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Zum Verhältnis von Interaktion, Organisation und Gesellschaft in der Therwiler Handschlag-Affäre. Eine systemtheoretische Analyse.

Walthert, Rafael ; Frank, Katharina ; et al.
In: Zeitschrift für Religionswissenschaft, Jg. 29 (2021-05-01), Heft 1, S. 16-38
Online academicJournal

Zum Verhältnis von Interaktion, Organisation und Gesellschaft in der Therwiler Handschlag-Affäre. Eine systemtheoretische Analyse 

Der Beitrag baut auf Niklas Luhmanns Unterscheidung zwischen verschiedenen Typen sozialer Systeme auf, nämlich Interaktionen, Organisationen und einer durch funktionale Teilsysteme strukturierten Gesellschaft. Auf dieser Basis wird der Fall zweier Schüler in einer Schweizer Sekundarschule analysiert, die ihren Lehrerinnen mit religiöser Begründung den Handschlag verweigerten. Gezeigt wird, wie dieses Ereignis von verschiedenen Systemtypen als Problem bearbeitet und jeweils unterschiedlich beobachtet wurde, wobei speziell auch die Frage nach dem Stellenwert des Teilsystems Religion gestellt wird. Insbesondere der Zeitbedarf und der Stellenwert schriftlicher Kommunikation der verschiedenen Systeme erweisen sich als Faktoren, über die sich die unterschiedliche Rolle verschiedener Systemtypen in der Affäre verstehen lässt. Religion beeinflusste zunächst zwar die Interaktion im Klassenzimmer, schließlich fungierte sie aber eher als Thema von Recht, Politik und Massenmedien, als dass sich religiöse Kommunikation über den ursprünglichen Interaktionszusammenhang hinaus als einflussreich erwiesen hätte.

This paper attempts to explain the trajectory of the so-called "handshake affair" of Therwil (Switzerland) with a special focus on the role of religion, drawing on the work of the sociologist Niklas Luhmann. With his distinction between three types of social systems, Luhmann offers a tool for the analysis of the case in question: The first type of systems, interactions, like the encounters in which the refusal of the handshake took place, consists of communications between people that are co-present. The second type, organizations, are characterized by specified purposes, decision-making processes and formal membership. The third type, society, is the all-encompassing system which is structured by functional subsystems like politics, law or religion. The case in question shows, that once these societal subsystems became involved, organizations and especially interactions lost influence on the way the issue was handled. Further, the analysis shows that religion, although a subsystem of society, had only a minor influence on the debate. Factors explaining these results are the amount of time needed by the different systems and the degree they rely on face-to-face interaction.

Keywords: Systemtheorie; Interaktion; Organisation; Religion; Luhmann; system theory; interaction; organisation; religion; Niklas Luhmann

1 Einleitung

[1]Die Verweigerung eines Händeschüttelns in einer Schule in Therwil, einer Kleinstadt in der Nordwestschweiz, regte landesweite Diskussionen an. Die sich entwickelnde Debatte um diese kurze Interaktion, ihre Implikationen und in diesem Zusammenhang zu treffende Maßnahmen involvierte eine Vielzahl von Akteuren und dies in ganz unterschiedlichen Kontexten: Die Verweigerung selbst geschah im Rahmen einer Interaktion im Klassenzimmer, in Sitzungen innerhalb der Organisation Schule wurden Entscheidungen in der Angelegenheit getroffen, sie wurde in Parlamenten und Gerichten debattiert und in den Massenmedien wurde darüber informiert. Für das wissenschaftliche Verstehen des Falles ist die Frage entscheidend, wie es zum Einbezug der verschiedenen Ebenen kam und wie diese Ebenen ineinandergreifen.

Eine von Luhmanns Systemtheorie angeleitete Analyse kann dabei helfen, diese Verschiedenheit von involvierten Zusammenhängen in den Blick zu nehmen. Grundlage dafür ist die Unterscheidung zwischen verschiedenen Typen von sozialen Systemen, nämlich Interaktion, Organisation und Gesellschaft, die durch gesellschaftliche Teilsysteme wie Politik, Wirtschaft oder Religion strukturiert ist. Je nachdem, welchem dieser Typen ein System zugehört, das in die Handschlag-Affäre Eingang fand, zeigen sich andere Arten des Umgangs mit der Thematik und andere Formen von Einfluss auf die Debatte.

Die folgende Argumentation erfolgt aus einer ausschließlich systemtheoretischen Perspektive, um einen möglichst distinkten Beitrag zu den hier versammelten Untersuchungen der Therwiler Handschlag-Affäre zu erbringen. Zuerst gilt es, in Abschnitt 2 der Frage nachzugehen, wie Niklas Luhmann folgend die Differenzierung zwischen Interaktion, Organisation und Gesellschaft beschaffen ist. Im darauffolgenden Abschnitt 3 wird die Rolle dieser drei Systemtypen im Fall Therwil in je einem Abschnitt analysiert: Nach der Interaktion (Unterabschnitt 3.1) und der Organisation (3.2) wird die Rolle verschiedener gesellschaftlicher Teilsysteme analysiert (3.3), namentlich Recht, Politik, Erziehung, Massenmedien und Religion. Für das Unterfangen dieses Beitrages leitend ist die Frage, wieso die Ereignisse den beobachteten Verlauf genommen haben und was sich dabei über die spezifischen Charakteristiken der Typen – und nicht zuletzt die Rolle des Teilsystems Religion – lernen lässt.

2 Interaktion, Organisation und Gesellschaft als Typen sozialer Systeme

Soziale Systeme bestehen gemäß Luhmann aus Kommunikation, und Gesellschaft ist die Menge aller Kommunikation: „Gesellschaft ist [...] das umfassende Sozialsystem, das alles Soziale in sich einschließt und infolgedessen keine soziale Umwelt kennt." (Luhmann 1984, 555). In dieser Menge differenzieren sich verschiedene Typen von Systemen heraus. Prominent ist bei Luhmann insbesondere die funktionale Differenzierung wie Recht, Politik, Religion usw. in verschiedene Teilsysteme. Ebenfalls bedeutsam ist jedoch auch eine weitere Differenzierung, nämlich diejenige in Interaktion und Organisation, die zwar Teile der Gesellschaft sind, jedoch zunehmend eigenständige Einheiten innerhalb der Gesellschaft darstellen.

Wie unterscheiden sich Interaktionssysteme von anderen Kommunikationsformen? Sie stellen spezifische Bedingungen an Kommunikation:

„Interaktionssysteme kommen dadurch zustande, dass Anwesende sich wechselseitig wahrnehmen." (Luhmann 2005 a, 10; Hervorhebungen weggelassen)

Die Grenzen eines Interaktionssystems werden durch körperliche Anwesenheit bestimmt. Wer in der Kommunikation als anwesend behandelt wird, dem oder der kann Kommunikation in einer Interaktion zugerechnet werden, d. h. er oder sie kann als teilnehmende Person der Interaktion identifiziert werden.

