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Smarte Hydraulik und Pneumatik haben Zukunft.

In: Produktion, 2021-04-14, S. 4-5
Online serialPeriodical

Smarte Hydraulik und Pneumatik haben Zukunft 

Digitalisierung, Vernetzung, Industrie 4.0 – für Fluidik kein Problem mehr. Sie fügt sich nahtlos ein in die smarte Fabrik der Zukunft. Nebenbei wird sie auch noch deutlich energieeffizienter und benutzerfreundlicher

Michael PyperProduktion Nr. 05 , 2021

Landsberg (sm). Was erwarten die Anwender von der Industriehydraulik der Zukunft? Bosch Rexroth befragte in einer Marktstudie zur Digitalisierung Technik-Entscheider unterschiedlicher Branchen und Regionen. Dr. Steffen Haack, Leiter der Geschäftseinheit Industrial Hydraulics, fasst zusammen: „Sie setzen auf eine durchgängige Digitalisierung ihrer Arbeitsabläufe und wünschen sich einbaufertige Module, die sich einfach und schnell in Betrieb nehmen lassen. Betreiber erwarten vor allem minimale Ausfallzeiten und haben konkrete Anforderungen zu Condition Monitoring, Predictive Maintenance und dem Ersatzteilmanagement."

Den Trend bestätigt Axel Schwerdtfeger, Chief Technical Officer (CTO) bei Hawe Hydraulik. Die Industrie sei auf einem guten Weg, das Thema Digitalisierung vollziehe gerade den Wechsel vom Trend zum Stand der Technik. „Das Erfassen, Errechnen und Aufbereiten von Systemdaten sowie das Ermöglichen einer einfachen Installation, Inbetriebnahme und störungsfreien Betriebs wird dadurch vereinfacht oder sogar erst möglich." So brachte Hawe beispielsweise neue Kompaktpumpenaggregate heraus, die über eine integrierte Sensorik verfügen. Via Edge Computing lassen sich aggregierte Zustandsinformationen gewinnen und die Daten an übergeordnete Maschinensteuerungen oder Cloudlösungen weitergeben. Noch bleiben die Daten zu Hause. Zwar übernähmen, so Haack, internationale Produktionsnetzwerke eine Vorreiterrolle, aber „derzeit sehen wir in der Fläche einen eindeutigen Trend zur Verarbeitung der Daten in Private Clouds on Premises oder on Edge." Informationen werden dabei an vor Ort installierte Rechner übergeben. Das reiche für die Optimierung der Prozesse, verringere aber gleichzeitig die Sicherheitsrisiken. Wie auch immer die Daten fließen, die Fluidtechnik müsse sich absolut nahtlos in die Automatisierungsinfrastruktur eingliedern, ist Georg Winkes überzeugt. Er leitet die Entwicklung bei W.E.St. Elektronik. Winkes: „Dies ist nur zu erreichen durch die konsequente Einbindung hydraulischer Regler in Feldbussysteme und die Digitalisierung von Schnittstellen im Allgemeinen, beispielsweise über IO–Link. W.E.St.-Ge-schäfts--führer Thomas Helpenstein ergänzt, dass die Flut an bereitgestellten Daten allerdings auch analysiert und verwertet werden müsse. Erst dann könnten sie helfen, die Anlagenverfügbarkeit zu erhöhen, Abläufe bei der Konstruktion der nächsten Maschine zu optimieren oder Zusammenhänge von Ereignissen wie Ausfälle an Sensoren und Aktoren zu erkennen. Das Ziel dabei heißt: „Verkürzte Stillstandszeiten und dementsprechend höhere Produktivität". Stichwort Sensorik: Jeder zusätzliche Sensor kostet Geld und stellt ein weiteres Ausfallrisiko dar. Doch sie sind gar nicht immer nötig. Viele Informationen lassen sich aus den ohnehin erfassten Größen mit entsprechender Software ableiten. Dierk Peitsmeyer, Leiter Product Portfolio bei Bu-cher Hydraulics, erklärt: „Mit wenigen Sensoren und den vorhanden Daten aus dem Antriebsregler bzw. Umrichter kann der Zustand des Subsystems mittels Software gut analysiert werden." Das setze allerdings entsprechendes Expertenwissen voraus, das sich in der Software abbilden muss. Konkrete Beispiele nennt Georg Winkes: So berechne ein Achsregler ohnehin den kumulierten Verfahrweg einer Achse. „Daraus lassen sich Rückschlüsse auf die restliche Standzeit der Dichtungen ziehen." Ein Pumpenregler ermittele die Häufigkeit, mit der verschiedene Drücke und Volumenströme gefahren werden. Das lasse sich „nutzen für eine Analyse der Systemauslegung und eine Optimierung der Betriebsweise." Und Regler erkennen Instabilitäten im Regelkreis, die dann Alarm schlagen können.

