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1870–1945. Weltmärkte und Weltkriege.

Epkenhans, Michael
In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 80 (2021-05-01), Heft 1, S. 151-154
Online review

1870–1945. Weltmärkte und Weltkriege. Hrsg. von Emily S. Rosenberg, München: C. H. Beck 2012, 1152 S. (= Geschichte der Welt / A History of the World), EUR 48,00 [ISBN 978‑3‑406‑64105‑3] 

1870–1945. Weltmärkte und Weltkriege. Hrsg. von Emily S. Rosenberg, München : C. H. Beck 2012, 1152 S. (= Geschichte der Welt / A History of the World), EUR 48,00 [ISBN 978‑3‑406‑64105‑3]

Die Globalisierung mir ihren Auswirkungen auf Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, aber auch auf Natur und – zuletzt – auf die Gesundheit der Menschen ist seit vielen Jahren ein »heiß« diskutiertes Thema. Inzwischen ist es jedoch eine »Binsenwahrheit«, dass die Globalisierung kein neues Phänomen ist. Schaut man genauer hin, dann wird deutlich, dass die Globalisierung fast so alt ist wie die Geschichte der Menschheit. Von jeher haben Menschen versucht, durch Handel über die eigene Region hinaus Waren oder neue Technologien auszutauschen und damit zugleich den eigenen Wohlstand zu wahren oder zu mehren. Damit einher gingen von Anfang »Wanderungen«, sei es, um in entfernteren Gegenden sein »Glück« zu suchen, weil die Lebensgrundlagen zuhause sich verschlechtert hatten, sei es, weil Menschen vertrieben wurden oder flüchten mussten. Aber auch die politischen Implikationen von Globalisierung sollten nicht vergessen werden. Die Verbreitung von Ideen wie Demokratie und Kommunismus oder die Unterwerfung der Welt durch die Europäer unter dem Vorwand der Missionierung und Zivilisierung indigener Völker mit ihren schrecklichen Folgen gehören ebenfalls in diesen Kontext.

Diese und viele andere Aspekte der »Globalisierung« sind Themen einer insgesamt sechsbändigen »Geschichte der Welt«, die mit der Zeit um 600 v. Chr. beginnt und deren fünfter Band hier vorzustellen ist. Dieser behandelt unter der Überschrift »Weltmärkte und Weltkriege« die Zeit von 1870 bis 1945. Der Zeitrahmen ist aber keineswegs starr. Die sechs Autorinnen und Autoren Charles S. Maier, Tony Ballantyne und Antoinette Burton, Dirk Hoerder, Steven C. Topik und Allen Wells sowie die Herausgeberin selbst, Emily S. Rosenberg, schauen in ihren jeweiligen Beiträgen stets auch mal mehr, mal weniger weit zurück bzw. nach vorne. Damit wollen sie dort, wo notwendig, längere Linien aufzeigen.

Worum geht es den Autorinnen und Autoren nun genau? Die Herausgeberin beantwortet diese Frage gleich zu Beginn: Es geht darum, die »stärkere globale Vernetzung« sowie »die Erregung und Angst, Hoffnung und Gewalt«, die das »komplizierte Gemisch namens Moderne« kennzeichneten, zu beschreiben und zu analysieren (S. 9 f.).

Es ist wohltuend, dass die Autorinnen und Autoren in ihrem Band nicht den Anspruch erheben, eine »Metatheorie« für die Geschichte der von ihnen gewählten Epoche vorzulegen. Stattdessen orientieren sie sich an der »aktuellen Forschung« und betonen das »Prozesshafte und Ungleichmäßige des Wandels, der sich im Rahmen von Austausch und Relationalität vollzieht und nicht durch eindimensionale, übergreifende Faktoren vorangetrieben wird« (S. 11).

