Randolph B. Ford, Rome, China, and the Barbarians. Ethnographic Traditions and the Transformation of Empires. 2020 Cambridge University Press Cambridge, 978-1-108-47395-8, £ 90,–
Seit einigen Jahren findet die interkulturelle Komparatistik auch in den Altertumswissenschaften zunehmend Interesse. Dies gilt nicht zuletzt für die griechisch-römische Antike und das alte China, wobei sich der Vergleich China/Griechenland vorwiegend auf Philosophie, Wissenschaft und Literatur richtet, während der Vergleich China/Rom insbesondere den politischen und ökonomischen Strukturen und den ideologischen Grundlagen der beiden Imperien gilt. Die hier anzuzeigende Studie verbindet in gewisser Weise beide Interessen. Ihr Gegenstand sind zwei historiographische Werke: Prokops (c. 500 – c. 560) auf Griechisch verfasste zeitgenössische Darstellung der Kriege Justinians (reg. 527–565) und das chinesische Jin shu, die Geschichte der Jin-Dynastie (265–420), die im Auftrag des Tang-Kaisers Taizong (reg. 629–649) wenige Jahrhunderte nach den Ereignissen am staatlichen Geschichtsschreibungsbüro entsteht. Konkret geht es darum, die beiden Texte daraufhin zu analysieren, wie in ihnen die Barbarenstaaten, die sich für bestimmte Zeiten auf den Territorien des chinesischen und des römischen Reiches etablieren konnten, wahrgenommen und beurteilt werden.
Nachdem Ford in der Einleitung (S. 1–27) u. a. Argumente für die – nicht a priori evidente – Adäquatheit und die potenzielle Aussagekraft einer Gegenüberstellung gerade dieser beiden Texte entwickelt hat, bietet er in den Kapiteln 1 und 2 zunächst eine ausführliche Skizze der Entwicklung des Barbarenbildes in der griechisch-römischen und der chinesischen historiographisch-ethnographischen Tradition (S. 28–129). Die nachfolgenden drei Kapitel sind dann dem detaillierten Vergleich der beiden Haupttexte gewidmet: In Kapitel 3 (S. 130–208) geht es darum zu bestimmen, inwieweit die in der Tradition entwickelten Gesichtspunkte und Kategorien der Barbarendarstellung auch in den Kriegen und dem Jin Shu zur Geltung kommen; in Kapitel 4 (S. 209–256) wird die Darstellung von Barbarenherrschern in beiden Werken verglichen; und in Kapitel 5 (S. 257–310) wird die Auseinandersetzung mit dem Thema der politischen Legitimation der Barbarenstaaten, zumal in den in die Geschichtswerke eingelegten Reden, analysiert. Die stets detaillierten Interpretationen der relevanten Textpassagen führen zu einem recht eindeutigen Gesamteindruck: Während in Prokops Darstellung gerade die Vandalen und die Goten, also die bedeutendsten Barbarenakteure, in wesentlichen Hinsichten nicht über den Kamm herkömmlicher Barbarenstereotype geschoren, sondern weitgehend vorurteilslos beschrieben und nach den gleichen Kriterien wie die nichtbarbarischen Geschehensteilnehmer bewertet werden, präsentiert das Jin shu die Barbarenstämme des Darstellungszeitraums, die es häufig mit den Namen früherer Fremdvölker bezeichnet, nahezu durchgehend als Neuverkörperungen eines von der chinesischen Ethnie wesenhaft verschiedenen „Anderen". Dementsprechend kommt in dem chinesischen Werk Ethnogenealogie und Ethnocharakterologie sowohl bei der Darstellung und Bewertung der Barbarenherrscher als auch bei der Beurteilung der Legitimität der Barbarenstaaten eine wichtige Funktion zu, während Prokop in den entsprechenden Kontexten an beidem nur wenig Interesse zeigt. In der „Conclusion" (S. 311–333) reflektiert Ford über mögliche Erklärungen für diesen angesichts des oft behaupteten Konservatismus Prokops und der vielbeschworenen Weltoffenheit des tangzeitlichen China nicht unbedingt zu erwartenden Befund.
Mit dem Vergleich eines griechisch-römischen und eines chinesischen Geschichtswerkes aus der Übergangszeit zwischen Spätantike und frühem Mittelalter erschließt Ford komparatistisches Neuland. Dies geschieht auf der Basis einer eindrucksvollen klassisch-altertumswissenschaftlichen/sinologischen Doppelkompetenz und unter umfassender Berücksichtigung der vielsprachigen Sekundärliteratur. Zwar könnte die Argumentation in manchen Partien der Untersuchung konziser sein, und wie fast immer sind nicht alle Beobachtungen und Schlussfolgerungen gleichermaßen überzeugend, doch stellt das Buch insgesamt eine beachtenswerte, zu weiterer Forschung anregende Leistung dar.
By Fritz-Heiner Mutschler
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