die glitzernde Armbanduhr, die das Kind trägt und auf die im Verlauf des Textes auch überhaupt nicht eingegangen wird. Der Hinweis zur Umschlagabbildung, dass das Covermotiv einem kolonialen Blickregime entspringe und rassistische und diskriminierende Stereotype darstelle, erklärt nicht, warum ein Verlag überhaupt auf ein solches Bild zurückgreifen muss – zumal im Text Alternativen wie beispielsweise verschiedene Uhreninstallationen an Moscheen abgebildet und thematisiert werden.
By Kirsten Rüther
Reported by Author