Interaktionssysteme dürfte es schon immer gegeben haben. Geändert hat sich jedoch ihr Verhältnis zur Gesamtheit aller Kommunikation, zur Gesellschaft. Luhmann (z. B. 1987) zeigt auf, wie sich Interaktionssysteme zunehmend von der Gesellschaft entkoppelten. Zentral ist für eine solche Argumentation, dass die Unterscheidung zwischen Interaktion und Gesellschaft kein analytisches Konstrukt des beobachtenden Wissenschaftlers darstellt, was beispielsweise bei der Unterscheidung der sozialen Welt in eine Mikro- und Makroebene oft gedacht wird (vgl. z. B. Alexander und Giesen 1987). Die Unterscheidung ist Luhmann folgend vielmehr kein zeitloses Charakteristikum des Sozialen, sondern das Ergebnis einer zunehmenden Ausdifferenzierung moderner Gesellschaft. Gerade im Rahmen der funktionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft wird auch die Differenz zwischen Interaktion und Gesellschaft größer. Während beispielsweise die von Durkheim (1994) beschriebenen Stammesgesellschaften stark durch alltägliche Interaktionen und rituell erzeugte Kopräsenz geprägt waren, basieren funktional ausdifferenzierte Teilsysteme immer weniger auf Kommunikation, die als Interaktion stattfindet: So werden Preise nicht mehr in der Interaktion zwischen Verkäufer und Käufer am Marktstand, sondern über die Aushandlung an global operierenden Rohstoffbörsen festgelegt. Wissenschaftliche Wahrheit wird nicht in Interaktionen wie z. B. Debatten während Tagungen definiert, sondern über schriftliche Kommunikation – beispielsweise in Zeitschriftenartikeln wie dem vorliegenden. Müssten die funktionalen Teilsysteme, die die Gesellschaft gemäß Luhmann prägen, im Rahmen von Interaktionen stattfinden, beispielsweise Wissenschaft nur auf Tagungen, wäre das erreichbare Komplexitätsniveau weit geringer. Die moderne Gesellschaft, die durch funktional ausdifferenzierte Teilsysteme strukturiert ist, ist damit von einzelnen Interaktionen wenig tangiert. Eine Kommune mag durch eine Schlägerei zerrüttet werden, die moderne Gesellschaft nicht. Dies bedeutet auch, dass Interaktionen von übergreifenden gesellschaftlichen Strukturierungen entlastet werden: Am Marktstand kann über anderes als Preise gesprochen werden, auf Tagungen über Anderes als Wahrheit. An der Börse wiederum kann man sich nur über Preise verständigen. Interaktionen gibt es für Luhmann freilich auch in der modernen Gesellschaft, diese wird aber nicht mehr, wie es beispielsweise Durkheim für die Aborigines noch vorsah, hauptsächlich unter Bedingungen der Kopräsenz, d. h. durch Interaktionen, reproduziert.

Diskutiert Luhmann die Differenzierung von Interaktion und Gesellschaft, verweist er auf einen weiteren Typus von sozialen Systemen, der gewissermaßen zwischen ihnen liegt: Organisation. Dieser Typ gewinnt mit zunehmender Komplexität der Gesellschaft an Relevanz. Er lässt sich weder auf Gesellschaft noch auf Interaktion zurückführen (vgl. Luhmann 2005 a, 13). Gemäß Luhmann (2005b, 394) handelt es sich bei Organisationen um Systeme, die aus Entscheidungen bestehen und diese wechselseitig miteinander verknüpfen. Gegenstand von Entscheidungen ist auch die Zugehörigkeit, die in Form von Mitgliedschaft an bestimmte Bedingungen geknüpft wird. Die Formalisierung dieser Entscheidungen ermöglicht eine gewisse Unabhängigkeit von den jeweiligen Verhaltensmotiven der Mitglieder. Diese Entkopplung von den momentanen Motivlagen ermöglicht dem System eine für Organisationssysteme typische Stabilität.

Entlang dieser drei Typen von sozialen Systemen, Interaktion, Organisation und Gesellschaft ist die folgende Analyse der Handschlag-Affäre strukturiert.

3 Die Unterlassung eines Handschlags und die Typen sozialer Systeme

3.1 Interaktion zwischen Lehrerin und Schüler

Ausgangspunkt der Handschlagdebatte stellte eine Interaktion dar, sie soll dementsprechend auch als erstes untersucht werden: Sie bestand darin, dass zwei Schüler sich „weigerten [...], ihren Lehrerinnen zur Begrüßung und Verabschiedung die Hand zu geben." (Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft 16.5.2017) Damit scheinen sie gegen eine übliche Handlungsweise verstoßen zu haben, die im Händeschütteln zwischen den SchülerInnen und den LehrerInnen besteht. Die Lehrerin dürfte die Schüler in der Situation nach einer Begründung für ihre Unterlassung gefragt haben, worauf die Schüler religiöse Argumente anführten (vgl. Blick TV 12.4.2016).

Wie lässt sich dies systemtheoretisch analysieren? Durch den Vorgang des Händeschüttelns wird die Beteiligung an der Interaktion und die Anerkennung dieser Beteiligung durch andere sichtbar markiert. Damit stellt er ein konstitutives Moment der Kommunikation als Interaktion dar, die, wie gezeigt, als Systemtyp auf der Anerkennung von Anwesenheit beruht. Entsprechend sind die Beteiligten mit Erwartungen hinsichtlich ihrer Beteiligung am Handschlag konfrontiert. Damit an die Kommunikation von Anwesenheit reibungslos angeknüpft werden kann, müssen diese in der Kommunikation mitlaufenden Erwartungen eingelöst werden können.

Die Kommunikation des alltäglichen Händeschüttelns lässt sich dabei einem bestimmten Modus der Kommunikation zuordnen: Dass die Erwartungen sich an einem Normalfall ausrichten, der ohne Nachfragen oder Diskussion funktioniert, weist darauf hin, dass es sich beim Handschlag um ritualisierte Kommunikation handelt. Es werden damit kaum Möglichkeiten für Selektionen von Informationen oder Mitteilungen eröffnet, beide werden in die Relevanz des Befolgens der rituellen Notwendigkeiten überführt, die das einzige Kriterium für erfolgreiche rituelle Kommunikation darstellt. Es geht darum „Fehler mit schwerwiegenden Folgen zu vermeiden." (Luhmann 1998, 235–236) In Luhmanns Worten ist eine solche Begrüßung damit auch als Kommunikationsvermeidungskommunikation (und ihre Verweigerung möglicherweise als Kommunikationsvermeidungskommunikationsvermeidung) zu bezeichnen, denn die Befolgung der Vorgaben verunmöglicht anderweitige Kommunikation oder macht sie zumindest unnötig.

Fügen sich körperlich anwesende Personen nicht in diesen Kommunikationsablauf ein, stellt dies einen Verstoß gegen die Verhaltenserwartungen dar, entlang derer das ritualisierte Kommunikationssystem im Normalfall operiert. Als ein solcher Verstoß führte die Handschlagverweigerung zur Mitteilung der entsprechenden Irritation durch die Lehrerin im Interaktionssystem, was wiederum die verbale Begründung des Schülers nach sich zog, wonach seine Weigerung religiös motiviert sei. Somit wurde die Missachtung der Erwartungen zum Thema und nicht als ein bloßes Versehen in der Interaktion identifiziert. Dies eröffnete die Möglichkeiten für den Rekurs auf religiöse Festlegungen und Werte sowie moralische Diskussionen über Achtung/Missachtung.

Der Fall zeigt auch, dass es unterschiedliche Formen der Kommunikation von Anwesenheit gibt, denn auch das Gespräch über die Verweigerung und, falls sie als Selektion wahrgenommen wird, bereits die Verweigerung selbst, stellen Interaktionen dar und bestätigen die gegenseitige Wahrnehmung der Anwesenheit. Die ritualisierte Form dieser Bestätigung wurde jedoch durch die Handschlagverweigerung außer Kraft gesetzt, gerade deshalb wird der Verweigernde in seiner offensichtlich gewordenen nicht-konformen Anwesenheit Adressat für die explizite Einforderung davon, die Anwesenheit im selben Modus wie die anderen zu bestätigen.

Eine Diskussion im Anschluss an die Enttäuschung der Verhaltenserwartungen wäre zeitraubend gewesen und hätte aufgrund der Sequentialität von Interaktionen – die nächsten SchülerInnen warteten wohl bereits auf ihren Handschlag – alle weiteren Interaktionen aufgehalten. Damit auch im Falle einer Enttäuschung der erwartete Verlauf der Interaktion, das Schütteln der Hände anderer und die Schulstunde, fortgesetzt werden konnte, ist deshalb anzunehmen, dass die Verweigerung nach einer kurzen Thematisierung nicht mehr Gegenstand der Interaktion war. Die Lehrerin fuhr mit dem Händeschütteln in gewohnter Weise bei anderen SchülerInnen fort. Damit wurde das Problem aus der Interaktion verbannt und mit der Kommunikation in Form von Kommunikationsvermeidungskommunikation fortgefahren.

