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West Germany and the Iron Curtain. Environment, Economy, and Culture in the Borderlands.

Koller, Christian
In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 80 (2021-05-01), Heft 1, S. 232-234
Online review

Astrid M. Eckert, West Germany and the Iron Curtain. Environment, Economy, and Culture in the Borderlands, Oxford, New York, Oxford University Press 2019, XV, 422 S., $ 99.00 [ISBN 978‑0‑19‑069005‑2] 

Der innerdeutsche »Eiserne Vorhang« wird im öffentlichen Bewusstsein stark mit der Berliner Mauer und den zahlreichen geglückten, erfolglosen oder gar tödlich endenden Fluchtversuchen von Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik assoziiert. Das anzuzeigende Buch erzählt eine andere Geschichte. Es fokussiert auf die sich von Lübeck bis Hof ziehende innerdeutsche Grenze und die westdeutschen Grenzgebiete, deren Geschichte im Kalten Krieg aus einer wirtschafts‑, kultur‑ und vor allem umwelthistorischen Perspektive analysiert wird. Die Verfasserin, Astrid M. Eckert, hat für diese Studie eine beeindruckende Menge an Archivmaterial ausgewertet. Neben den Akten auf Regierungsebene der beiden deutschen Staaten wurden auch die Länder‑ und Regionalarchive der ehemaligen westdeutschen Grenzregionen konsultiert.

Die ersten beiden Hauptteile befassen sich mit der Entstehung und der wirtschaftlichen Situation der Grenzgebiete. Zwischen 1945 und 1952 wurde die anfängliche Demarkationslinie zwischen den Besatzungszonen zunächst zur Grenze zwischen zwei Währungsgebieten, dann zu einer (nur von der einen Seite als solche betrachteten) Staatsgrenze und schließlich zum militärisch befestigten und vom Rest des DDR-Territoriums durch Sonderzonen abgetrennten »Eisernen Vorhang«. Zahlreiche wirtschaftliche und auch familiäre Beziehungen wurden dadurch unterbrochen und die – wirtschaftlich recht heterogenen – westdeutschen Grenzgebiete konstituierten sich zum unterstützungsbedürftigen »Osten des Westens«. Ab den frühen 1950er Jahren entstand eine gut vernetzte Lobby, welche die Grenzregionen als wirtschaftlich benachteiligt darzustellen vermochte, und mit der »Zonenrandförderung« startete ein Hilfsprogramm, das das wirtschaftliche und kulturelle Leben der Grenzgebiete bis zum Ende der deutschen Teilung stark prägen sollte. Ab 1990 verschob sich der Förderfokus dann nach Osten: Die »Zonenrandförderung« mutierte zum »Aufbau Ost«.

Der dritte Hauptteil analysiert den bemerkenswerten westlichen Grenztourismus. Bereits in den 1950er Jahren wurde der »Eiserne Vorhang« zu einer Touristenattraktion, was zum Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur führte, wie etwa Aussichtsplattformen, von denen aus ein Blick nach »drüben« möglich war. Postkarten zeigten Checkpoints und ostdeutsche Grenzanlagen und beschworen die Wiedervereinigung. Während die Bundesrepublik diesen Tourismus als Mittel zur politischen Erziehung im Sinne von Antikommunismus und Vereinigungsforderung nutzte, wurde seitens der DDR der Tourismus aus dem Westen als Provokation empfunden.

Die folgenden drei Kapitel befassen sich mit umwelthistorischen Gesichtspunkten, die von der bisherigen Forschung nur punktuell beachtet worden sind. Zunächst werden Probleme grenzüberschreitender Umweltverschmutzung diskutiert. Seit den 1970er Jahren wurden sowohl die Gewässerverschmutzung durch ostdeutsche Industrieanlagen etwa in der Werra wie auch durch den Wind in beiden Richtungen über die Grenze getragene Immissionen zu einem Zankapfel. Erst 1987 gelangten die beiden deutschen Staaten zu Umweltabkommen, um diese Probleme gemeinsam anzupacken. Während diese Vorgänge die westdeutschen Behörden mit dem Ausmaß der Umweltprobleme in der DDR konfrontierten, wurden sie kaum als Indikator für die desolate wirtschaftliche Verfassung des ostdeutschen Staates wahrgenommen.

Die speziellen ökologischen Bedingungen um die innerdeutsche Grenze herum wurden nach der Wiedervereinigung mit dem Projekt des »Grünen Bandes« allgemein bekannt. Die Verfasserin zeigt überzeugend auf, dass die Auswirkungen der – in erster Linie militärischen – Grenzlinie auf Flora und Fauna sehr vielfältig waren und weder von einheitlich schädlichen noch von einheitlich naturerhaltenden Konsequenzen gesprochen werden kann. Zur Charakterisierung der besonderen ökologischen Situation in den Grenzregionen schlägt sie den Terminus »transboundary natures« vor. Diese wurden von westdeutschen Umweltschützerinnen und -schützern seit den späten 1970er Jahren als Landschaften gesehen, die durch ihre spezielle Lage von den menschlichen Eingriffen verschont blieben, wie sie im Rest der Bundesrepublik die Naturlandschaften bedrohten. Damit wurde die Imagination des »Grünen Bandes« bereits vor dem Kollaps der DDR vorweggenommen.

Das letzte Kapitel schließlich befasst sich mit dem seit den späten 1970er Jahren von Bundes‑ und Landesregierung vorangetriebenen atomaren Endlagerprojekt Gorleben. Die Planung dieser Anlage wurzelte letztlich noch in der Denkweise der 1950er Jahre von der Notwendigkeit industrieller Förderung des Grenzgebiets. Die massiven Proteste der westdeutschen Anti-AKW-Bewegung spielten sich hier unmittelbar vor dem Hintergrund der DDR-Grenze ab, teilweise sogar im dem Zugriff der westdeutschen Polizei entzogenen No Man's Land zwischen der Demarkationslinie und den DDR-Befestigungsanlagen. In der DDR-Führung wurden die Endlagerpläne zunehmend als ein Versuch der Bundesrepublik gesehen, die Sicherheitsrisiken so weit als möglich auf den östlichen Nachbarn abzuwälzen.

Insgesamt hat die Verfasserin eine quellengesättigte Studie vorgelegt, die verschiedene bekannte, aber auch weniger bekannte Aspekte der Geschichte des westdeutschen Grenzlandes im Kalten Krieg zu einem interessanten Gesamtbild verwebt, das die deutsch-deutsche Geschichte definitiv um verschiedene relevante Aspekte bereichert.

By Christian Koller

Reported by Author

Titel:
West Germany and the Iron Curtain. Environment, Economy, and Culture in the Borderlands.
Autor/in / Beteiligte Person: Koller, Christian
Link:
Zeitschrift: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Jg. 80 (2021-05-01), Heft 1, S. 232-234
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: review
ISSN: 2193-2336 (print)
DOI: 10.1515/mgzs-2021-0037
Schlagwort:
  • WEST Germany & the Iron Curtain: Environment, Economy & Culture in the Borderlands (Book)
  • ECKERT, Astrid M.
  • CULTURE
  • ECONOMIC conditions in West Germany
  • NONFICTION
  • Subjects: WEST Germany & the Iron Curtain: Environment, Economy & Culture in the Borderlands (Book) ECKERT, Astrid M. CULTURE ECONOMIC conditions in West Germany NONFICTION
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Book Review
  • Author Affiliations: 1 = Zürich, Switzerland
  • Full Text Word Count: 722

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