Auf eine Mischung aus ohnehin vorhandenen Größen und Sensorik setzt auch Moog Industrial. Dr.-Ing. Dirk Becher ist dort Engineering Manager. Er führt als Beispiel die neuen elekrohydrostatischen Antriebssysteme (EAS) seines Hauses an: „In einem EAS sind Sensoren für die Drehzahl der Pumpe, das Fördervolumen, die Betriebsdrücke, die Temperatur und damit Viskosität der Hydraulikflüssigkeit, die Position und Geschwindigkeit des hydraulischen Zylinders bereits integriert. Dazu kommen Informationen auf der elektrischen Seite aus dem Drive, die Rückschlüsse auf das Drehmoment des Motors zulassen." Zusammen ermögliche das ein Condition Monitoring der Pumpeneinheit und von Teilen der gesamten Achse. „Allein über Software-Funktionalität können wir so einen Mehrwert für den Kunden erzeugen." Auf die Möglichkeit, bestehende Anlagen für mehr Informationen mit Sensorpaketen nachzurüsten, weist Stefan Zauner hin. Der Produktmanager bei Tox Pressotechnik sieht massive Vorteile für den Anwender: „Die Funktion und Position aller Komponenten werden durch den Einsatz verschiedener Sensoren komplett überwacht und in Echtzeit an übergeordnete Systeme weitergeleitet. Zum einen kann er so seine Prozesse einfacher optimieren, zum anderen auftretende Probleme in seinen Anlagen frühzeitig erkennen und unmittelbar darauf reagieren." Hydraulikzylinder werden, da sind sich die befragten Experten einig, aufgrund der Kräfte und Robustheit nicht zu ersetzen sein. Allerdings: „Die Regelung, Steuerung und Überwachung muss energieeffizienter, effektiver und einfacher für den Anwender werden", mahnt Dierk Peitsmeyer. Mit dezentraler Intelligenz ausgestattet, spiele die Antriebstechnologie – hydraulisch oder elektromechanisch – für die Bedienung keine Rolle mehr. „Beide sind mit den gleichen physikalischen Größen Beschleunigung, Geschwindigkeit, Weg und Kraft ansteuerbar oder führen die Trajektorie selbsttätig aus." Eine dezentrale Hydraulik benötige auch keine aufwendige Hydraulikinfrastruktur mehr. Sie biete zudem eine vergleichbar hohe Energieeffizienz wie elektromechanische Antriebstechnik. Schon zündet die Fluidtechnik die nächste Entwicklungsstufe: Künstliche Intelligenz (KI). Konkrete Schritte in diese Richtung unternimmt bereits Festo. Dr. Michael Hoffmeister ist Experte für das Digital Engineering des Pneumatikspezialisten. So bilden KI-Methoden die Grundlage für ‚AX Maintenance'. „Anwender verringern ungeplante Stillstände in ihrer Produktion durch Nutzung intelligenter Algorithmen, die vorhersagen, wann Ausfälle an Komponenten und Maschinen zu erwarten sind", so Hoffmeister. Hierfür würden die Normalzustände einer Anwendung oder einer Komponente mithilfe von KI-Algorithmen eingelernt. Abweichungen ließen sich dadurch frühzeitig erkennen und mit Empfehlungen für Korrekturmaßnahmen weiterleiten. Hoffmeister beschreibt ein Beispiel aus der Praxis: „Ein pneumatisches Spannsystem kostet einen Automobilhersteller gerade einmal 100 Euro, ein unvorhergesehener Stillstand in der Produktion jedoch mehrere 100 000 Euro. Die Einbindung eines Frühwarnsystems für Verschleiß und Verlangsamung von Zykluszeiten war für den Automobilhersteller die Lösung." Dieses lernende System bilde die Basis für die vorausschauende Instandhaltung.

Hydraulik hat weiterhin Zukunft

Überzeugt von der Zukunftsfähigkeit der Hydraulik ist Prof. Dr.-Ing. Marcus Geimer vom Institut für Fahrzeugsystemtechnik des Karlsruher Institut für Technologie: „Die Hydraulik hat nach wie vor ihre Stärken in der hohen Energiedichte, der stufenlosen Verstellbarkeit und der einfachen Steuer- und Regelbarkeit. Ein Kran auf einem Forwarder, der Arm eines Baggers oder die kompakten Linearantriebe eines Kommunalfahrzeugs kann ich mir nicht ohne hydraulische Antriebe vorstellen. Auch sogenannte elektrische Kompakt-Linearachsen nutzen ja die hydraulische Antriebstechnik. Sicherlich wird sich die Antriebstechnik ändern, beispielsweise durch hoch integrierte elektrische und hydraulische Antriebe. Auch die Steuerungsmöglichkeiten mit Methoden der Künstlichen Intelligenz wie dem Maschinellen Lernen können in hydraulischen Antrieben nutzbringend eingesetzt werden. Einen besonderen Vorteil dieser Methoden sehe ich im Predictive Maintenance, indem beispielsweise Komponenten erst dann ausgetauscht werden, wenn es notwendig ist oder schädigungsrelevante Belastungen detektiert und/oder vermieden werden."