Aus der Enttäuschung der Erwartungen, deren Wiederholung sich abzeichnete und die verschiedene Lehrerinnen betraf, scheint sich allerdings ein Bedarf an Diskussionen und Begründungen ergeben zu haben, mit denen versucht werden konnte, die Erwartungssicherheit wiederherzustellen. Diese Aushandlung musste jedoch in spezifisch dafür erzeugten Interaktionssituationen stattfinden, insbesondere in Verhandlungen zwischen den Schülern, den involvierten Lehrerinnen und der Schulleitung. Deren Durchführung konnte dabei nicht als Realisierung einer Gewohnheit stattfinden, sondern aufgrund der Entscheidung einer Organisation. Damit wurde ein anderer Typ von sozialem System wichtig, die Organisation.

3.2 Organisation

In der hier untersuchten Affäre waren verschiedene Organisationen involviert. Als erstes war die Sekundarschule Therwil gefordert: Ob sich SchülerInnen und LehrerInnen vor Unterrichtsbeginn die Hand schütteln oder nicht, unterscheidet sich von Schule zu Schule. Entsprechend war die Schule gefragt, den Brauch bzw. seine Unterlassung durch Entscheidungen zu steuern.

Organisationen stellen, wie bereits ausgeführt, entscheidungsbasierte soziale Systeme dar (Luhmann 2005 b, 394), die sich durch Mitgliedschaft, Zweck, Hierarchie und diesbezügliche Entscheidungsautonomie auszeichnen (Kühl 2011, 16–88). Zu den Mitgliedern der Sekundarschule Therwil zählten das Lehrpersonal sowie die Schulleitung. Hierarchisch steht dabei die Schulleitung dem Lehrpersonal vor. Auch Schülerinnen und Schüler sind als Mitglieder der Organisation Schule zu bezeichnen. Diese Mitgliedschaft ist jedoch nur eingeschränkt Gegenstand von Entscheidung: Sofern Kinder und Jugendliche keine Privatschule besuchen oder ein von den Behörden bewilligtes Homeschooling absolvieren, sind sie verpflichtet, in die öffentliche Schule zu gehen. So gesehen kann die Schule als „Zwangsorganisation" bezeichnet werden (vgl. Apelt und Tacke 2012). Auch kommt die Zuteilung der SchülerInnen zu einer bestimmten Klasse nicht auf Wunsch der Eltern zustande.

Diese „Zwangssituation" ist im vorliegenden Fall in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung: Die beiden Jugendlichen konnten nicht in Klassen wechseln, in denen nur männliche Lehrkräfte unterrichteten (sofern solche überhaupt existierten), und sie konnten auch nicht an eine andere staatliche Schule wechseln, in welcher der Lehrkraft die Hand zu Beginn des Unterrichts nicht gereicht wird.

3.2.1 Regelverstoß und Entscheidung der Organisation

Da es keine schriftlichen Regelungen des Handschüttelns oder Regelungen von Sanktionen bei entsprechenden Verstößen gab, auf die die Organisation bei Entscheidungen verweisen konnte, finden sich unterschiedliche Wege der Entscheidungsfindung und -legitimierung: Die Schulleitung als hierarchisch höchste Ebene der Sekundarschule suchte das Gespräch, also eine Interaktion, mit allen Beteiligten: Eltern, Schüler, Lehrkräfte sowie die Schulleitung setzten sich an einen Tisch. Wie der Rektor im Interview erläuterte, habe die Schule in diesem Gespräch begründet, weshalb sie das Handreichen als wichtigen Wert betrachte. Damit beruft er sich auf einen Zweck, wie er sich im Leitbild der Schule wiederfindet und gibt indirekt zu bedenken, dass das Nicht-Händereichen für die Schule einen Regelverstoß bedeutet. Bei Verstößen gegen Regeln kann eine Organisation Sanktionen beschließen. Ein Ausschluss, für Organisationen ein probates Sanktionsmittel, war aufgrund des Mitgliedschaftszwanges für die Schule Therwil jedoch kaum eine Option. Bestrafungen wie Schulverweis oder eine Geldbuße wurden diskutiert, aber nicht vollzogen, weil sie als unverhältnismäßig eingeschätzt wurden.

Die Parteien, so führte der Rektor später aus, hätten nach der Darlegung ihrer Perspektiven die mündliche Vereinbarung getroffen, dass die beiden Schüler in Zukunft weder Lehrerinnen noch Lehrern die Hand reichten. Damit sei die Geschlechterdiskriminierung beseitigt, denn die beiden Schüler würden auch männlichen Lehrkräften die Hand nicht mehr geben. Der Rektor stellte den Entscheid als Kompromiss dar. Die Schulleitung hat also mit Rekurs auf Zwecke der Schule (gegenseitiger Respekt, Anliegen ernst nehmen) entschieden, dass sich alle Mitglieder an der Entscheidungsfindung beteiligen müssen und die gemeinsam erarbeitete Vereinbarung Gültigkeit haben soll. Darüber hinaus traf die Schulleitung aber noch eine weitere Entscheidung, die eine Ausweitung des Falls anstieß.

3.2.2 Zwei Organisationen und das Recht als Drittsystem

Die Schulleitung wandte sich im Anschluss an das Gespräch mit den Beteiligten an die Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion BKSD des Kantons und fragte diese, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn der Kanton Leitlinien im Umgang mit solchen Situationen bereitstellte. Mit der örtlichen Sekundarschule und dem BKSD trafen zwei Organisationen aufeinander. Gemäß Kneer (2001, 418ff.) findet die Kommunikation zwischen Systemen, also auch zweier Organisationen, in Drittsystemen statt. Damit beantwortet Kneer (2001, 413) die in Luhmanns Theorie angelegte Frage, wie Organisationen autopoietisch sein und zugleich mit anderen Systemen kommunizieren können. Kneer zufolge können dabei Interaktionen, Organisationen und Funktionssysteme die Rolle von Drittsystemen einnehmen. Im Fall Therwil fand die Kommunikation zwischen den beiden Organisationen im Rechtssystem, das hier als Drittsystem fungiert, statt: Die kantonale Bildungsdirektion gab eine Rechtsabklärung in Auftrag, da sie selbst noch nie eine Entscheidung zu einem solchen Fall getroffen hatte. Das heißt, die Organisation blieb zwar Entscheidungsträgerin, stützte aber die Entscheidungsgrundlagen auf die Beobachtungen eines anderen Systems (mehr zum Rechtssystem siehe Abschnitt 2.4).

Die Rechtsabklärung (Stab Recht BKSD, 14.4.2016) kam zum Schluss, dass SchülerInnen allen Lehrpersonen die Hand reichen müssten, sofern dies eingefordert werde. Ein damit verbundener allfälliger Eingriff in die Religionsfreiheit sei zulässig. Gemäß dem Kantonsgericht Basel-Landschaft (Entscheid vom 24.10.2017) teilte die Schule Therwil der betroffenen Familie am 24. Mai 2016 mit, dass die Kompromisslösung vom November 2015 aufgehoben sei. Die lokale Schule befolgte die Vorgabe der kantonalen Organisation, auch wenn kantonale Gesetze und Richtlinien den vorliegenden Fall aufgrund ihrer mangelnden formalen Zuständigkeit nicht regeln konnten und die Sekundarschule hätte argumentieren können, dass die Entscheidungsbefugnis allein bei ihr läge. Am 25. Mai 2016 kommunizierte die BKSD auch der Öffentlichkeit, dass die Schulen den Händedruck einforderten und die Sanktionsmöglichkeiten des Bildungsgesetzes, die für andere Fälle von disziplinarischen Verstößen bereitstehen, anwenden könnten (BKSD 25.5.2016).

Die Entscheidung der Organisation hatte jedoch keinen Einfluss auf die Interaktion: Der ältere der beiden Jugendlichen hatte anfangs Juli 2016 regulär die Schule verlassen, der jüngere Schüler reichte weiterhin seinen Lehrerinnen die Hand nicht. Die Organisation traf im Rückgriff auf die Direktive der kantonalen Bildungsdirektion Strafmaßnahmen. Der Anwalt der Familie reagierte im Herbst 2016 mit einer Beschwerde an die Kantonsregierung. Die Regierung gab den Eltern teilweise recht: Eine Handschlagverweigerung würde nicht vorliegen, da der Handschlag von den Lehrkräften gar nicht eingefordert, sondern nur erwartet worden sei; der juristische Tatbestand für die verordneten Strafmaßnahmen von Seiten der Schule sei daher nicht erfüllt (Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft, Protokoll vom 16.5.2017). Im Interview mit der Basellandschaftlichen Zeitung BZ (19.5.2016) gab der Mediensprecher der kantonalen Regierung gegenüber der Öffentlichkeit zum Ausdruck, dass er es begrüßen würde, wenn der Fall ans Bundesgericht weitergezogen würde, damit diese und ähnliche Fälle grundsätzlich gelöst werden könnten.