Damit verknüpft ist der Wille, die verbindenden Merkmale der jeweiligen Kapitel herauszuarbeiten, welche die Epoche charakterisieren: das Schrumpfen von Zeit und Raum infolge der Revolution im Kommunikations- und Verkehrswesen, die damit einhergehende Beschleunigung der Mobilität von Menschen, Gütern und Ideen; die Hegemonialmacht des Westens unter Systemen moderner Staatlichkeit und Imperialismus; die Überschneidungen und gemeinsamen Konstruktionen des Globalen und des Lokalen; die immer wichtiger werdende Rolle globaler Städte; die Ausbreitung von Technologien der Massenproduktion und des Massenkonsums; die Macht des Nationalismus und rassistischer Ideologien und deren Infragestellungen; die beispiellose Gewalt, die neue Herrschaftsformen und effizientere Tötungsmethoden so gut wie in jedem Erdteil brachten.

Wie fruchtbar dieses Vorgehen ist, zeigt Charles S. Maier in seinem Abschnitt über den Aufstieg des »Leviathan 2.0«. Beginnend mit den Instabilitäten des 18. Jahrhunderts, zeichnet er aus globaler Perspektive die politischen Entwicklungen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges nach. Der Prozess der Staatsbildung, so eine seiner zentralen Thesen, war »ansteckend«, denn die Staaten wurden nicht nur in einem kompetitiven globalen Universum umgestaltet, sondern auch als Reaktion auf bestimmte interne Kräftespiele. Unter Hinweis auf den Einfluss lokaler Honoratioren warnt Maier jedoch davor, die Macht des Staates zu überschätzen. Als Ergebnis der Krisen des 20. Jahrhunderts wie auch der »Wirren« der Weltkriege seien am Ende der Epoche nur noch wenige Varianten des »modernen« Staates übrig geblieben: der Wohlfahrtsstaat, der Einparteienstaat nach sowjetischem Muster, und Regierungen, die von modernisierungstheoretischen Militärregimen beherrscht wurden. Die Veränderungsimpulse der Globalisierung seit den 1970 Jahren, vor allem aber die damit verknüpfte Mobilität des Kapitals und die Rechtfertigungen für neu gestaltete Formen transnationaler Wirtschaftsmacht hätten diese Modelle jedoch zunehmend infrage gestellt.

Ein Kennzeichen der Epoche der »Globalität« sind die »Imperien«. Diesem Thema widmen sich Tony Ballantyne und Antoinette Burton. In drei großen Abschnitten zeichnen sie die »Reterritorialisierung von Imperien« (S. 308), deren Willen, die Welt neu zu gestalten, sowie das Wechselspiel von globalen Imperien und transnationalen Verbindungen nach. Die Gestaltung der Räume durch Militäreinrichtungen, Missionsstationen, Arbeitsplätze und Haushalte, aber auch die Konflikte um die Organisation und die Nutzung von Räumen sowie den Zusammenhang von Technologie, Industrie und imperialer Organisationsstruktur nehmen sie kritisch in den Blick. Es ist schon, um ein Beispiel zu geben, faszinierend zu lesen, was die Autorin und der Autor über die Rolle von Eisenbahnen und Hafenstädten, aber auch über Widerstand, Klasse und Status, Rasse und Ethnizität aus imperialer und globaler Perspektive schreiben.

Die übrigen drei Kapitel befassen sich mit einer Welt in »Bewegung«: Migrationsbewegungen, Warenketten einer globalen Wirtschaft sowie transnationalen Strömungen in einer Welt, die zusammenrückt. So zeigt Dirk Hoerder Umfang und Folgen der »Bevölkerungsströme« auf, den Kolonialismus und veränderte Wirtschaftsbeziehungen, Kriege, Krisen und gezielte Vertreibungen, aber auch den Willen von Millionen Menschen, ihren kleinräumigen Verhältnissen zu entfliehen. Es geht Hoerder jedoch nicht darum, eine weitere Migrationsgeschichte zu schreiben. Schwerpunkt seines Beitrags ist vielmehr der Versuch, die »prozesshaften Strukturen« von Migrationen in den Blick zu nehmen, in denen Männer wie Frauen ihr Leben lebten. Art, Verlauf und Umfang der »Akkulturation« spielen für ihn daher eine zentrale Rolle.