VDMA treibt smarte Fluidtechnik voran

Auch Fluidtechnikprodukte müssen digitalisiert und vernetzt werden. Anwender erwarten ein Höchstmaß an Interoperabilität, sprich einfaches Plug & Play. Ermöglichen soll das nach Plänen des VDMA Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau ein harmonisierter Schnittstellenstandard auf Basis der OPC-UA-Technologie. Die Informationsmodellierung definiert Produktmerkmale und Produktionsvariablen, um Produkte digital abzubilden. Sie kann über OPC-UA-Companion-Specifications oder über Merkmalslisten erfolgen. Der fluidtechnische digitale Zwilling wird über genormte Merkmale in der Verwaltungsschale erzeugt. Bis zu sechs Arbeitsgruppen bei ISO, ECLASS und direkt im -VDMA treiben diese Entwicklung voran. Gemeinsam mit dem ZVEI hat der VDMA kürzlich außerdem die Industrial Digital Twin Association (IDTA) gegründet, um den digitalen Zwilling zu implementieren und Interoperabilität über Geschäftsbereiche hinweg zu realisieren. Hinzu kommt seit 1. März 2021 die Arbeitsgemeinschaft Wireless Communications for Machines (WCM) für die drahtlosen Kommunikationstechnologien.

„Interoperabilität und digitale Wertschöpfung im Umfeld von Industrie 4.0 ermöglichen der deu...

KI am Start

Graph: „Die Verlagerung von Funktionen aus der Hydromechanik in die Software eröffnen sowohl für den Maschinenbauer als auch für den Anwender erhebliche Vorteile. Maschinenhersteller können durch die Digitalisierung ihrer Arbeitsabläufe ihre Time-to-Market erheblich verkürzen und schneller kundenspezifische Lösungen realisieren." Dr. Steffen Haack, Bosch Rexroth

Graph: „Dezentrale, intelligente Antriebe kommunizieren in physikalischen Größen via Ethernet und können Motion-Abläufe selbstständig ausführen. Condition Monitoring wird lokal vorverarbeitet, und nur wichtige Resultate werden weitergeleitet. Die übergeordnete Steuerung orchestriert die Anlage und der Datenbus wird entlastet."

Graph: Dierk Peitsmeyer, Bucher Hydraulics

Graph: „Je früher sich Maschinen- und Anlagenbauer sowie Betreiber für digitale Produkte entscheiden, desto größeren Nutzen haben sie. So können beispielsweise Maschinen- und Anlagenbauer mit dem Handling Guide Online oder anderen Produktkonfiguratoren ihre Time-to-Market – bezogen auf die eingebauten Handhabungssysteme – um rund 70 Prozent verkürzen." Dr. Michael Hoffmeister, Festo.

Graph: Hartmut Rauen, Geschäftsführer der VDMA-Fachbereiche Antriebstechnik und Fluidik

Graph: Elektrohydrostatische Antriebssysteme sind kompakte Alternativen zu herkömmlichen hydraulischen oder elektromechanischen Antriebssystemen: Das EAS von Moog ist ein hochmodulares Antriebssystem mit elektrohydrostatischer Pumpeneinheit, Servoregler, Steuerblöcken und optionalem Zylinder. Bild: Moog

Graph: Kleiner geht es kaum noch: das neue Doppelpumpenelement Typ DMPE von Hawe, ein hydraulischer Zweistufenantrieb in der Größe 34 x 30 x 32 Zentimeter. Bild: Hawe

Graph: Das Motion Terminal VTEM ist eines der ersten Produkte der Industrie 4.0-Ära von Festo für die Pneumatik: Mit neuen Funktionen über Apps können Maschinenentwickler einen Basis-Maschinentyp erstellen und je nach Auswahl der Apps diese Maschine mit unterschiedlichen Funktionen und Ausprägungen nach Kundenwunsch ausstatten. Bild: Festo

Graph: Neue Entwicklungsstufe des hydraulischen Linearantriebs: CytroForce von Bosch Rexroth verdichtet bisher raumgreifende Aufbauten zu einer intelligenten Kompaktachse für Kraft-, Bewegungs- und Positionieraufgaben. Bild: Bosch Rexroth

Graph: Digitaler Wartungsmanager von Festo für Produktionsleiter und Anlagenbediener: Mit der App ‚Smartenance' können Endkunden die Anlagenwartung terminieren, nachverfolgen und auswerten. Bild: Festo

Graph: Schon zündet die Fluidtechnik die nächste Entwicklungsstufe: Künstliche Intelligenz

Graph: Bild: VDMA / Salome Roessler

Graph: Bild: KIT

Graph: Bild: Bosch Rexroth/Wolfram Scheible

Graph: Bild: Bucher Hydraulics

Graph: Bild: Festo

Titel:
Smarte Hydraulik und Pneumatik haben Zukunft.
Zeitschrift: Produktion, 2021-04-14, S. 4-5
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: serialPeriodical
ISSN: 0344-6166 (print)
Schlagwort:
  • WINKES, Georg
  • HYDRAULICS
  • PNEUMATICS
  • INDUSTRIAL engineering
  • DIGITIZATION
  • Subjects: WINKES, Georg HYDRAULICS PNEUMATICS INDUSTRIAL engineering DIGITIZATION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Alternate Title: Smart hydraulics and pneumatics have a future.
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Full Text Word Count: 1525

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