Dadurch, dass die Organisation Schule ihre Entscheidungen immer stärker an Recht und Politik ausrichtete, ging die Relevanz organisationeller Entscheidungen zurück. Mit der rechtlichen und politischen Kommunikation rückt ein anderer Typus von System, nämlich das, was in der Systemtheorie Luhmanns als gesellschaftliche Teilsysteme bezeichnet wird, in den Fokus.

3.3 Gesellschaft und ihre Funktionssysteme

3.3.1 Recht

Selektion der schützenswerten normativen Erwartungen

Die Handschlag-Affäre stellte konfliktive Kommunikation dar, war also durch gegenseitiges Widersprechen gekennzeichnet (vgl. zu einem entsprechenden Verständnis von Konflikt Luhmann 1984, 530). Wie andere Konflikte baute auch diese Kommunikation auf einer Erwartungsunsicherheit (vgl. Luhmann 1984, 503): Für die Beteiligten bestand keine Sicherheit darüber, ob ein Handschlag erfolgt, bzw. erfolgen muss, ob seine Verweigerung geahndet würde, welche Sanktionen eingesetzt würden usw.

Für Luhmanns Verständnis von Recht als Funktionssystem ist die Unterscheidung von normativen und kognitiven Erwartungen zentral. An normativen Erwartungen wird im Fall, dass die Erwartung enttäuscht wird, festgehalten, während bei kognitiven Erwartungen im Fall einer Enttäuschung gelernt wird (vgl. Luhmann 2002 a, 133–134). In der Interaktion wurden die Erwartungen der Lehrerinnen enttäuscht: Zwei Schüler verweigerten den Handschlag. Dies führte jedoch nicht zu einer Korrektur der Erwartung, was darauf hinweist, dass zumindest implizit eine normative Erwartung vorhanden war. An dieser Stelle kam das Recht ins Spiel: Rechtliche Kommunikation „ermöglicht es, wissen zu können, mit welchen Erwartungen man sozialen Rückhalt findet, und mit welchen nicht." (Luhmann 2002 a, 131–132) Recht kann normative Erwartungen selektiv stabilisieren, was in Therwil geschah und wofür gemäß Luhmann „angesichts eines unbestrittenen Wildwuchses normativer Erwartungen (als Sitte, als bloß moralische Zumutung, als Gewohnheit, deren Verletzung bemerkt werden würde)" (Luhmann 2002 a, 137) die Voraussetzung bestand. Es war eine solche Selektion, die im Fall Therwil rechtliche Kommunikation involvierte: Das Rechtsgutachten des BKSD kam zum Schluss, dass ein Handschlag eingefordert werden könnte, dass also die normative Erwartung der Gewohnheit, sich die Hand zu geben, aus rechtlicher Sicht schützenswert und eine Stabilisierung angezeigt sei. Zudem genüge es, wenn in einem Gesetz formell geregelt sei, dass SchülerInnen sich an die Regeln der Schule zu halten hätten, ohne dass im Einzelnen explizit der Handschlag erwähnt würde (vgl. Protokoll des Regierungsrates, Erwägung 4.b).

Die rechtliche Beobachtung der Interaktion im Klassenzimmer führte zu einer Erhebung von Erwartungen zur Norm und damit zur Stabilisierung der Verhaltenserwartungen. Diese gewannen Unabhängigkeit vom Interaktionsverlauf und es wurde eine Referenz geschaffen, auf die sich in der Interaktion die Beteiligten oder die Organisation Schule beispielsweise beim Verhängen von Sanktionen berufen konnten.

Recht und Konflikt

In rechtlicher Hinsicht zentral war die Frage, ob eine Einschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit der Schüler hinnehmbar sei, ob die Schüler also zum Handschlag verpflichtet werden konnten, auch wenn dies unvereinbar mit ihrer religiösen Praxis sei. Diese Frage wurde seitens der Behörden mit dem Argument, die Gleichstellung der Geschlechter sowie die Integration von Ausländern seien wichtiger als die Religionsfreiheit der Schüler, positiv beantwortet. Weiter fand sich in den rechtlichen Erwägungen des Regierungsrates das Argument, dass bei einem Handschlag nur ein oberflächlicher und kurzer Körperkontakt stattfinden würde, so dass mit der Einforderung des Handschlages kein besonders gravierender Eingriff in die Religionsfreiheit vorläge.

In den rechtlichen Erwägungen der Bildungsdirektion, die zur Begründung der angedrohten disziplinarischen Maßnahmen hinzugezogen wurden, spielte schließlich nebst der Gewichtung der Glaubens- und Gewissensfreiheit auch der Verweis auf das spezifische Verhältnis von Schülern zur Schule eine Rolle: Es wurde darauf hingewiesen, dass es sich um ein „Sonderstatusverhältnis" handle. Damit bezog sich die Bildungsdirektion auf besonders enge Beziehungen, die eine Person dem Staat gegenüber einnimmt, so dass sich daraus spezielle Pflichten und Einschränkungen der Freiheitsrechte ergeben. Wie im Protokoll bemerkt wurde, hätten die Schüler deshalb den Anordnungen der Schulbehörden und der Lehrerschaft Folge zu leisten, wie dies mit Referenz auf das Bundesgericht dargelegt wird. Auch erfolgte eine Bezugnahme auf das Bildungsgesetz, in dem festgehalten ist, dass SchülerInnen sich an die Weisungen der Lehrerschaft und der Schulbehörden zu halten hätten.

Die Familie der Schüler engagierte ihrerseits einen Juristen, was einen lange anhaltenden rechtlichen Konflikt bewirkte. Die Involvierung des Rechts bedeutete zwar einen Umgang mit den Widersprüchen, aber auch eine Verlängerung des Konflikts. Entscheidend für diese von Luhmann generell beobachtete Dauerhaftigkeit rechtlicher Konflikte ist, dass das Vorgehen mit rechtlicher Kommunikation selbst zum Gegenstand von Widerspruch werden kann. So erhob besagter Jurist rechtlichen Widerspruch gegen das Verfahren selbst – so sei beispielsweise das Recht auf Gehör verletzt worden (vgl. Protokoll des Regierungsrates, 16.5.2017, 3) –, womit das Recht die Vorlagen für weitere Widersprüche herstellt.

3.3.2 Politik

Das Sonderstatusverhältnis der Schüler verweist darauf, dass es sich bei der besuchten Sekundarschule um eine staatliche Schule handelte, die der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion des Kantons Basel-Landschaft unterstand. Aus systemtheoretischer Sicht kommen dabei politische Strukturen ins Spiel.

Macht

Zu den Merkmalen des politischen Systems zählt Luhmann das symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium Macht. Es kommt dann zum Zug, wenn ein Machthaber erreichen möchte, dass Machtunterworfene bestimmte Handlungen vollziehen, die sie von sich aus nicht präferieren würden. Beide, sowohl der Machthaber als auch die Machtunterworfenen, verfügen über alternative Handlungsmöglichkeiten. Mittels Androhung von negativen Sanktionen soll eine bestimmte Präferenzstruktur zum Tragen kommen: Dabei wird davon ausgegangen, dass weder der Machthaber noch die Machtunterworfenen es auf diese negativen Sanktionen ankommen lassen wollen, dass jene Sanktionen jedoch für den Machthaber weniger unangenehm als für die Machtunterworfenen sind (vgl. Luhmann 2002 b, 47). Falls Sanktionen zum Zuge kommen, würde dies dem Sinn des Mediums widersprechen, weil nicht erreicht wurde, was mit der Drohung hätte erreicht werden sollen (vgl. Luhmann 2002 b, 46).