Mit Waren und Warenströmen befassen sich Steven C. Toppik und Allen Wells. In beeindruckender Weise zeigen sie beispielsweise die vielen Aspekte des Weizenhandels auf. Dieser beeinflusste nicht nur die Entstehung von Terminmärkten und den Bau von Eisenbahnen oder die Mechanisierung der Landwirtschaft. Er hatte vielmehr auch großen Einfluss auf die Entwicklung anderer Bereiche: Die Notwendigkeit der Verpackung der Getreidekörner beförderte den Anbau von Jute in Indien, von Hanf auf den Philippinen und von Sisal in Yucatán. Tee, Kaffee und Kautschuk sind weitere Beispiele für das Entstehen von Warenketten, aber auch für das Entstehen neuer »Vermittlungsebenen« – Mittelsmännern, Transporteuren, verarbeitendem Gewerbe, Werbung und Einzelhändlern. Mit ihrer Beschreibung und Analyse zeigen die Autoren auf, wie sich die weltweite Zirkulation von Agrar‑ und Industrieproduktion beschleunigte und damit auch Produktion und Konsum in vielfältiger Weise beeinflusste.

Emily S. Rosenberg schließlich zeigt in fünf Abschnitten die Bedeutung transnationaler Strömungen in einer zusammenrückenden Welt auf. Dazu zählt sie den »Internationalismus«, soziale Netzwerke und ihre Verstrickungen, Ausstellungen als Knotenpunkte, Expertennetzwerke von Ingenieuren, Wissenschaftlern und Heilern, aber auch »spektakuläre Strömungen« wie Abenteurer, Shows und Konsumrausch. Dieser Ansatz mag auf den ersten Blick etwas »fremd« klingen, bei näherem Hinsehen gelingt es ihr aber, deutlich zu machen, dass »Homogenisierung und Differenzierung, das Globale und das Lokale, Trans‑ oder Internationalismus und Nationalismus, Vernunft und Spektakel« (S. 31) keine Gegensatzpaare sind, sondern sich ergänzen und in einem schöpferischen Spannungsverhältnis zueinander stehen.

Zieht man am Ende die Summe aus diesen Beiträgen, dann kann man nur großes Lob aussprechen. Auch wenn manches sicherlich schon vorher bekannt war, so ist es doch gerade der globale Blick auf die Übergänge und Verbindungen des im Wandel begriffenen industriell-kommerziell-imperialen Zeitalters, der unser Wissen vergrößert und den Leser vor pauschalen Urteilen über Entwicklungen jenseits der eigenen Grenzen zurückschrecken lässt. Viele Entwicklungen sind aus dieser Perspektive eben doch komplizierter, als sie durch die enge, nationale Brille zu sein scheinen. Wir alle sind schon seit langer Zeit Nutznießer, aber auch Verlierer eines unumkehrbaren Globalisierungsprozesses. Dies mag man beklagen. Die Beiträge zeigen aber, dass man diesen Prozess auch in positivem Sinne gestalten kann. Die damit verbundenen Chancen sollten wir nutzen.

By Michael Epkenhans

Reported by Author

Titel:
1870–1945. Weltmärkte und Weltkriege.
Autor/in / Beteiligte Person: Epkenhans, Michael
Link:
Zeitschrift: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 80 (2021-05-01), Heft 1, S. 151-154
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 2193-2336 (print)
DOI: 10.1515/mgzs-2021-0012
Schlagwort:
  • 1870-1945. Weltmarkte und Weltkriege (Book)
  • ROSENBERG, Emily S.
  • MILITARY history
  • MILITARY science
  • NONFICTION
  • Subjects: 1870-1945. Weltmarkte und Weltkriege (Book) ROSENBERG, Emily S. MILITARY history MILITARY science NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Bardowick, Germany
  • Full Text Word Count: 1291

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