Macht in diesem Sinne wird im vorliegenden Fall ausgeübt, wenn die Baselbieter Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD) am 25.5.2016 kommuniziert, dass – gestützt auf das Rechtsgutachten – der Handschlag eingefordert werden könne, und dass bei einer Verweigerung des Handschlags Sanktionen drohten. Die angedrohten Maßnahmen richten sich einerseits gegen die Erziehungsberechtigten (Ermahnung, Buße), andererseits werden die Schüler zum Ziel von Disziplinarmaßnahmen. Bei Letzteren wird seitens der BKSD betont, sie müssten „erzieherisch wirken", d. h. es wird im Kontext der Machtausübung deutlich, dass das BKSD gleichzeitig erzieherische Intentionen hat (vgl. weiter unten, Abschnitt 3.3.3).

Die Schulleitung der Sekundarschule vollzieht den Entscheid der Bildungsdirektion und hebt die Sonderregelung vom November 2015 auf: Die Schüler sind von nun an zum Händeschütteln mit jeglichem Lehrpersonal verpflichtet.

Relevant ist aus systemtheoretischer Sicht zudem die Tatsache, dass es nicht beim Androhen der Sanktionen bleibt, sondern dass die Schulleitung im Mai 2016 – die Schüler verweigern weiterhin den Handschlag – tatsächlich Sanktionen verhängt. Damit hat die Macht, derer sich die Behörden und die Schulleitung bedient haben, ihren erwünschten Effekt verfehlt: Die Schüler wurden nicht zum gewünschten Handeln motiviert.

Macht und Recht

Luhmann weist verschiedentlich darauf hin, dass Macht im rechtsstaatlichen Kontext durch das Recht zweitcodiert ist (vgl. Luhmann 1994 b, 163–168; 1998, 357; 2002 a, 407–439). Im vorliegenden Fall dient das Recht dazu, Macht zu legitimieren, aber auch, sie unter Umständen als rechtswidrig einzustufen. Luhmann betont an mehreren Stellen, dass im Zuge rechtsstaatlicher Strukturen eine enge Verflechtung von Recht und Politik gegeben ist, dass aber dennoch von differenzierten Funktionssystemen auszugehen ist, die je in eigenen Sinnhorizonten operieren. Im Fall Therwil wird deutlich, dass angedrohte Disziplinarmaßnahmen das Ziel haben, das Verhalten der Schüler zu ändern; dass es aber eine ganz andere Frage ist, ob es auch rechtens sei, die Sanktionen zu verhängen. In der rechtlichen Beobachtung wird die Asymmetrie von Machthaber und Machtunterworfenen gerade nicht übernommen, und es kann sein, dass letztere Recht erhalten, was schließlich auch der Fall war (vgl. Luhmann 2002 a, 424).

Änderungen im Bildungsgesetz

Dieser enge Zusammenhang von Recht und Politik ist auch in Prozessen der Gesetzgebung und Verfassungsänderung gegeben. Im Mai 2018 verabschiedete die Exekutive im Kanton Basel-Land angesichts der Handschlag-Affäre Änderungen des kantonalen Bildungsgesetzes. Am 17.5.2018 beschließt der Landrat unter anderem, dass Schulleitungen „wesentliche Probleme im Zusammenhang mit der Integration ausländischer Schülerinnen und Schüler" den Ausländerbehörden melden müssten, und dass Schülerinnen und Schüler „die Werte einer freiheitlichen, gleichberechtigten und solidarischen Gesellschaft" zu achten hätten.

Die vorgängig kommunizierte Vorlage für die Verfassungsänderung sowie der Entwurf zur erwähnten Änderung des Bildungsgesetzes wie auch die vorgängig eingegangenen Motionen und Postulate weisen einen Bezug zu Werten auf. So bezieht sich ein Postulat eines Politikers beispielsweise auf die Verhinderung von Sonderregelungen an Schulen, die „den gesellschaftlichen Grundwerten" widersprächen (vgl. Vorlage an den Landrat, 11), und die Ergänzung des Bildungsgesetzes durch den eben zitierten Verweis auf Werte. Während die politischen Diskussionen von der Regulierung der längst abgelaufenen Interaktion weit entfernt waren, stehen Wertbezüge in der politischen Aushandlung im Vordergrund. Die Verrechtlichung dieser Wertbezüge ließ sich politisch nicht immer durchsetzen, dies aufgrund des Gegenarguments, dass die Kantonsverfassung nicht mit „Symbolpolitik belastet" werden soll (vgl. den Beitrag von Köhler in diesem Heft). Nicht alles, was, wie die Wertbezüge und das darin involvierte othering (vgl. den Beitrag von Bürgin in diesem Heft) politisch verhandelt wurde, lässt sich in Recht übersetzen. Gerade die Allgemeinheit der Wertbezüge, die die politische Debatte kennzeichnete, schien dem Transfer ins Rechtssystem entgegenzustehen.

Bei dieser Diskussion um die Vermittlung von Werten wurde ein weiteres Teilsystem, nämlich das Erziehungssystem involviert.

3.3.3 Erziehung

In der Kommunikation von Werten, wie sie im Kontext der kantonalen Behörden stattfindet (vgl. das Protokoll des Regierungsrates sowie die Vorlagen vom 27. Juni 2017) werden verschiedentlich Forderungen nach einem veränderten Verhalten der Schüler laut, und zwar dahingehend, dass die Schüler in der Schweiz gebräuchliche Umgangsformen zu erlernen hätten. Formen der Höflichkeit, wie sie der Handschlag darstelle, würden bereits im Kindergarten vermittelt (vgl. Protokoll des Regierungsrates, Erwägung 4.c).

In Luhmanns Perspektive zielt Erziehung auf die Änderung von Personen ab (vgl. Luhmann 1994 a, 177), was durch „absichtsvolle Kommunikation" (vgl. Luhmann 1994 a, 178) geschehe, in denen die pädagogische Kommunikation ohne Weiteres als solche zu erkennen sei. Ein entsprechendes Funktionssystem hat sich nach Luhmann entlang des schulischen Unterrichts ausdifferenziert (vgl. Luhmann 2014, 120). Mit Luhmann (2014, 69) sind auch Ähnlichkeiten von Erziehung und politischer Macht festzustellen, insofern in beiden Bereichen mittels Sanktionsandrohung das Handeln des Gegenübers zu bestimmen versucht wird. Während Macht mit negativen Sanktionen droht, „um ein damit nicht zusammenhängendes Verhalten zu motivieren" (Luhmann 2014, 69), müssen Sanktionen im Erziehungssystem ihrerseits Umerziehung darstellen, also z. B. im Nachholen versäumter Hausaufgaben bestehen.

Im Fall der Handschlagverweigerung hätte also ein erzieherischer Eingriff beispielsweise in der Instruktion in damit verbundene Vorstellungen oder dem Einüben der entsprechenden Handlung bestanden. Diesbezügliche Forderungen scheiterten, so wurde die Angelegenheit aus der Obhut der Lehrerinnen und der Schule an die Politik weitergegeben. Erzieherische Kommunikation wurde dort zwar als normative Forderung sichtbar, deren Einforderung aber den politischen Behörden und ihren Möglichkeiten zur Ausübung von Macht überlassen. Zentral dafür war die Änderung des Bildungsgesetzes, in welchem mit einem neuen Artikel die Schulleitungen dazu angehalten wurden, Schwierigkeiten bei der Integration von SchülerInnen mit Migrationshintergrund der Ausländerbehörde zu melden, also ihrerseits aus der Zuständigkeit von erzieherischen Behörden abzugeben (vgl. Vorlage an den Landrat, Beilage).

Mit den Sanktionen gegen die Schüler wurde dann wieder versucht, die Angelegenheit ins Erziehungssystem zurückzuführen. So wurden die verhängten Disziplinarmaßnahmen (Sozialarbeit) von der Schulleitung als „erzieherische disziplinarische Maßnahmen" kommuniziert und beinhalteten die Weisung, auch die Schulsozialarbeit aufzusuchen, um die Situation zu reflektieren.

3.3.4 Massenmedien

Die massenmediale Berichterstattung stellte einen wichtigen Faktor im Verlauf der Angelegenheit dar. Nach Luhmann besteht die Funktion der Massenmedien ,,im Dirigieren der Selbstbeobachtung des Gesellschaftssystems" (Luhmann 2009, 118), was dadurch geschieht, dass die Massenmedien anderen Funktionssystemen eine auch den Individuen bekannte, gesellschaftsweit akzeptierte Gegenwart garantieren (vgl. Luhmann 2009, 120). Der Code, mittels dessen Massenmedien operieren, besteht in der Unterscheidung von Information und Nichtinformation, wobei das System der Massenmedien an Information als positivem Wert anschließt (vgl. Luhmann 2009, 28). Sobald Informationen kommuniziert werden, werden sie allerdings zu Nichtinformation, denn Nachrichten, die ein zweites Mal kommuniziert werden, verlieren ihren Informationswert (vgl. Luhmann 2009, 31). Dass in Therwil ein Konflikt beobachtet wurde, ermöglichte immer neue Informationen durch wechselnde Stellungnahmen der beiden Konfliktseiten und der Zuordnung immer neuer Akteure zu einer der beiden Seiten.

Über den beschriebenen Weg von der Interaktion zur Organisation und hinein in die Teilsysteme Recht und Politik war der Fall auch ohne massenmediale Berichterstattung in die Gesellschaft jenseits des Schulhauses gelangt. Die allgemeine Zugänglichkeit zur Thematisierung der Angelegenheit wurde jedoch erst durch die Massenmedien geschaffen. Es ist anzunehmen, dass die Dringlichkeit des Geschäfts auch für die Teilsysteme dadurch erhöht wurde, da auch die rechtliche und politische Auseinandersetzung Gegenstand öffentlicher Beobachtung wurde. In den Massenmedien wurden keine Entscheidungen zu dem Fall getroffen, aber Relevanzen bestimmt, über die die Behandlung des Falles in anderen Teilsystemen laufen musste.

Die Handschlag-Affäre wurde in den Massenmedien primär als islambezogenes Thema behandelt. Sowohl in der Sendung „Arena" vom 1.4.2016 wie auch in der eigens dafür veranstalteten Folgesendung am 6.4.2016 wurde stark die religiöse Motivik, die die Schüler als Grund der Handschlagverweigerung angegeben haben, in den Vordergrund gerückt. Durch die Besetzung der entsprechenden Sendungen – u. a. mit der Präsenz eines Imams und mit VertreterInnen muslimischer Organisationen und Verbände – boten Massenmedien ein Forum, welches ein interaktives Ereignis unter der Beobachtung religiöser Fragen thematisierte. Damit konnte an frühere Diskussionen angeschlossen werden, die einen Kontrast zwischen islamischen Werten und dem Schweizer Staat thematisierten. Damit war der Fall zwar neu, die Thematik und die Konfliktparteien aber eingespielt, weshalb auf bewährte Formate (Talkshow „Arena"), Argumente und Frontverläufe aufgebaut werden konnte.

3.3.5 Religion

Religiöse Kommunikation kam zu dem Zeitpunkt ins Spiel, als die Schüler ihr von der Lehrerin unerwartetes Handeln erklärten und hierfür religiöse Redeweisen benutzten. Den Massenmedien gegenüber gaben sie an, dass sie der Lehrerin die Hand nicht mehr reichen wollten, weil „der Islam" ihnen das so gebiete. Der „Prophet Muhammad" sei ihnen diesbezüglich ein Vorbild und dieser habe keine andere Frau berührt als seine eigene. Das sei Ausdruck des Respekts gegenüber dem weiblichen Geschlecht. Wie aus Aussagen der Schulleitung hervorgeht, scheinen die beteiligten Lehrerinnen den Nicht-Handschlag gerade andersherum kommentiert zu haben: Er bedeute Respektlosigkeit gegenüber Frauen und sei daher als Diskriminierung zu sehen (vgl. Interview mit dem Schulleiter, Limmattalerzeitung 12.4.2016). Gemäß diesen Aussagen berief sich die Lehrerin in der Interaktion also nicht auf eine anders lautende religiöse Regel (z. B. aus dem Christentum, wie in der späteren medialen Rezeption betont wurde), sondern auf die NichtDiskriminierung von Geschlechtern. Thematisch (Luhmann 2005 a, 11; Kieserling 1999, 179–210) betrachtet ging es in der Interaktion der Anwesenden um eine an der Schule übliche Begrüßungsform zu Beginn und zum Abschluss des Unterrichts. Bei der Verweigerung wurde auf Religion verwiesen, bei der Einforderung auf gelebte Umgangsformen, die bei ihrem Unterlassen als Missachtung des Gegenübers zu interpretieren seien.

Dies setzte sich im Konflikt so fort: In der Sitzung mit den Betroffenen, d. h. den LehrerInnen und dem Schulleiter auf der einen Seite und Schülern sowie deren Eltern (beraten von der Organisation IZRS) auf der anderen, argumentierten erstere moralisch (Nicht-Diskriminierung von Frauen), letztere im Rückgriff auf ihre Religion („der Prophet" habe die Hand den Frauen auch nicht gereicht). Die Entscheidung der Organisation, dass die beiden Schüler sowohl den Lehrerinnen wie auch den Lehrern die Hand nicht mehr reichen müssen, erfolgte in der Mitteilung an die Betroffenen ausschließlich in moralischen Codes, nicht in religiösen Codes.

In den Massenmedien, dem Recht und der Politik wurde durchaus über die religiösen Aspekte der Angelegenheit berichtet, die jeweiligen Argumentationen erfolgten jedoch in den Codes des jeweiligen Systems: Informationsgehalt war entscheidend für die Behandlung in den Medien, Bezüge auf Gesetze und bestehende Rechtsprechung waren maßgeblich für die rechtliche Auseinandersetzung usw. Diese Verweigerung, religiöse Urteile zu fällen, wird von den Teilsystemen gezielt betrieben. So heißt es in einem Bundesgerichtsentscheid:

„Wie oben gesehen, verbietet das Gebot der Neutralität des Staates in Religionsfragen eine staatliche Auslegung der fraglichen Religionsvorschriften. Glaubensinhalte, die ein religiös motiviertes Verhalten begründen oder bestimmte Bekleidungsweisen nahelegen, sind grundsätzlich nicht zu überprüfen." (BGE 135 I 79, Erwägung 4.4)

Das religiöse Bedürfnis wurde dabei als solches auch durchaus anerkannt, so das Fazit der Rechtsabklärung, wenn es auch der Gleichbehandlung der Geschlechter untergeordnet wurde (vgl. Rechtsabklärung 14.4.2016). Diese Einschränkung geschieht unter gleichzeitiger Anerkennung der Religionsfreiheit, was unter Bezug auf Artikel 36 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft möglich ist:

„Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. [...] Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein." (Bundesverfassung Art. 36)

Die religiöse Plausibilität wird nicht abgesprochen, sondern die Gleichbehandlung der Geschlechter höher gewichtet. Das Recht kann so mit Bezug auf rechtliche Festlegungen über Religion entscheiden.

4 Fazit

Der Fokus bei der vorliegenden Analyse des Falls Therwil richtete sich auf die drei Typen sozialer Systeme Interaktion, Organisation und die Gesellschaft mit ihren funktional ausdifferenzierten Teilsystemen. Da es sich bei diesen Systemen um real existierende, nicht aufeinander reduzierbare Systeme mit je spezifischen Merkmalen handelt, ist die Frage sinnvoll, wie eine Thematik wie der beobachtete Nicht-Handschlag in den verschiedenen Typen von sozialen Systemen behandelt wird und wie die Übergänge zwischen den Systemtypen zu erklären sind. Dies kann zur Klärung der sich im vorliegenden Fall aufdrängenden Frage beitragen, wie es zur gesellschaftsweiten Rezeption einer alltäglichen Begebenheit kommen konnte.

Die Interaktion der Begrüßung im Klassenzimmer ist wie jede Interaktion durch Sequentialität, einen damit verbundenen Zeitdruck und eine begrenzte Problembearbeitungskapazität gekennzeichnet. Letzteres ist im Fall der Begrüßung als stark ritualisierter Kommunikation verstärkt der Fall: Von den Beteiligten und Beobachtern wird erwartet, dass die Kommunikation in bestimmten Bahnen verläuft. Trotzdem stellen Irritationen keine unüberwindbaren Probleme dar: Ein Scheitern wie das Ausbleiben von Handschlägen in der Interaktion kann mit etwas Improvisation übergangen werden und der Sequentialität weiter gefolgt werden, ohne dass dies Konsequenzen außerhalb der Interaktion zeitigt. So führt nicht jede misslungene Begrüßung zu rechtlichen Aushandlungen. Dass es im Fall Therwil dennoch dazu kam, wurde dadurch begünstigt, dass die interaktive Problematik als Teil von größeren und weniger leicht zu ignorierenden Themen, nämlich Religion und Gleichbehandlung der Geschlechter, gesehen wurde und gerade angesichts des rituellen und organisationellen Kontexts die Wiederholung der Probleme in der Interaktion sich abzeichnete. Dadurch, dass die ritualisierte Gewohnheit aufgebrochen, normative Erwartungen an den Interaktionsverlauf jedoch beibehalten wurden, entstand eine Diskrepanz, die auch von außerhalb der Interaktion beobachtet werden konnte und die schließlich für den reibungslosen Ablauf der künftigen Interaktionen behoben werden musste.

Da situationsübergreifend verpflichtende Lösungen in der Interaktion nicht gefunden werden konnten, wurde das Problem zum Thema von Organisation, die über Entscheidungen zur dauerhaften Strukturierung der Erwartungen hätte beitragen sollen. Auch die ihrerseits in einer Interaktion stattfindende Behandlung der Frage in einem Gespräch aller Beteiligten, auf die die lokale Schulorganisation zunächst setzte, erzeugte dabei nicht genügend Verbindlichkeit – auf den dort erzielten „Kompromiss" wollte sich die Schule letztlich nicht verlassen. Sie sah sich vor einem aktuellen und zukünftigen Entscheidungszwang und wollte ihre Selektionen rechtlich absichern. Damit wurde der Fall zum Thema der Systeme Recht und Politik, wobei seine Relevanz durch massenmediale Berichterstattung, die ihn zur gesellschaftlich verfügbaren Information machte, erhöht wurde.

Zwei Punkte scheinen bei diesen Wechseln zwischen den Systemtypen entscheidend zu sein. Einerseits ist die Veränderung der verwendeten Medien bemerkenswert: Interaktion, auch wenn sie nicht-ritualisiert und verbal abläuft wie die Sitzung zwischen der Schulleitung und den Eltern der Jugendlichen, verläuft mündlich und ohne schriftliche Entscheidungen, weshalb sie als zu wenig verbindlich gilt. Verbindlichkeit muss in größeren organisationellen Zusammenhängen und Teilsystemen hergestellt werden, die, insbesondere im Fall des Rechts, weniger auf körperliche Kopräsenz setzen, sondern Form im Medium Schrift annehmen und dabei zu verbindlichen Referenzpunkten werden. Dies hat auch Konsequenzen für das Datenmaterial der vorliegenden Analyse. Die Informationen über die Interaktionen sind für die Beobachtenden höchst spärlich, während die massenmedialen, rechtlichen und politischen Debatten schriftlich stattfinden oder zumindest schriftlich dokumentiert werden und leicht erhebbar sind.

Andererseits ist der unterschiedliche Bedarf an Zeit, den die verschiedenen Systemtypen für den Umgang mit der Thematik hatten, entscheidend. Die Interaktion läuft so schnell ab, dass eine eingehende Behandlung der Problematik während ihres Verlaufs nicht möglich ist. Die Organisation operiert entscheidungsorientiert und kann, gerade wenn sie auf Interaktion zurückgreift, relativ schnell ihren Output – eine Entscheidung – liefern. Dies ändert sich, wenn gesellschaftliche Teilsysteme ins Spiel kommen. Der Umgang von Recht und Politik mit der Thematik ist weitaus zeitraubender, was auch für die Behandlung des Themas im Teilsystem Wissenschaft zutrifft. Der vorliegende Artikel erscheint über fünf Jahre nach der Interaktion, von der er handelt, und in einer Zeit, in der staatliche Empfehlungen Handschlagverweigerungen landesweit anraten.

Der Fall zeigt, wie funktionale Teilsysteme der Gesellschaft die Maßgaben für organisationelle Festlegungen definieren, die wiederum die Interaktion regulieren. Damit sind es weder die Schüler, die Lehrerinnen noch der Schulleiter, die sich souverän durchsetzen können. Das religiöse Framing der Handschlagverweigerung ist zwar das Skandalon, das den Ausgangspunkt der Debatte darstellt, im Konflikt selbst gehört Religion aber nicht zu den Teilsystemen, die eine strukturierende Wirkung auf den Vorgang entfalten: Es sind die Massenmedien, die die gesellschaftliche Relevanz bestimmen, das Recht, das normative Erwartungen verbindlich deckt, und die Politik, die Gesetzgebung und -umsetzung festlegt. Wie lässt sich dieser geringe Einfluss von Religion systemtheoretisch erklären? Die eben gezogenen Schlüsse könnten auch darauf eine Antwort bieten. Religion stellt, wie das ebenfalls weitgehend ohne Einfluss verbleibende Erziehungssystem, ein relativ interaktionsnahes Teilsystem dar: Religiös (bzw. erzieherisch) angeleitet, werden Rituale (bzw. Unterricht) also Interaktionen und finden damit im Rahmen eines Systemtyps (Interaktionssystem) statt, dem nur eine geringe strukturierende Wirkung in der Gesellschaft zukommt.

Determinieren also die zu einem großen Teil schriftlich operierenden, zeitraubenden Teilsysteme Politik und Recht letztlich die Welt, bis hin zu den Interaktionen? Nein, denn die relative Unabhängigkeit, die aus der Differenzierung zwischen Interaktion und Gesellschaft resultiert, macht eine dauerhafte Bestimmung unwahrscheinlich. Interaktionen im Klassenzimmer bleiben normalerweise von Politik und Recht unbehelligt, dasselbe dürfte für die meiste religiöse Kommunikation zutreffen. Dass, wie im hier diskutierten Fall, eine einzelne Interaktion derart folgenreich für die Gesellschaft wurde, ist die Ausnahme und durch die Möglichkeit ihres Anschlusses an bereits eingespielte Diskussionen bedingt. Und sogar für die Handschlag-Affäre gilt, dass die umfassenden Debatten für die als Krise bezeichnete Interaktion, die ihren Ausgangspunkt darstellte, folgenlos blieben. Der zwischen den verschiedenen Teilsystemen unterschiedliche Zeitbedarf verunmöglichte einen solchen Einfluss. Bis organisatorisch oder rechtlich entschieden, politisch umgesetzt und wissenschaftlich kommentiert wurde, waren die Interaktionen, die es zu regulieren galt, längst vorbei.

Quellen 1 Basellandschaftliche Zeitung BZ (19.5.2017): Was kommt noch alles in der Handschlagaffäre. https://www.bzbasel.ch/basel/baselbiet/was-kommt-noch-alles-in-der-handschlagaffaere-131344625 (gesehen am 22.10.2018). 2 Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion Basel-Landschaft. Medienmitteilung BKSD (25.5.2016): https://www.baselland.ch/politik-und-behorden/direktionen/sicherheitsdirektion/medienmitteilungen/verweigerter-handedruck-an-schule-therwil (gesehen am 22.10.2018). 3 Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion Basel-Landschaft. Medienmitteilung BKSD (19.9.2016): https://www.baselland.ch/politik-und-behorden/direktionen/bildungs-kultur-und-sportdirektion/medienmitteilungen/der-handschlag-an-schulen-wird-durchgesetzt-ohne-wenn-und-aber (gesehen am 22.10.2018). 4 Blick (3.4.2016): „Muslim-Schüler schütteln auch keine Männer-Hände," https://www.blick.ch/news/schweiz/basel/jetzt-spricht-die-schulpraesidentin-von-therwil-ueber-die-handschlag-dispens-muslim-schueler-schuetteln-auch-keine-maenner-haende-id4875687.html (gesehen am 22.10.2018). 5 Blick TV (12.4.2016): „Muslimische Schüler schütteln Hände der Lehrer nicht. Jetzt spricht der Rektor zur umstrittenen Regel," https://www.blick.ch/news/politik/das-meint-blick-ueber-die-rolle-des-izrs-in-der-handschlag-aeffaere-gefaehrliche-vermittler-id4908945.html (gesehen am 22.10.2018). 6 Bundesgerichtsentscheid 135 I 79 (24.10.2008): http://relevancy.bger.ch/php/clir/http/index.php?highlight%5fdocid=atf%3A%2F%2F135-I-79 %3Ade&lang=de&zoom=&type=show_document (gesehen am 1.3.2019). 7 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Artikel 36 (Stand am 23. September 2018): https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19995395/index.html#a36 (gesehen am 1.3.2019). 8 Limmattaler Zeitung (12.04.2016): „Ich denke nicht, dass wir da klein beigegeben haben," https://www.limmattalerzeitung.ch/mediathek/videos/1%5fia31q3tm (gesehen am 22.10.2018). 9 Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion Kanton Basel-Landschaft (14.4.2016): Rechtsabklärung https://www.baselland.ch/politik-und-behorden/direktionen/sicherheitsdirektion/medienmitteilungen/verweigerter-handedruck-an-schule-therwil/downloads/haendedruck%5frechtsabklaerung.pdf (gesehen am 22.10.2018). Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft (16.5.2017): Auszug aus dem Protokoll https://www.baselland.ch/politik-und-behorden/regierungsrat/medienmitteilungen/handschlag-beschwerdeentscheid-des-regierungsrates-im-disziplinarmassnahmeverfahren/rrb/rrb-2017-0683-anonymisiert.pdf (gesehen am 22.10.2018). Sekundarschule Therwil (2018): http://www.sektherwil.ch/ (gesehen am 22.10.2018). 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Kieserling (1999: 65) zur Inklusion/Exklusion durch Begrüßung/Verabschiedung. Die Schüler begründeten ihr Handeln, so der Rektor der Schule in einem Interview, religiös, während die Lehrerinnen die Nicht-Berührung als frauendiskriminierend wahrnahmen. Die beiden Schüler hätten nach dem jahrelang praktizierten, in der Schule üblichen Begrüßungsverhalten im November 2015 und ohne dass sie andere disziplinarische Auffälligkeiten gezeigt hätten, plötzlich gegen diese „Usanz des Händeschüttelns" gehandelt (vgl. Blick TV 12.4.2016, gesehen am 22.10.2018). Kühl (2011, 9–10) sieht zwar Lehrende und Rektoren einer Schule als Mitglieder der Organisation, bezeichnet Lernende aber als „Publikum" und nicht als Mitglieder. Zwar lehnt auch Heitmann (2013) den Begriff „Mitglied" für Schüler/-innen ab, schlägt stattdessen aber nicht „Publikum", sondern „Teilnehmer/-innen" vor. Beide Varianten scheinen wenig hilfreich, zumal es mit solchen Sonderbezeichnungen kaum mehr möglich ist, die Schule Therwil als Organisation mit ihren drei Merkmalen Mitgliedschaft, Zweck und Hierarchie mit anderen Organisationen zu vergleichen. Kaja Heitmann (2013, 113) zitiert in diesem Zusammenhang u. a. Jürgen Oelkers, der betont, dass die Kinder immer anwesend und auch in einer Gruppe sein müssten, die sie nicht freiwillig ausgesucht hätten. Beispielsweise stehen Kindern aus orthodox-charedischen Familien, die einer andersgeschlechtlichen Lehrperson aus religiösen Gründen die Hand ebenfalls nicht reichen, jüdische Privatschulen offen. Ein entsprechendes Angebot für die beiden muslimischen Jugendlichen bestand nicht, womit sie gezwungen waren, die öffentliche Schule in Therwil zu besuchen. Im Leitbild der Sekundarschule Therwil wird unter anderem Folgendes festgehalten: „[Die Schülerinnen und Schüler] erleben eine förderliche Unterrichtsatmosphäre, die geprägt ist von gegenseitigem Respekt, Wohlwollen und Vertrauen. Die Lehrerinnen und Lehrer und die Schülerinnen und Schüler achten sich gegenseitig als Persönlichkeiten und nehmen Anliegen ernst." Vgl. Website der Sekundarschule Therwil: http://www.sektherwil.ch/ (gesehen am 22.10.2018). Vgl. hierzu die Aussagen des Rektors der Sekundarschule im Gespräch mit der Limmattaler Zeitung (12.4.2016) sowie die Aussagen der Schulpräsidentin von Therwil gegenüber dem Blick vom 3.4.2016. Vgl. Interview des Rektors, Jürg Lauener, mit der Zeitung Blick (Blick TV, 12.4.2016). Dieses Argument machte im späteren Verlauf der Ereignisse der Anwalt der Familie geltend. Vgl. z. B. Medienmitteilung der BKSD vom 19.9.2016. Darin wird Monica Gschwind auch erstmals mit der Idee zitiert, das kantonale Bildungsgesetz abzuändern. Vgl. das Protokoll des Regierungsrates, Erwägungen 6.d. Vgl. das Protokoll des Regierungsrates, Erwägungen 4.a. Vgl. Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion Basel-Landschaft, Medienmitteilung vom 25.5.2016. Vgl.https://baselland.talus.ch/de/politik/cdws/dok%5fgeschaeft.php?did=c0dd9e92ef9b40a885353603f453df7f-332&filename=Gesetzestext%5fnach%5fSchlussabstimmung&v=1&r=PDF&typ=pdf (gesehen am 22.10.2018). Siehe zur Rolle der Massenmedien die Beiträge von Aeschbach und Stahel in diesem Band. Vgl. z. B. Sonntagszeitung vom 10.4.2016. Die Argumentation lässt sich mit Luhmann als religiös identifizieren, da sie von einer Unterscheidung zwischen Immanenz und Transzendenz ausgeht und die immanente Welt (das Händeschütteln im schulischen Kontext) über transzendente Elemente (der Prophet als Vorbild) deutet und bestimmt (vgl. Luhmann 2000, 272; vgl. für eine Diskussion eines entsprechenden Religionsverständnisses in der Religionswissenschaft Kleine 2016). Auch das darauf folgende Ereignis, die von der Schulleitung einberufene Sitzung mit allen Beteiligten (s. Abschnitt 3.2), konnte nicht direkt beobachtet werden, sondern muss auf der Basis von Aussagen des Schulleiters rekonstruiert werden.

By Rafael Walthert; Katharina Frank; Daniela Stauffacher and Urs Weber

Reported by Author; Author; Author; Author

Titel:
Zum Verhältnis von Interaktion, Organisation und Gesellschaft in der Therwiler Handschlag-Affäre. Eine systemtheoretische Analyse.
Autor/in / Beteiligte Person: Walthert, Rafael ; Frank, Katharina ; Stauffacher, Daniela ; Weber, Urs
Link:
Zeitschrift: Zeitschrift für Religionswissenschaft, Jg. 29 (2021-05-01), Heft 1, S. 16-38
Veröffentlichung: 2021
Medientyp: academicJournal
ISSN: 0943-8610 (print)
DOI: 10.1515/zfr-2019-0020
Schlagwort:
  • LUHMANN, Niklas, 1927-1998
  • SYSTEMS theory
  • RELIGIONS
  • ORGANIZATION
  • Subjects: LUHMANN, Niklas, 1927-1998 SYSTEMS theory RELIGIONS ORGANIZATION
  • interaction
  • Niklas Luhmann
  • organisation
  • religion
  • system theory
  • Interaktion
  • Luhmann
  • Organisation
  • Religion
  • Systemtheorie Language of Keywords: English; German
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Author Affiliations: 1 = Universität Zürich, Religionswissenschaftliches Seminar, 8001 Zürich, Switzerland ; 2 = Departement für Sozialwissenschaften, Universität Freiburg, 1700 Freiburg, Germany
  • Full Text Word Count: 7606

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